Nicht nur Individuen, sondern auch Kulturen bilden ein Gedächtnis aus, um Identitäten herzustellen, Legitimation zu gewinnen und Ziele zu bestimmen. Aleida Assmann fragt nach den verschiedenen Aufgaben kultureller Erinnerung, ihren Medien (wie Schrift, Bilder, Denkmäler) im historischen und technischen Wandel sowie nach den Umgangsformen mit gespeichertem Wissen, bei denen neben Politik und Wissenschaft auch der Kunst eine wachsende Bedeutung zukommt.
Mit dem Eintritt ins digitale Zeitalter befinden wir uns an einer Medienschwelle, an der sich die Bedingungen des kulturellen Gedächtnisses tiefgreifend verändern. Während die Verwaltung von Daten immer leichter wird, geht die Haltbarkeit der Datenträger drastisch zurück. Papyri konnten im Wüstensand Jahrtausende überdauern, Bücher halten einige Jahrhunderte, Taschenbücher einige Jahrzehnte, Disketten nur noch einige Jahre. Wie wird sich das kulturelle Gedächtnis in Zukunft gestalten, wenn die Speichermedien immer kürzeren Verfallsdaten unterliegen? Unter solchen Umständen wird das Bewußtsein für die Vorkehrungen geschärft, die in der Kultur für die Konservierung und Bereitstellung vergangenen Wissens aufgewendet worden sind. Woher kommt das Interesse am Aufbau von Erinnerungsräumen, der ein wichtiges Ziel kultureller Anstrengungen ist? Wie werden Erinnerungen, die doch zunächst immer individuelle Erinnerungen sind, zu allgemein verbindlichen? Wie geht man mit solchen Erinnerungen um - nutzt man sie zur Bestätigung der Gegenwart, zum Anstoß einer Erneuerung oder zur Relativierung des eigenen Standpunktes? Und welche Rolle spielen dabei die Medien der Erinnerung; wie wirken sich der Medienwechsel des Buchdrucks, der Photographie, der elektronischen Aufzeichnung auf die Gestalt und Qualität kultureller Erinnerungsräume aus? Da diese kulturwissenschaftliche Fragestellung die Zusammenführung einer weitgestreuten Spezialforschung nötig macht, werden die Grenzen der Nationen, Epochen, Künste und Disziplinen unbeirrt überschritten. Und obwohl literarische Texte im Mittelpunkt der Untersuchung stehen, kommen ebenso historische, kunsthistorische, philosophische und psychologische Fragen zur Sprache.
Ursula Krechels Roman lässt Dokumentarisches und Fiktives ineinander übergehen, beim Finden und Erfinden gewinnt eine Zeit atmosphärische Konturen, in der die Vergangenheit schwer auf den Zukunftshoffnungen lastet. Mit sprachlicher Behutsamkeit und einer insistierenden Zuneigung lässt „Landgericht den Figuren späte Gerechtigkeit widerfahren. „Landgericht , der Roman mit dem doppeldeutigen Titel, handelt von einer deutschen Familie, und er erzählt zugleich mit großer Wucht von den Gründungsjahren einer Republik.
Geschichtsbuch, Bildband und Nachschlagewerk zugleich: Hermann Glaser präsentiert ein halbes Jahrhundert deutscher Kulturgeschichte vom Ende des Nationalsozialismus bis in unsere Gegenwart. Dabei bedeutet Kulturgeschichte hier nicht allein die Geschichte von Literatur und Philosophie, von Malerei und Musik, sondern auch die Geschichte unseres Alltags, der Medien, der Mode und des Designs.
Von Homer bis heute, von England bis Russland, vom Nordkap bis Spanien - große Epochen, einzelne Staaten- und Staatenverbünde - anschauliche Beispiele und Fälle von Solon bis zur Kassiererin Emmely - Zivilrecht, Strafrecht, Öffentliches Recht, Völkerrecht, europäische Integration. Dieser Kommentar erläutert das StGB und hilft auch bei der Lösung schwieriger Spezialfragen. Die Neuauflage berücksichtigt mehr als zwanzig Änderungsgesetze, so z.B. das Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten und die Neuerungen zur Kronzeugenregelung. Das europäische Strafrecht wird vertieft behandelt.
„Die Probleme der Gewalt sind immer noch sehr dunkel«, schrieb Hannah Arendt. Warum sich auch die Soziologie mit den Phänomenen der Gewalt so schwer tut, ist eine der zentralen Fragen, mit denen sich Jan Philipp Reemtsma beschäftigt.
Er analysiert, was Vertrauen und vor allem Vertrauen in die Moderne heißt – und in welcher Weise dieses Vertrauen an die besonderen Legitimationsanforderungen gebunden ist, denen der Gebrauch von Gewalt in der Moderne unterworfen ist. Wie kann extreme Destruktivität neben dem modernen Programm der Gewalteinschränkung oder trotz dieses Programms bestehen und warum besteht das Vertrauen in die Moderne ungeachtet der Gewaltexzesse des 20. Jahrhunderts fort. Jan Philipp Reemtsma untersucht die Phänomene der Gewalt in ihrem unterschiedlichen Körperbezug und in ihrem Verhältnis zur Ausübung von Macht. Dieser Blick auf die Moderne konkurriert nicht mit anderen, sondern ergänzt sie und bedient sich dabei einer besonderen Beschreibungstechnik. Weiträumige Überblicke über historische, politische, literarische oder philosophische Entwicklungen von der Antike bis in unsere Gegenwart wechseln mit einer Konzentration auf konkrete Ereignisse ab; soziologische Reflexionen und historisches Beispielmaterial werden durch philologische Analysen ergänzt und anhand einer Auseinandersetzung zum Beispiel mit William Shakespeare als einem Theoretiker von Macht und Gewalt oder anhand einer Betrachtung von Friedrich Schillers Konzeption des Desperado im „Wilhelm Tell" verdeutlicht.
Jan Philipp Reemtsma leistet einen bedeutenden Beitrag zum Verständnis der Beziehung, die zwischen Vertrauen, Gewalt und Macht herrscht.
Immer mehr Bürger in Deutschland sind vom wirtschaftlichen Reichtum des Landes ausgeschlossen. Nicht nur Arbeitslose oder Rentner, auch viele Menschen, die sich in einer Endlosspirale von Billigjobs und Zeitarbeit befinden. Früher konnten sie sich nicht nur der sozialstaatlichen Unterstützung, sondern auch einer gewissen Solidarität sicher sein. Doch damit ist es nun vorbei. Wer nicht mehr mitkommt in unserer Wirtschaft, ist selber schuld. Reflexhaft werden ihm Bildung, soziale Kompetenz oder gar der Arbeitswille abgesprochen. Die Intellektuellen gewöhnen sich an, die Verlierer der entfesselten Konkurrenz nach ästhetischen Kriterien ( Billigkonsum und Unterschichten-TV ) abzuurteilen.
Seit dem byzantinischen Bilderstreit und dem Bildersturm der Reformation ist nicht mehr in solcher Intensität über Bilder nachgedacht worden wie in den letzten Jahrzehnten. Neben der Archäologie und der Kunstgeschichte haben sich zahlreiche weitere Fächer an Fragestellungen rund um das Bild geradezu festgebissen. Angesichts dessen geht der Kunsthistoriker Horst Bredekamp der Frage nach, warum Begriff und Geltung sowie Macht und Ohnmacht von Bildern so hartnäckig verfolgte Themen unserer Tage geworden sind.
Wovon handelt dieser Roman? Es ist leichter zu sagen, wovon er nicht handelt. Er handelt also von allem. Er handelt von 1937 bis 2008, kommt nicht aus ohne Augustin, Seuse, Jakob Böhme und Emanuel Swedenborg, handelt aber vor allem von Anton Percy Schlugen, von ihm und mit ihm und durch ihn. Seine Mutter tauft ihn Anton, nennt ihn Percy, selber heißt sie Josefine Schlugen, wird Fini genannt. Sie ist Schneiderin, lebt, auch als sie mit einem Mann zusammenlebt, allein. Jahrelang schreibt sie Briefe an Ewald Kainz, der auf den Stufen des Neuen Schlosses in Stuttgart eine politische Rede hielt. Die Briefe schickt sie nicht ab, sie liest sie ihrem Sohn vor und vermittelt ihm so, dass zu seiner Zeugung kein Mann nötig gewesen sei. Mit diesem Glauben lebt Percy.
Er wird Krankenpfleger im psychiatrischen Landeskrankenhaus Scherblingen, wird gefördert von Professor Augustin Feinlein, der das Krankenhaus leitet und der seinerseits aus der Aussichtslosigkeit einer nicht geglückten Liebe in den Glauben flieht. Als Patient wird, nach einem Selbstmordversuch, Ewald Kainz eingeliefert. Der ist nach einer deutlich politischen Biografie Motorrad-Lehrer geworden. Percy ist inzwischen berühmt, weil er keiner Weltvernunft zuliebe verzichtet auf die von Mutter Fini in ihn eingegangene Botschaft vom Kind ohne leiblichen Vater. Er will, was er glaubt, nicht verbreiten, aber er will glauben dürfen, was er glaubt. Er sucht keinen Vater, aber er findet mehr als einen.
Und er wird auch berühmt, weil er zu den Menschen sprechen kann, wie zu ihnen noch nicht gesprochen wurde. Als er von Professor Feinlein zum ersten Mal aufgefordert wird, öffentlich zu reden, sagt er: "Aber vorbereiten tu ich mich nicht. Das fänd ich gemein, vorbereitet zu sprechen zu unvorbereiteten Menschen." Der Professor sagt ihm, da könne er sich auf Sokrates und Christus berufen. Dieses ungeschützte, ganz aus dem Augenblick stammende Sprechen macht Percy berühmt in einer Welt, in der alles in Vorbereitung und Konservierung untergeht.
In dieser Weltgeschichte des 19. Jahrhunderts erzählt Jürgen Osterhammel die Geschichte einer Welt im Umbruch. Osterhammel fragt nach Strukturen und Mustern, markiert Zäsuren und Kontinuitäten, Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Seine kulturübergreifenden, thematisch aufgefächerten Darstellungen und Analysen verbinden sich dabei zu einem Geschichtspanorama, das nicht nur traditionelle eurozentrische Ansätze weit hinter sich lässt, sondern auch erheblich mehr bietet als die gängigen historiografischen Paradigmen wie Industrialisierung oder Kolonialismus. Die Herausbildung unterschiedlicher Wissensgesellschaften, das Verhältnis Mensch-Natur oder der Umgang mit Krankheit und Andersartigkeit kommen darin ebenso zur Sprache wie Besonderheiten der Urbanisierung, verschiedene Formen von Bürgerlichkeit oder die Gegensätze von Migration und Seßhaftigkeit, Anpassung und Revolte, Säkularisierung und Religiosität.
Zwischen 1942 und 1945 hörte der US-Nachrichtendienst im Geheimlager Fort Hunt bei Washington mehrere Tausend deutsche Kriegsgefangene heimlich ab. Zehntausende Abhörprotokolle blieben erhalten, die erst jetzt, nach über sechzig Jahren, entdeckt wurden. Der Historiker Felix Römer hat diesen Aktenbestand ausgewertet und eröffnet mit seiner Analyse eine völlig neue Sicht auf den Krieg: Unter "Kameraden" erzählen sich die Soldaten ihre Fronterlebnisse, sie prahlen mit "Heldentaten" und schrecklichen Verbrechen. Sie zeigen ihre geheimen Ängste und ihre wahre Haltung zu Hitler. Die dazu überlieferten Biografien machen die Lebensumstände und Handlungsspielräume, das Denken und Handeln des Einzelnen konkret.
Die Journalistin Josefa Nadler fährt nach B., um über diese Stadt und ihr überaltertes und umweltgefährdendes Kraftwerk eine Reportage zu machen. Was aber soll sie schreiben? Josefa entscheidet sich für die Wahr-heit: »B. ist die schmutzigste Stadt Europas«, und sie fordert, daß das neue Kraftwerk im Interesse der dort arbeitenden und wohnenden Menschen endlich fertiggestellt wird. Josefa muß sich vor den Kollegen und der Partei rechtfertigen. Als es ihr nicht gelingt, ihren - persönlichen und politischen - Standpunkt klarzumachen, zieht sie sich zurück. Das ist die eine Geschichte, die Monika Maron in ihrem Roman erzählt.
Die andere Geschichte der Josefa Nadler aber, die private, macht die Bedeutung dieses Romans aus. Sie ist 30 Jahre alt, lebt mit ihrem Sohn allein und schwankt zwischen beständiger Sehnsucht nach Geborgenheit und Freiheit und einer immerwährenden Angst vor Einsamkeit und Zwang. Wie leben, daß man sich selbst, seinen eigenen Gefühlen und Besonderheiten gerecht wird? Diese Frage möchte Josefa für sich und andere beantworten in Gesprächen mit ihrer Kollegin Luise, ihrem Freund Christian, dem Heizer Hodriwitzka. Sie leidet darunter, daß über ihr Leben bestimmt wird und daß es für alles Richtlinien gibt.
Luise hat noch den Faschismus miterlebt; für sie bedeutet der Sozialismus die historische Chance zur verwirklichten Humanität. Josefa aber mißt den erreichten gesellschaftlichen Zustand an ihren Bedürfnissen. Sie macht sich auf den eigenen Weg, weil sie nicht akzeptieren kann, daß die Geschichte schon an ihr Ziel gekommen sei. Sie verläßt den geliebten Freund, den Kollegenkreis und die große Gemeinschaft der Organisierten. Aber auch in ihren Träumen kommt sie nicht zur Ruhe.
200.000 Deutsche wurden zwischen 1939 und 1945 ermordet, weil sie psychisch krank waren, als aufsässig, erblich belastet oder einfach verrückt galten. Nicht wenige Angehörige nahmen den Mord an ihren behinderten Kindern, Geschwistern, Vätern und Müttern als Befreiung von einer Last stillschweigend hin. Die meisten Familien schämen sich bis heute, die Namen der Opfer zu nennen. Beklemmend aktuell lesen sich die Rechtfertigungen der vielen Beteiligten: Erlösung, Gnadentod, Lebensunterbrechung, Sterbehilfe oder Euthanasie. Götz Aly bringt mit seinem neuen Buch Licht in ein düsteres Kapitel der deutschen Gesellschaftsgeschichte.