Internationale Forschungsnetzwerke arbeiten an Robotern, die dem Menschen nicht nur in seinem Intellekt ähneln, sondern sich auch menschlich bewegen und verhalten. Bis eine Künstliche Intelligenz uns auf Augenhöhe begegnen kann, wird es aber wohl noch etwas dauern.
Das Human Brain Project (HBP) wurde 2013 von der Europäischen Union ins Leben gerufen – mit einem ehrgeizigen Ziel: Innerhalb der kommenden zehn Jahre wollte man eine Künstliche Intelligenz (KI) entwickeln, die eine Rechenleistung von einem Exa-FLOPS erzielt. Ein Exa-FLOPS entspricht einer Rechenleistung von 10 hoch 18 Rechenschritten pro Sekunde, also einer Zahl, die größer ist als die Anzahl der Sterne in der Milchstraße und der Andromedagalaxie zusammen (FLOPS: Floating Point Operations per Second; Exa: eine Trilliarde, also eine Eins mit 18 Nullen oder 10 hoch 18). Jeder Mensch trägt von Geburt an eine kompakte Version eines solchen Computers in sich – das Gehirn. Das HBP will also innerhalb von zehn Jahren mit der KI das schaffen, wofür die Evolution Milliarden von Jahren gebraucht hat.
Erhöhte Effizienz durch Kooperation
Am Anfang dieses Großprojekts, an dem über hundert Forschungseinrichtungen und Firmen beteiligt sind, stand der Aufbau eines internationalen Forschungsnetzwerks. Neurowissenschaftler*innen, Informatiker*innen und andere Spezialist*innen unterschiedlicher Disziplinen tauschen sich darin heute miteinander aus. Gemeinsam untersuchen sie das menschliche Gehirn so detailliert wie nie zuvor – beginnend bei der molekularen Ebene bis hin zu den Verbindungen, die komplexe kognitive Prozesse ermöglichen. Da diese Forschungen auch ethische Fragen berühren, sind auch Philosoph*innen an Bord.
Damit solch eine Kooperation reibungslos funktioniert, muss sich der Austausch innerhalb der Wissensgemeinschaft verbessern. Bisher gibt es keine internationalen Standards für neurologische Forschung, und die Ergebnisse werden von Organisation zu Organisation unterschiedlich strukturiert. Das erschwert es, den aktuellen Forschungsstand in einem einheitlichen Modell zu erfassen. Mit dem HBP soll sich das ändern: Auf das neue Wissen, das bei dem Projekt entsteht, sollen Forschende aus der ganzen Welt zugreifen und es für ihre eigenen Projekte einsetzen können. Dafür will das Projekt eine internationale Plattform aufbauen, die neurowissenschaftliche Daten für alle einheitlich aufbereitet. Die Erkenntnisse können dann beispielsweise auch für medizinische Forschung genutzt werden.
Eine KI zum Händeschütteln
Während das HBP in Genf dem Aufbau des Gehirns auf der Spur ist, basteln Forscher*innen in München an einem Roboter, der den menschlichen Körper in seiner gesamten Raffinesse nachahmen soll. Dieser Roboter mit dem Namen Roboy ist sozusagen das Gesicht, die Arme und Beine, das Fußgelenk, der Hüftschwung und der Augenaufschlag des HBP.
Die Geschichte von Roboy begann 2013 an der Universität Zürich, wo sich Informatiker*innen, Ingenieur*innen und Mechatroniker*innen zusammenschlossen, um einen Roboter zu entwickeln, der dem Menschen – technisch betrachtet – in nichts nachsteht. Die Forschenden kamen aus ganz Europa zusammen und bezogen sogar Partner*innen von anderen Kontinenten mit ein: So lieferten zum Beispiel Forscher*innen der Universität Melbourne mit ihrem Wissen über die Muskelsteuerung einen entscheidenden Beitrag für die Software, die Roboys motorische Fähigkeiten steuert. Im Gegenzug werden sie vom Roboy-Team mit hochwertiger Hardware für ihre eigenen Projekte ausgestattet.
Der Roboter Roboy kann bereits Radfahren und einen Plattenspieler bedienen. 2020 soll er sogar medizinische Diagnosen treffen können.
| Foto: © Roboy 2.0 – roboy.org
Mittlerweile ist der Roboter an die Technische Universität München umgezogen. Dort beschäftigt sich jedes Semester ein neues Team von Studierenden aus verschiedenen Disziplinen damit, Roboy etwas Neues beizubringen. Sie leiten ihn etwa an, mit zwei Menschen gleichzeitig eine Unterhaltung zu führen oder Xylophon zu spielen. Alle gewonnenen Erkenntnisse stellen sie auf einer Robotik-Plattform im Internet frei zur Verfügung. Von der Mechanik seiner Füße bis zum Schaltplan, der Roboys Augen sehen lässt: Die komplette Anatomie des Roboters wird im Open-Source-Portal erklärt und steht zum Download bereit, sodass jeder Laie, Forschende oder Tech-Geek das technische Wissen abrufen und weiterentwickeln kann.
Und der kleine Roboter lernt rasant: Roboy kann bereits Rad fahren und einen Plattenspieler bedienen. Künftig erwartet ihn eine Karriere als Kellner und Tischler – Berufe, die außergewöhnliche motorische Vielseitigkeit erfordern.
Dem Menschen so ähnlich wie keine Maschine zuvor
Und 2023? Bis dahin will das HBP sein Ziel erreichen und einen Computer entwickelt haben, der dem menschlichen Gehirn in nichts nachsteht. Bis es soweit ist, gilt es noch einige Hürden zu überwinden. So ist beispielsweise für die Rechenleistung von einem Exa-FLOPS noch so manch technischer Schritt nötig. Um die Geschwindigkeit und Speicherkapazität des menschlichen Gehirns auch nur ansatzweise zu simulieren, braucht es Unmengen an Energie. Das setzt Entwicklungsarbeit im Bereich der energieeffizienten Rechenleistung voraus, die letztendlich auch die klassische Industrie revolutionieren könnte.
Sollten diese Hürden aber überwunden werden, ist die Zukunft des Roboy beeindruckend: Fusioniert mit dem Exa-FLOPS-„Gehirn“ vom HBP würde er in seinen Fähigkeiten einem Menschen ähneln, wie keine Maschine zuvor. Dies wirft natürlich fundamentale ethische Fragen auf: Ein Ethikkomitee ist daher seit jeher ein enger Begleiter des Projekts. Dafür, dass eine Begegnung mit Roboy nicht als bedrohlich wahrgenommen wird, sorgen hingegen schon sein charmanter Augenaufschlag und das Motto des Roboters: „Be friendly“.