Zypern in fließenden Dimensionen

Auf dem Bild zu sehen ist die Insel Zypern als Satellitenaufnahme bei Nacht. Man kann zudem verschiedene gelbe Punkte und weiße Sterne auf der Insel erkennen, welche im dunklen Mittelmeerraum aufleuchten.
© Demetris Shiammas

Eine Navigation der Insel mithilfe von Sternen, die die Frage stellt „Wie verlässlich sind Landkarten?“

Maria Hadjimichael spricht mit dem Kurator Evagoras Vanezis, dem Fotografen Stelios Kallinikou und der interdisziplinäre Künstlerin Korallia Stergides über ihren Beitrag zum Atlas of Mediterranean Liquidity – die Karte Take Us to the Water aus Zypern.

Maria: Alle Karten des Projekts Atlas of Mediterranean Liquidity und somit auch der zyprische Beitrag sind interaktiv. Die Karte Take Us to the Water unterscheidet sich aber deutlich von den anderen. Es handelt sich nämlich um eine Nachtkarte, auf der die Orte des Wassers als funkelnde Sterne dargestellt sind. Der Fokus liegt also nicht auf menschengemachten Lichtern, sondern auf Wassermotiven, die Stelios an verschiedenen Orten eingefangen hat, begleitet von Videoarbeiten und einem von Korallia geschriebenen und vorgelesenen Gedicht. Evagoras, erzähle uns doch etwas mehr darüber, warum du dich für diese Art der Präsentation für die zyprische Karte entschieden hast.

Evagoras: „Liquidität“ ist ein Wort, das mit zahlreichen Assoziationen und Konnotationen besetzt ist: Es bedeutet, dass etwas fließend ist, verbindet, überläuft. Das Stichwort „Liquidität“ kann eine ganze Reihe an Gedanken und Interpretationen auslösen. Da es bei diesem Projekt um Kartierung geht, war es wichtig, eine Landkarte zu erstellen, die Zypern widerspiegelt. Mein erster spontaner Gedanke dazu war: Wie können wir über einen fließenden Zustand sprechen, wenn wir tagtäglich mit Teilung, mit Einschränkung von Mobilität, mit der Tatsache, dass wir nicht mehr einfach zum Wasser gehen können, wo wir wollen, konfrontiert sind? Das passt auch gut zu deinem Forschungsthema, Maria, über Küsten, Küstenpolitik und deren andauernde intensive Privatisierung. Küstenlinien verändern sich, sie werden von Kräften übernommen, die wir nicht verstehen können, die für uns nicht nachvollziehbar sind. Aber wir sehen die Folgen in der Landschaft, wir sehen, wie sich Infrastrukturen verändern. Plötzlich ist ein Ort, zu dem man einfach gehen konnte, nicht mehr zugänglich. Wie können wir Umweltinitiativen und politischen Strömungen den Rücken stärken, die Alternativen vorschlagen und dafür einstehen?

Ich entschied mich dazu, „Liquidität“ als Metapher, als eine dynamische Idee zu sehen, die sowohl den „Wasser-Transit“ als auch die Art und Weise, wie er blockiert und umgeleitet wird, beinhalt.

Maria: Kannst du erklären, was du mit „Wasser-Transit“ meinst?

Evagoras: Ich habe mir dieses Konzept in der Arbeit von Astrida Neimanis genauer angesehen. Sie stellt die These auf, dass Wasser materielle Formen von Zugehörigkeit und Ausgeschlossenheit schafft. Und da wir als Menschen Wasserkörper sind, sind wir untrennbar mit der Karte verbunden. Ich habe mich dann an Stelios und Korallia gewandt, die beide in ihrer Arbeit über ihre verkörperten Erfahrungen sprechen. Alle Arbeiten auf unserer Karte beschäftigen sich mit Navigation: Wie kommt man von einem Punkt zum nächsten, als Wasserkörper, der mit allen anderen Strömen verbunden ist. Dabei greift die Karte ganz unterschiedliche Themen auf - Geschichte, Orte, Zeit, Geologie, Politik, …

Maria: Evagoras hat gerade erzählt, wieso er auf dich zugekommen ist, Stelios. Kannst du uns ein bisschen mehr dazu sagen, wie du die Fotos für Take Us to the Water ausgewählt hast?

Stelios: Zunächst haben wir uns überlegt, wie moderne Technologien den Menschen in den Mittelpunkt einer Karte rücken. Man sucht zum Beispiel etwas auf seinem Telefon und plötzlich ist man selbst ein Punkt auf der Karte. Vor einigen Jahrhunderten, sogar noch vor einigen Jahren, haben die Menschen navigiert, indem sie zum Himmel, zu den Sternen geschaut haben. Heute schauen wir fast jeden Tag auf unser Handy. Da dachten wir, dass es doch interessant wäre, Sterne auf unserer Zypernkarte zu verwenden, um interessante Orte zu markieren. Und dann habe ich darüber nachgedacht, wie sehr wir auf Karten, als zuverlässiges Mittel zur Navigation vertrauen. Deshalb habe ich mitten in Nikosia das Foto „Brücke“ platziert.

Maria: Eine Steinbrücke zwischen zwei Felsformationen über dem Meer. Das sieht gar nicht wie Nikosia aus?

Stelios: Es ist ein Foto, das ich in Portugal aufgenommen habe. Ich fand, das ist ein guter Ausgangspunkt, um die Verlässlichkeit von Karten einmal grundsätzlich zu hinterfragen. Indem ich ein Bild, das nicht in Nikosia existiert, sondern am anderen Ende von Europa, auf der Karte in Nikosia verorte. Gleichzeitig fungiert die Entscheidung, die Brücke gerade in Nikosia, einer geteilten Stadt, zu platzieren, als Metapher für eine Infrastruktur, die Menschen verbinden kann.

Maria: Deine Arbeit befasst sich auch noch mit anderen Themen…

Stelios: Ja, ich habe ein Foto ins Meer gesetzt, zwischen der Türkei und Zypern. Die Diskussion über unsere Seegrenzen mit der Türkei dauern an, aber wir machen uns keine Gedanken darüber, was Bohrungen unter Wasser für andere Lebewesen bedeuten und dass wir nicht die Einzigen sind, die ein Recht am Meer haben. Ich habe neulich gelesen, dass die Geräuschkulisse der Bohrmaschinen für Meerestiere furchterregend ist.

Für mich ist es eine politische Entscheidung, ob etwas auf einer Karte dargestellt wird oder nicht. Es gibt vieles, das für nicht wichtig genug erachtet wird, um auf einer Karte zu erscheinen. Wie kann man zum Beispiel mit einem Gedicht durch eine Landkarte navigieren oder aus der Perspektive der Tierwelt?

Maria: Das führt uns zu Korallias Gedichten und Videos. Korallia, kannst du uns etwas mehr darüber erzählen, was du für Take Us to the Water erarbeitet hast?

Korallia: Meine Arbeit ist von meiner Familiengeschichte, insbesondere meinem Onkel, inspiriert. Ich komme aus einer Familie von Geflüchteten [die aus Karpasia fliehen mussten und sich später in Famagusta und Akamas niederließen]. Sowohl mein Vater als auch mein Onkel waren 1974 hier. Ich hatte eine Karte vor Augen, die mein Onkel in seinem Haus in Akamas hat. Und ich wollte unbedingt über den Weg sprechen, den sie gegangen sind, und ihn widerspiegeln, so wie Akamas ein Spiegel der Landschaft von Karpasia ist. Wie spricht man aber über den Schmerz und das Trauma einer Generation, wie bringt man ihn auf eine Landkarte? Ich entschied mich für ein Briefformat und für meinen Onkel als zentrale Figur, um darüber zu sprechen. Dabei wurde mir klar, was für meinen persönlichen Heilungsprozess entscheidend ist. Es ist das Wasser. Ganz ins Wasser einzutauchen. Ich glaube, wir nutzen alle das Wasser, in all seinen Erscheinungsformen.

Maria: Inwiefern hat die Geschichte deines Onkels, der in den Videos auf der Karte zu sehen ist, deinen Beitrag zur zyprischen Karte beeinflusst?

Korallia: Die Körperlichkeit meines Onkels, die Veränderung seiner Mobilität, hat bei mir einen Denkprozess darüber ausgelöst, wie wir uns mithilfe von Karten zum Land verhalten. Sehr beeindruckt hat mich auch seine Entschlossenheit einen Ort zu erreichen, selbst wenn er ihn nicht mehr in einer aufrechten Position erleben kann, sondern nur noch in der Horizontale.

In einem der Videos versuchen wir die Insel Sterkos ausfindig zu machen. Sie befindet sich direkt gegenüber der Karpasia-Halbinsel, wo wir früher wohnten. Im Winter wird die winzige Insel überflutet, im Sommer taucht sie wieder auf. Sie haben sie nach ihrem Familiennamen benannt. Das spielt für mich mit der mythologischen Frage, was wirklich da ist und was nicht. Und wenn etwas da ist, wie gehst du damit um, wie verhältst du dich dazu?

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