Graffitispaziergang durch München
Kunst im Verborgenen
München hat eine lebendige Street-Art-Szene. Die offenbart sich aber nicht gleich jedem Besucher, sondern möchte gefunden werden. Ein Spaziergang an die Orte mit den schönsten und fantasievollsten Graffiti der Stadt.
Gemütliche Biergärten und schicke Einkaufsstraßen: Dieses Bild von München haben viele Besucher im Kopf. Die bayerische Landeshauptstadt steht in dem Ruf, die Stadt des Schicki-Micki zu sein. Street Art, das passt auf den ersten Blick nicht zu München. Anders als etwa Berlin wirkt die Stadt geschniegelt und irgendwie aufgeräumt.
Trotzdem haben Graffiti, die einen großen Teil der Street Art ausmachen, eine lange Tradition in der Stadt an der Isar, wie der Künstler und Autor Martin Arz bei Recherchen zur Anthologie Street Art in München festgestellt hat: „Es ist bizarr, dass heute alle nur von Berlin und Hamburg sprechen, denn die Ursprünge der deutschen Graffiti-Bewegung liegen in München. Das Sauber-Image der Stadt ist ein Zerrbild.“
Es lohnt sich in München also, genau hinzusehen: Wer mit aufmerksamem Blick durch die Stadt geht, kann fantastische Street Art entdecken. Die folgenden Tipps führen durch die Stadt und stellen die zehn besten Graffiti-Spots vor. Ein Spaziergang auf den Spuren der Münchner Street Art.
Alter Schlachthof
Tumblinger Straße/Ecke Ruppertstraße, 80337 München48°7'23"N, 11°33'17"O
Die mehrere Meter hohe Backsteinmauer des Alten Schlachthofs ist einer der bekanntesten Plätze für Sprayer in München. Die Stadt stellt ihnen die Fläche als legale Möglichkeit für ihre Kunst zur Verfügung. Am Wochenende trifft man hier oft junge Künstler bei der Arbeit. Kein Zentimeter Fläche wird verschenkt, alles besprüht. Da die alte Mauer mittlerweile einsturzgefährdet ist, wurde ein Holzzaun errichtet. Die ursprüngliche Farbe des Zauns lässt sich nicht einmal mehr erahnen, denn auch den Zaun haben die Künstler verziert. Dabei wurde großflächig vorgegangen: Auch ein Parkscheinautomat vor dem Zaun hebt sich kaum noch von seiner bunten Umgebung ab, sondern scheint sich wie ein Chamäleon dem Hintergrund anzupassen.
Hinweis: Die erste Station erreicht man leicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln. An der U-Bahn-Haltestelle Poccistraße (U3/U6) aussteigen.
Brudermühlbrücke
Brudermühlbrücke, Flaucher, 81543 München48°6'46"N, 11°33'39"O
Nordöstlich von der Tumblinger Straße liegt eine weitere zentrale Fläche für die Münchner Sprayer-Szene: die Brudermühlbrücke. In Zusammenarbeit mit der Stadt wird die Brücke einmal im Jahr von Street Artists neu gestaltet. Auch die Sprayer-Größen Münchens lassen sich diese Möglichkeit nicht entgehen und haben in der Vergangenheit künstlerisch anspruchsvolle Werke von höchster Ästhetik geschaffen. Die Arbeiten an den dicken Brückenpfeilern aus Beton im Flussbett der Isar beeindrucken schon aus der Ferne. Ihr Detailreichtum macht es aber auch lohnenswert, näher an die Graffiti heranzutreten, über denen der Verkehr auf der Brudermühlbrücke hinwegrauscht.
Trafohaus, Schyrenbad
Claude-Lorrain-Straße 24, 81543 München48°7'11"N, 11°34'11"O
Street Artists haben im Auftrag der Stadt etliche Gebäude der Stadtwerke München gestaltet. Das Trafohaus vor dem Eingang des Schyrenbads ist ein besonders gelungenes Beispiel ihrer Arbeit. Bei der künstlerischen Gestaltung haben die vier beteiligten Künstler den Standort offensichtlich als Inspiration genutzt: Die Wände des Trafohauses zeigen eine karibische Strandlandschaft. Doch in der seichten Bucht, über der der rosarote Schriftzug „Just do it“ schwebt, lauert die Gefahr: Im türkisblauen Wasser tummeln sich allerlei Ungetüme, die einem den Badespaß gehörig vermiesen könnten. Zum Glück ist das Schyrenbad mit dem sicheren Schwimmerbecken gleich nebenan.
Katzen
Schyrenstraße, 81543 München48°7'16"N, 11°34'12"O
So einfach wie genial: Ein hervorragendes Beispiel für sogenannte Stencils, auch Schablonengraffiti genannt, findet sich wenige Meter vom Trafohaus entfernt. Mit Hilfe einer vorbereiteten Schablone lässt der unbekannte Künstler schwarze Katzen an der Mauer entlangstreichen. An den Beton über den Tieren hat er einen weißen Farbbeutel geworfen. Es sieht so aus, als würden die Katzen sich nach der weißen Flüssigkeit recken und die heruntergelaufene „Milch“ vom Boden auflecken. Da Stencils sich leicht mehrfach verwenden lassen, finden Aufmerksame das Katzenmotiv – wie viele andere Stencils – an den unterschiedlichsten Ecken Münchens wieder.
Copy Paste
Wittelsbacherstraße, Höhe Klenzestraße, 80469 München48°7'30"N, 11°34'16"O
Politische Botschaft gegen das Plagiieren von wissenschaftlichen Arbeiten? Oder ironische Auseinandersetzung mit der eigenen Kunst? Am westlichen Isarufer zwischen Reichenbachbrücke und Wittelsbacherbrücke findet sich ein weiteres interessantes Stencil. Seine Wirkung entfaltet der „Copy Paste“-Schriftzug durch die gut gewählte Platzierung über dem Mauersockel und die mehrfache Aneinanderreihung der Schablone. Das Stencil scheint die Aufmerksamkeit anderer Sprayer auf die Mauer gelenkt zu haben, die sich oberhalb der Schriftbanderole austoben – mit wenig ambitionierten Tags und Schmierereien. Nicht jedes gesprühte Wort ist eben gleich Street Art.
Isarspaß I
Fußgängerunterführung Reichenbachbrücke, Westseite, 80469 München48°7'40"N, 11°34'36"O
Die Street Art an den Wänden dieser Unterführung setzt sich mit einem wichtigen Freizeitziel der Münchner Bevölkerung auseinander: der Isar. Ein sehr entspannt aussehender Mann in Freizeitkluft reitet auf einem Kasten Bier auf den Wellen des Flusses, in der Hand eine Bierflasche. Und auch der Würstl-Grill darf nicht fehlen (am Isarufer darf im Gegensatz zu vielen Münchner Parks gegrillt werden). Bei so viel Lässigkeit bleibt dem älteren Herrn auf der gegenüberliegenden Wand nur, seinen Jägerhut mit Gamsbart zurechtzurücken, den Dackel schleunigst weg vom Boden auf den sicheren Arm zu heben und das Weite zu suchen.
Bayerischer Löwe
Fußgängerunterführung Ludwigsbrücke, Ostseite, 81667 München48°7'54"N, 11°35'15"O
Unterhalb der Ludwigsbrücke findet sich ein Graffito, das einen engen Bezug zur Stadt hat. Es zeigt den bayerischen Löwen, auf dessen Rücken ein „Münchner Kindl“ reitet. In der Hand hat es eine Maß Bier, als käme es direkt vom Oktoberfest. Die Arbeit stammt vom Münchner Künstler Loomit. Er ist seit Jahrzehnten eine Größe der Szene und hat internationale Bekanntheit erlangt. Nichtsdestotrotz laufen viele Passanten einfach an dem Graffito vorbei, ohne es zu entdecken. Das kann etwas mit seiner Lage zu tun haben: Es wölbt sich quer über die Decke und ist im schlecht einsehbaren Mittelteil der Unterführung aufgemalt. Auch Arbeiten von Os Gemeos sind in der Unterführung zu sehen.
Isarspaß II
Zellstraße, Isarinsel/Muffathalle, 81667 München48°7'60"N, 11°35'23"O
An den Mauern vor der Muffathalle tummeln sich bunte, kartoffelförmige Fantasiewesen. Und wieder spielte das Element Wasser bei der Motivwahl eine große Rolle: Zwei Figuren entspannen auf einem Floß und lassen sich umherschippern, während sie sich mit ihren Bierkrügen in der Hand zuprosten, andere baden. Bei einer weiteren Figur wurden die örtlichen Gegebenheiten wunderschön ins Graffito miteinbezogen: Die Figur schläft auf dem Rücken und liegt quasi auf der oberen Kante einer Maueraussparung. Außer den gut gelaunten Kartoffelwesen gibt es aufwendig gesprühte Schriftzüge, sogenanntes Graffiti Writing, zu sehen.
Friedensengel
Unterführung Prinzregentenstraße/Luitpoldbrücke,80538 München
48°8'29"N, 11°35'49"O
Der Friedensengel ist eine viel fotografierte Sehenswürdigkeit. Doch nicht nur der Blick nach oben auf das Denkmal, das aus 38 Metern Höhe auf die Stadt schaut, lohnt sich. Die Unterführung unter dem Friedensengel zieren fantasievolle Graffiti unterschiedlicher Künstler, darunter Loomit, Flin und Flying Förtress. Vertikale Lichtröhren teilen die Wände in fast quadratische Parzellen, jede ist unterschiedlich gestaltet. Es fühlt sich fast so an, als würde man durch eine Galerie schreiten, wenn man an den von Neonlicht flankierten Arbeiten vorbeiläuft. Die Auseinandersetzung mit ihrem Arbeitsort hat einige Sprayer dazu bewogen, ihre Street Art-Version des Friedensengels zu entwerfen – mal mehr, mal weniger frei interpretiert.
Hinweis: Zu Station 10 kann man den Bus der Linie 100 nehmen. An der Reitmorstraße westlich des Friedensengels zusteigen und bis zur Haltestelle Ostbahnhof fahren.
Kultfabrik-Gelände
Grafinger Straße, Ostbahnhof, 81671 München48°7'26"N, 11°36'27"O
Wenn all die Feierwütigen, die es in den Nachtstunden Richtung Kultfabrik zieht, nur ahnen würden, was sie in der Dunkelheit verpassen! Das Gelände direkt am Ostbahnhof beheimatet viele Clubs – und überall ist Graffiti. Vor manchen Werken liegen noch die Sprühdosen, die „Cans“, auf dem Boden. Eine der eindrucksvollsten Arbeiten ist die mehrere Meter hohe Figur der Künstler Os Gemeos, die eine komplette Häuserrückwand einnimmt. Das Motiv passt sich farblich an den Hintergrund an und fügt sich perfekt in die Umgebung ein. Seine Lage und schiere Dimension (und vielleicht seine meisterliche Ausführung) haben es bisher immer davor geschützt, übermalt zu werden.
Hinweis: Damit ist die letzte Station des Graffiti-Spaziergangs durch München erreicht. Street Art ist vergänglich und läuft immer Gefahr, übermalt oder entfernt zu werden. Wer den Weg abläuft, sieht vielleicht nicht mehr das, was noch auf den Fotos zu sehen ist – oder noch viel mehr. In ganz München lassen sich Graffiti, Stencils und Sticker entdecken. Wer mit offenen Augen durch die Stadt läuft, wird fündig werden.