Goethes Pfadfinder
München im Weiberfaschingsfieber
Bayerische Volkskultur in Gestalt des 21. Jahrhunderts durch die Augen einer Architekturhistorikerin
Von Kristýna Drápalová
Ich machte mich also auf den Weg zum Weiberfasching nach München. Die bayrische Volkskultur ist für mich ein böhmisches Dorf (als ich in einem Berliner Secondhandshop ein Dirndl kaufte, erkannte ich nicht einmal, dass es ein Dirndl war) - und auf dem letzten Maskenball war ich als kleiner Teddybär in der Sporthalle meiner Prager Grundschule in der Plattenbausiedlung. Außerdem mag ich keinen Lärm und schon gar keinen übermäßigen Alkohol. Also sah das zusammen in meiner Fantasie nach einem wirklich sehr unterhaltsamen Abend aus.
Ein bunter Regen im Februar der Zeitlosigkeit
Februar ist kein Monat, der einer Stadt besonders schmeichelt - und so konnte ich mir nicht einmal München in ganzer Pracht vorstellen. Ob hier bei diesem geschmolzenen Schnee und feuchtem Nebel wohl so ein Thomas Mann oder Lion Feuchtwanger spaziert sind? Absurde Vorstellung. Ich verstehe aber, warum Fasching gerade jetzt stattfindet: wann sonst sollte man versuchen seine Laune zu heben und das Blut in den Adern beim Faschingstanz zum Pulsieren zu bringen, als genau jetzt in dieser grauen Zeitlosigkeit?Die Ersten, die ich traf, waren Schneewittchen mit einem leicht bauchigen König. Sie konnten den Abend kaum erwarten. Ein paar Stunden später lockten mich die Geräusche, begleitet von jeglicher Art menschlicher Zusammenrottung, zum Vitalienmarkt. Die Faschingsparty fing gerade an - aber das es auch um Fasching ging, erkannte man nur an den Plakaten. Es hatte kaum mehr etwas von der Atmosphäre einer authentischen Volkstradition: auf einer kleinen Bühne rekelten sich Mädchen in Lolita-Kostümen, der Moderator im Frack lachte krampfhaft und aus den Boxen tönte eine seltsame Musikmischung. Die Leute standen da und tranken Bier. Ich konnte das Ganze nicht verstehen: Kaltes Bier im Februar-Frost? Diese kurzen Röckchen? Die orangefarbenen Nylon-Perücken? Wem kann das denn Spaß machen? Die Musik zu schwach, zum Reden zu laut, für Bier zu kalt.
Biene Mayas, Polizistinnen und Seemänner
Und schon marschierte ich mit entschlossenem Schritt auf die andere Seite der Isar: Der Hofbräukeller, ein Eckhaus in einem angesehenen Stadtteil, wurde bereits belagert von rauchenden Masken – drinnen waren Zigaretten zum Glück verboten. Ich stellte mich also in die Schlange, zahlte den horrenden Eintritt, regte mich über den weiteren Euro für die Garderobenfrau im Kostüm à la Avril Lavigne auf und begann mich nervös umzuschauen. Ein älterer Seemann musterte mich mit dem üblichen verlebten Blick. In meinem Ballonrock mit Herzen und dem rosa T-Shirt mit Fransen hätte ich überall exzentrisch ausgesehen - nur leider hier nicht. Ich war hier noch die am wenigsten extravagante Person von allen: um mich herum bewegten sich Banden von Polizistinnen, arabischen Scheichs, Biene Majas und jede Menge Prostituierte aller Altersgruppen. Die Vielfalt und Qualität der Kostüme war blendend - und die Vorstellung, wie viel Mühe sich ihre Träger damit machten, ziemlich unheimlich. Hatten sie keine wichtigeren Dinge zu tun? Die Eurozone bricht zusammen, der Extremismus wächst und die Gletscher schmelzen - und ein paar hundert Menschen verbringen Wochen mit dem Nähen eines Fliegenpilzkostüms. Klar.Der DJ von Radio Arabella legte internationale, abgehörte Hits auf, an der Decke bebten die Luftballons im Takt der Dezibel und überall hingen Plastikgirlanden. Es war bemerkenswert, dass sich die Menschen wirklich amüsierten - und es schien so natürlich für sie. Mütter in Latex-Kostüme gepresst fanden sich nicht peinlich, die Schwärme von Marienkäfern auch nicht und eine Augenklappe gab offensichtlich einigen Männer das Gefühl der Männlichkeit. Einsam und verlassen wanderte ich durch die Tanzgrüppchen. In einer Ecke entdeckte ich eine ähnlich vereinsamte Schachfigur, also tanzte ich eine Weile an ihrer Seite. Die Moderatorin kündigte derweil irgendetwas an. Dieses Mal ging es wahrscheinlich um die Kopfbedeckung - und einige von ihnen waren wirklich beeindruckend. Während ich auf den Zehenspitzen balancierte, um nichts zu verpassen, rempelte mich ein veralteter Harry Potter an. Vollkommen betrunken. Zu den Klängen des Hits „Should I stay, should I go“ entschied ich mich für „Should I go“ und bahnte mir meinen Weg zum Ausgang. Ich hatte scheinbar schon alles gesehen - die Kostüme fingen an sich zu wiederholen. Am Ende siegte für mich unter all den Prinzessinnen, leichten Damen, Soldaten und Tieren die Frau Wand – aus gutem Backstein. Und vor allem nur einmal vorhanden.
Köln im Weiberfaschingsfieber | Foto: Kzenon, Colourbox
Nach dem Fasching kommt das Fasten
In der kalten Nachtluft auf dem Weg zum Hotel ziehe ich Bilanz. Weiberfasching entspricht auf jeden Fall nicht meinen Vorstellungen von einem schönen Abend. Es gab aber ein paar sympathische Augenblicke - vor allem die Generationenvielfalt. Auf der Abendveranstaltung konnte man sowohl Schüler, als auch Elvis Presley im authentischen Alter des King of Pop treffen. Letztendlich schätze ich auch, inwieweit die einheimischen Kostümierten in der Lage sind, sich da hineinzuversetzen und es wirklich zu genießen. Doch mir scheint, dass dieser Partyfasching den Sinn von dem verwischt, was die Faschingsfeierlichkeiten eigentlich sein sollten.Nach der Faschingszeit sollte nämlich eine vierzigtägige Fastenzeit vor Ostern folgen: eine Zeit der Stille, der Beschaulichkeit und Bescheidenheit. Vor der Fastenzeit ist es daher sinnvoll, sich noch einmal zu amüsieren - und dem kargen grau-weißem Winter mit einem Farbentanz und üppigem Festmahl zu trotzen. Aber um wirklich in der Lage zu sein, Fasching als eine Art Triumph des Lebens und nicht nur als eine Maske in einer verrauchten Disko zu erleben, muss man sich darauf vorbereiten. Auch mental – früher gingen der Faschingsnacht mehrere Feiertagen vorweg, die den Menschen darauf einstimmen sollten. Aber diese kennen wir heute nicht einmal mehr - und wer von uns fastet noch? Fasching ist - zusammen mit Weihnachten und Ostern - nur einer der Feiertage, die wir heute nicht mehr zu erleben wissen. Wir reißen einige Traditionen aus dem Zusammenhang, imitieren ihre äußeren Merkmale und nutzen sie nur noch dafür, unser sonst so eintöniges Jahr zu verschönern - ohne zu versuchen, ihren tieferen Sinn zu verstehen. Wirklich schade.
Die fünfte Jahreszeit | Foto: Birgit Reitz-Hofmann / Colourbox (Ausschnitt)
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