„Alles hat seine Zeit“: Redewendungen, die Luther vor 500 Jahren verwendet hat, gebrauchen wir noch heute. Die Ausstellung „Aufs Maul geschaut“ lädt dazu ein, Wörter zu fühlen, zu hören, zu lesen und zu erleben. Ein Gespräch mit Kurator Friedrich Block.
Worum geht es in der Wanderausstellung „Aufs Maul geschaut. Mit Luther in die Welt der Wörter"?
Friedrich Block: Das Einwirken Martin Luthers auf die Entwicklung der deutschen Sprache und auf das heutige Deutsch stehen im Mittelpunkt der interaktiven Ausstellung. Wendungen, wie „Alles hat seine Zeit“, „In deiner Hand“ und „Unser täglich Brot“ verwendete Luther in seinen Schriften, insbesondere in seinen Bibelübersetzungen und hat sie dadurch literaturfähig gemacht und über Jahrhunderte bewahrt. Wir gebrauchen sie noch heute. Acht Installationen beleuchten die Sprachgeschichte, aber auch ästhetische Qualitäten wie die Schrift oder den Klang.
Wie hat Luther das Deutsch, das wir täglich verwenden, geprägt?
Weit über die Wendungen hinaus, die ich eben erwähnt habe, hat Luther für eine Einigung des Schriftdeutschen gesorgt: Nieder- und Oberdeutsch ist zusammengeführt worden. Das Deutsch, das wir heute sprechen, hat er maßgeblich geprägt. Für jeden eingänglich sind Ausdrücke, die er zum Teil selbst erfunden hat. Wörter und Wendungen, die wir gebrauchen, ohne zu wissen, wo sie genau herkommen. „Dem Volk aufs Maul schauen“ ist zum Beispiel ein geflügeltes Wort, das aus dem Sendbrief vom Dolmetschen kommt: Man soll den Leuten „auf das Maul sehen“, um den aktuellen Sprachgebrauch zu studieren. Solche Wendungen verdichten sich und entwickeln so die Kraft über Jahrhunderte hinweg überdauern zu können.
Wie lässt sich Sprache ausstellen?
Sprache ausstellen heißt, sie für den Ausstellungsraum zu konzipieren – vierdimensional und multimedial. Sie ist nicht flach, sondern visuell, klanglich und vollzieht sich in der Zeit. Um zum Beispiel die Wendung „Alles hat seine Zeit“ räumlich erlebbar zu machen, haben wir uns mit der Bedeutung des Wortes auseinandergesetzt.
Ursprünglich, vom Indogermanischen her, steht Zeit mit einem Prozess des Reißens und Zerteilens in Verbindung. Entstanden ist eine Installation in Form eines riesigen Papierblocks, unterteilt in abreißbare Fragmente, die jeweils mit literarischen und dokumentarischen Aspekten zum Thema Zeit versehen sind. In Interaktion mit den Besucherinnen und Besuchern, im Prozess des Abreißens, wird die Bedeutung versinnlicht.
Haben Sie ein weiteres Beispiel?
„Der Mensch ist zur Arbeit geboren, wie der Vogel zum Fliegen“ ist ein Zitat aus der „Predigt vom Ehestand“, das wie ein Sprichwort formuliert ist. Das Wort „Arbeit“ hat in der Reformationszeit eine positive Umwertung erfahren. Arbeit wurde nicht mehr als Last und Quälerei, sondern als gottgefälliges Dienen gesehen. Um darzustellen, dass „Arbeit“ immer wieder andere Bedeutungen erfährt, haben wir eine lange Liste von Wortzusammensetzungen ausgewählt, in denen „Arbeit“ auftaucht. Von „Fronarbeit“ bis „Arbeitsüberlastung“ alle paar Sekunden erneuert sich die Anzeigetafel. Das weist auch auf Luthers Wortkreativität hin, der selber viele Komposita erfunden hat, wie „Lückenbüßer“, „Feuereifer“, „Machtwort“, die sich in unserer täglichen Sprache wiederfinden.
Die acht Installationen werden in „Aufs Maul geschaut“ auch klanglich unter die Lupe genommen. Lautliche Prinzipien der Wendungen werden gefiltert und von einem achtstimmigen Chor, der aus einzelnen Klangelementen, aus Holz oder Kupfer besteht, intoniert. Zergliedert und in ein Klanggeschehen neu zusammengesetzt werden rhythmische Formen für das Publikum hörbar.
Was können wir noch heute von Luthers Sprachvermögen lernen?
Wir haben die Ausstellung in der neuen Kasseler Grimmwelt im Kontext der Brüder Grimm gezeigt. Dass diese ihr großes Wörterbuch der deutschen Sprache mit Lutherquellen beginnen ließen, zeigt die Wertschätzung für seine Sprachkraft. Was wir heute noch von Luther lernen können, ist sein wirkungsvoller, den Menschen naher Sprachgebrauch, ohne die Bedeutung zu verflachen, der Bilder- und Klangreichtum der Wörter und natürlich der Versuch, Sprache nicht zu einem elitären oder regional begrenzten, sondern erreichbaren Medium zu machen.
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Foto: Mike Schmidt
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Foto: Tomato Kosir
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Foto: Marko Duplišak
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Foto: Marko Duplišak
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Foto: Marko Duplišak