100 Jahre Bauhaus
Über die Frauen Architektinnen damals und heute
Lotte Beese als Architektur-Studentin am Bauhaus Dessau, um 1928 | Gemeinfrei
Welche Stellung hatten Architektinnen zu Beginn des 20. Jahrhunderts? Welches Bild hat man heute von ihnen und wie war das in der Zeit dazwischen? Schauen wir uns die fachbezogene und die gesellschaftliche Emanzipation der Frauen in den letzten einhundert Jahren einmal genauer an – wer sind diese 'modernen Frauen' eigentlich und was waren oder sind ihre Geschichten und beruflichen Erfolge?
Von Lucie Pantazopoulou Drahoňovská
Die ersten Pionierinnen der Moderne
Bei der Betrachtung der Rolle der Frauen in der Architektur hebt Kunsthistorikerin Mary Pepchinski die Bedeutung der Weimarer Verfassung hervor, die den Frauen politische Rechte sowie den neu gewonnenen Zugang zu Bildung und zu bis dahin ausschließlich Männern vorbehaltenen Berufen zusicherte. Pepchinski, Kuratorin der Ausstellung Frau Architekt im Deutschen Architekturmuseum (DAM) in Frankfurt am Main, befasst sich in diesem Kontext mit einigen bedeutenden Protagonistinnen der Moderne zwischen 1900 und 1930 in Deutschland: Emilie Winkelmann (nach ihrem Architekturstudium an der Technischen Hochschule in Hannover gründete sie bereits 1908 in Berlin ihr eigenes, erfolgreiches Architekturbüro), Marie Frommer (nach der Emigration in die Vereinigten Staaten entwarf sie Häuser und Innenausstattungen in New York), Lotte Cohn (nach E. Lasker-Schüler bereits seit 1921 die „sehr beschäftigte Architektin Palästinas“), Lotte-Stamm Beese (mit dem Brünner Architekten Bohuslav Fuchs realisierte sie einige Industriebauten in Schlesien und anschließend auch eigene Projekte in den Niederlanden). Das Quintett wird durch die talentierte Wera Meyer-Waldeck als einzige Architekturabsolventin des Bauhauses in Dessau vervollständigt, deren Diplomarbeit Mies van der Rohe persönlich betreute und das Diplom selbst unterzeichnete. Nach dem Zweiten Weltkrieg plante sie 1949 u. a. den Innenausbau des Bundestags in Bonn.Laut Pepchinski verband diese Architektinnen der innere Drang nach Emanzipation, Transformation der eigenen Ideale, eine nomadische Lebensweise sowie unaufhörliches Experimentieren, um die eigene Emanzipation zu verteidigen. Fakt ist auch, dass diese außergewöhnlichen, kreativen, klugen und unabhängigen Frauen den ständigen Vorurteilen der Gesellschaft die Stirn bieten mussten und zumeist ein Leben als Single wählten (mit Ausnahme von Stam-Beese, die nach ihrem Abgang vom Bauhaus eine Zeit lang alleinerziehend war). Das Recht auf Arbeit oder auf freies Leben war für verheiratete Frauen nämlich von der Zustimmung des Ehemanns abhängig.
Bauhausmädels wurden sie genannt
Einen spannenden Einblick zur Stellung der Frauen am Bauhaus, der legendären Architektur- und Designschule, vermittelt Patrick Rössler, deutscher Medientheoretiker und Co-Autor der umfangreichen Publikation Bauhausmädels (TASCHEN 2019). Er weist unter anderem auf die Tatsache hin, dass sich die Bauhaus-Frauen als emanzipiert betrachteten, obwohl sie trotz des progressiven Ansatzes der Hochschule und des geschlechtsneutralen Bildungszugangs im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen ständig mit Hindernissen konfrontiert wurden.„Diese Mädchen verkörpern den Typ 'Bauhausmädels', wie sie auf einem Druck aus der Zeit bezeichnet werden, die künstlerische Version der sog. 'Neuen Frauen der Weimarer Republik', die in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts populär war. Die jungen Mädchen führten in der Stadt ein unabhängiges, selbstbewusstes Leben, wobei sie mit der Lebensweise, die die Gesellschaft von ihnen verlangte, nicht einverstanden waren“, erklärt Rössler. Zugleich verweist er auf eine Untersuchung seiner Kollegin Anja Baumhoff, nach der sich männliche Strukturen vor allem im Weimarer Bauhaus zur Benachteiligung von Studentinnen auswirkten, besonders in Hinblick auf die freie Wahl des Ateliers für das Studium und auf die Möglichkeit, Atelierleiter zu werden. Im Gegensatz dazu konnten die Studentinnen in Dessau verschiedene Werkstätten besuchen (Architektur, Bildhauerei, Zeichnen, Tischlerei); der Mehrheit wurde allerdings die Textil- und die Keramische Werkstatt vorgeschlagen. Nur wenige wurden - wie Gunta Stölzl - zu „Jungmeisterinnen“. Außerdem wurden sie auch schlechter bezahlt als ihre Kollegen.
„Auch trotz aller genannten Defizite stellte das Bauhaus mit seiner gesellschaftlichen Bedeutung einen Ort zur künstlerischen und persönlichen Entwicklung junger Frauen aus ganz Europa dar, die im 20. Jahrhundert mit ihrem Schaffen einen Anteil am weltweiten Ansehen des Bauhauses in der Designbranche hatten,“ fasst Patrick Rössler zusammen. Er rät aber davon ab, die Frauen des Bauhauses heute als „Opfer“ ihrer Zeit abzustempeln und die Geschlechterbeziehungen an der Kunstschule mit den Standards der heutigen Gesellschaft zu beurteilen.
Tschechoslowakinnen am Bauhaus
Nach 1930 saßen auch Studentinnen aus der Tschechoslowakei in den Vorlesungssälen des Bauhauses. Neben Mathylde Wiener und Edith Rindler aus Prag war das auch die Deutsche Inge Stipanitz aus Mährisch Ostrau. Die Beziehungen zwischen tschechoslowakischen Studenten und Studentinnen und dem Bauhaus hat die Kunsthistorikerin Markéta Svobodová in der Publikation Bauhaus a Československo 1919-1938 (dt.: Das Bauhaus und die Tschechoslowakei, KANT, 2016) eingehend beschrieben. Die erste tschechische Architektin mit abgeschlossenem Studium überhaupt war 1921 Milada Petříková-Pavlíková, die sich nach deutschem Vorbild auf soziales Wohnen für Frauen spezialisierte.Architektinnen während des Sozialismus
Und wie sah es mit den sozialistischen Architektinnen der sechziger und siebziger Jahre in Ungarn, Polen, Estland und der Tschechoslowakei aus? In dieser Zeit trat neben Věra Machoninová, einer der Architektinnen, die in die Planung des Karlsbader Hotelkomplexes Thermal und des Kaufhauses Kotva involviert war, die erst kürzlich verstorbene Růžena Žertová in Erscheinung. Das Leben und Werk dieser anerkannten Brünner Architektin, Designerin für Innenausstattungen, Kleidung, Schmuck und Lampen wurde hauptsächlich von zwei männlichen Architekten beeinflusst: von ihrem Bruder Petr Žert und ihrem Lebenspartner Igor Svoboda.Zu den bekanntesten Projekten von Žertová gehören das Kaufhaus Prior in Pardubice und Košice sowie das Kaufhaus Labe in Ústí nad Labem. Ihre Bauten zeichnen sich durch die Betonung von rational-funktionalen und baulichen Lösungen aus, bei denen sie ihr Gefühl für bildkünstlerische Konzeptionen und Materialien einbringen konnte.
Als „First Lady“ der tschechoslowakischen Architektur wird Alena Šrámková oft bezeichnet. Sie wurde beispielsweise durch den Bau des postmodernen ČKD-Gebäudes an der Prager Metrostation Můstek, der Vorhalle des Prager Hauptbahnhofs, der Tyrš-Brücke in Přerov und des Gebäudes der Fakultät für Architektur der Tschechischen Technischen Universität (ČVUT) im Prager Stadtteil Dejvice bekannt. „Architektur ist immer ein Abbild ihres Schöpfers und dies ist strenge, rationale, genaue, schmucklose und wahrheitsgetreue Architektur. Und so ist auch die Architektin,“ sagt Radomíra Sedláková über Šrámková, u. a. Co-Autorin einer Publikation über diese Koryphäe der tschechischen Architektur. Sedláková macht dabei auf die Entschlossenheit aufmerksam, mit der Šrámková es schaffte, sich in ihrem männlichen Umfeld durchzusetzen, und auf die Tatsache, dass ihre Projekte gerade im Zuge der Zusammenarbeit mit ihnen entstanden. Alena Šrámkovás Schaffen besteht im Vergleich mit ihren bekanntesten männlichen Kollegen des Neorationalismus, dem Architekten Oswald Mathias Ungers, Aldo Rossi und John Hejduk, wie es im Übrigen auch eine der Co-Autorinnen des Buchs und gleichzeitig die Kuratorin der Architektursammlung der Nationalgalerie Prag, Helena Doudová, in ihrem Essay über den europäischen Neorationalismus beschreibt.
Dem Bild und der Rolle von Architektinnen widmete sich das Symposium Modern Woman—Architect eingehend, welches vom 31. Oktober bis zum 1. November von der Nationalgalerie Prag und dem Prager Goethe-Institut im Prager Messepalast (Veletržní palác) veranstaltet wurde.
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