Buchmesse Frankfurt 2020
Anne Weber erhält Deutschen Buchpreis
„Annette, ein Heldinnenepos“ von Anne Weber hat zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse den Deutschen Buchpreis für den Roman des Jahres erhalten.
Von Sabine Peschel
Digital und dezentral findet die Frankfurter Buchmesse in diesem Jahr statt, doch der Auftakt ist auch 2020 noch analog: Die Vergabe des Deutschen Buchpreises für das Buch des Jahres geschah wie seit vielen Jahren im Frankfurter Römer – vor kleinem, aber feinem Publikum: Fünf der sechs auf der Shortlist nominierten Autor*innen waren vor Ort, ein paar Verlagsmenschen, Vertreter*innen der Stadt Frankfurt und des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Techniker*innen und Journalist*innen. Alle anderen Interessierten konnten die Preisvergabe per Video-Livestream oder im Radio verfolgen.
Dank an eine tatsächliche Heldin
Und man hatte den Eindruck, dass der Beifall der Wenigen, die physisch im Saal sein konnten, in diesem Jahr besonders laut war, als nach einer knappen Stunde die Entscheidung bekannt gegeben wurde. Nicht, um für all die anderen, abwesenden Literaturmenschen zu kompensieren, sondern aus tatsächlicher Bewunderung für ein ganz besonderes Buch. Denn der Preis für Anne Webers Annette, ein Heldinnenepos zeichnet nicht nur ein Werk aus, das mit dem Format „Roman“ nur unzureichend beschrieben wäre, sondern auch eine Frau, „die Heldin nicht nur dieses Buches ist, sondern eine wirkliche Heldin“, wie es Anne Weber ausdrückte.„Anne Beaumanoir, dem wirklichen Menschen, der Frau, deren Geschichte ich hier erzähle“, galt der große Dank der in Paris lebenden Autorin. In ihrer Rede beschrieb sie das ganz und gar außergewöhnliche Leben der Frau, der sie ihr in reimlosen Versen abgefasstes Heldenepos widmete, die Geschichte der 96-jährigen Anne (Annette) Beaumanoir, die 1923 in der Bretagne in einfachen Verhältnissen geboren und schon als Jugendliche Mitglied der kommunistischen Résistance wurde.
Preis für eine Geschichte des Widerstands
„Die Kraft von Anne Webers Erzählung kann sich mit der Kraft ihrer Heldin messen“, begründete die Jury ihre Entscheidung. „Es ist atemberaubend, wie frisch hier die alte Form des Epos klingt, und mit welcher Leichtigkeit Weber die Lebensgeschichte der französischen Widerstandskämpferin Anne Beaumanoir zu einem Roman über Mut, Widerstandskraft und den Kampf um Freiheit verdichtet.“ Es ginge dabei um nicht weniger als die deutsch-französische Geschichte als eine der Grundlagen unseres heutigen Europas.Formvollendet und spielerisch erzählt Anne Weber im Stakkato das Leben Beaumanoirs, die, selbst fast noch ein Kind, in Paris zwei jüdische Jugendliche rettete – wofür sie von Yad Vashem später den Ehrentitel „Gerechte unter den Völkern“ erhielt. Und die sich nach dem Krieg mit ihrer betrogenen Liebe zur Kommunistischen Partei herumschlug, Ehefrau und Mutter wurde und in Marseille als Neurophysiologin ein ziemlich bürgerliches Leben führte, was nicht lange hielt. Beaumanoir engagierte sich auf Seiten der Unabhängigkeitsbewegung in Algerien und wurde deshalb 1959 zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Noch heute berichtet die reale Heldin an Schulen über ihr Leben im Widerstand.
Würdigung einer vielfältigen Shortlist
Die sechs Titel der Shortlist waren in diesem Jahr besonders heterogen. Zum ersten Mal standen auf der Shortlist mehr Autorinnen – vier zu zwei für die Frauen. „Wir haben diese Bücher ausgewählt, weil wir davon fasziniert waren, mit wie unterschiedlichen Formentscheidungen Autorinnen und Autoren gearbeitet haben“, kommentierte die Jury ihre Vorauswahl noch einmal rückblickend. „In vielen Fällen wenden sie sich historischen Stoffen zu und schaffen dabei etwas Entscheidendes: Sie machen sie zu etwas, was für uns ganz gegenwärtig ist. Sie schaffen etwas, was uns bewegt.“ Aus diesen Texten könne man etwas erfahren, was nur aus Romanen erfahren werden könne.Mit dem Deutschen Buchpreis zeichnet die Stiftung Buchkultur und Leseförderung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels jährlich zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse den deutschsprachigen „Roman des Jahres“ aus. Er ist mit insgesamt 37.500 Euro dotiert: Die Preisträgerin erhält 25.000 Euro, die übrigen fünf Autor*innen der Shortlist erhalten jeweils 2500 Euro.
Weber, Anne: Annette, ein Heldinnenepos
Berlin: Verlag Matthes & Seitz, 2020. 208 S.
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