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Berlinale-Blogger*innen 2021
Jenseits des Male-Gaze

„Ich bin dein Mensch“, Regie Maria Schrader, mit Maren Eggert und Dan Stevens
„Ich bin dein Mensch“, Regie Maria Schrader, mit Maren Eggert und Dan Stevens | Foto (Detail): © Christine Fenzl

Frauenfiguren, die sich für den männlichen Blick verhalten, spiegeln in vielen Filmen eine Gesellschaft, die Frauen seit Jahrhunderten beibringt, zu gefallen. Maria Schrader lässt dieses Blickregime in ihrem witzigen und klugen Film „Ich bin dein Mensch“ auflaufen.

Von Regine Hader

Die Synopsis von Ich bin dein Mensch klingt zunächst wenig überraschend: Die Ethikkommission will entscheiden, ob Humanoide in Deutschland bald „Menschenrechte“ bekommen und heiraten dürfen. In einem Experiment soll Alma (Maren Eggert) dafür mit dem humanoiden Roboter Tom (Dan Stevens) zusammen leben. Damit das Gutachten möglichst euphorisch ausfällt, programmiert eine ominöse Firma Tom als idealen, lernfähigen Beziehungspartner für sie.

Spätestens nach den ersten 15 Minuten ist jedoch klar: Dieser Film ist großartig! In einem wunderschönen, symmetrischen Establishing Shot läuft die Protagonistin auf der Berliner Museumsinsel in einem beigen Trenchcoat durch die sandfarbene Kulisse. Sie verschmilzt mit den gelblichen Steingebäuden und den Kanneluren der Säulen, läuft zügig auf ihren Arbeitsplatz zu. Überzeugender kann man eine zielstrebige Archäologin, die persische Keilschriften aus dem vierten Jahrtausend vor Christus erforscht, kaum porträtieren. Almas Zuhause ist eine Fortsetzung dieser sandfarbenen Szenerie: Hier verschwimmen ihre Kleidung und Haare mit dem Sofa, das wiederum vor den beigen Wänden ihres Apartments verschwindet. Alma ist wie ein Chamäleon, das sich in einer beigen Jil-Sander-Kollektion tarnt. Die Steine, die sie beforscht, scheinen sich auf ihr ganzes Leben auszudehnen, körperlich mit ihr zu verschmelzen. Ihren wahren Witz entlarvt die Szene vor dem Museum aber erst durch die subtile, animierte Ästhetik des Hintergrunds, der ein bisschen zu unecht aussieht. Das Thema des Films ist damit vorausgedeutet.

Prädikat: Siri-Ästhetik

Wie es das uralte Science-Fiction-Klischee von kalten Robotern und warmen, verletzlichen Menschen will, kontrastiert Tom Almas warmes Farbthema mit Blau- und Schwarztönen. Als er ankommt, scheint er noch durch die Wohnung zu schweben. Was genau sich in seiner Kniegegend abspielt, verdeckt eine Liebeserklärung an das Gleiten: der schwarz glänzende Rimowa Koffer. Wenn sich diese symbiotische Verbindung aus Roboter und Designklassiker bewegt, erinnert sie an Schachfiguren mit Filzunterseite, die geradlinig über das lackierte Spielbrett ziehen. Vorschnell möchte man den Koffer als cyborgartige Körpererweiterung Toms lesen, aber würde man ihn damit nicht endgültig zum Menschen erklären?

Dan Stevens und die anderen Humanoiden kopieren derart genial, wie Roboter zuverlässig knapp daneben liegen, wenn sie „Natürlichkeit“ nachahmen, dass sie sich das Prädikat „Siri-Ästhetik“ wirklich verdient haben. So viel Gegenwart sieht man selten. Überall verstecken sich Hinweise darauf, dass die klaren Kategorien, zitiert durch abgedroschene Kalt-Warm-Kontraste, passé sind. Obwohl wir längst in einer Welt leben, die digital durchdrungen ist, in der es de facto weder reinAnaloges noch rein Digitales mehr gibt, können wir doch nicht aufhören, diese einfachen Kategorien zu kontrastieren. Schrader erzählt dieses Missverständnis meisterinnenhaft und subtil aus.

Besonders schön inszeniert sie den Konflikt darüber, wie Alma im Museumslabor arbeitet. Deren Methode besteht darin, Scans von Objekten zu analysieren. Insgeheim will sie aber unbedingt an den Originalen arbeiten. Um an notwendige Forschungs- und Reisegelder zu kommen, lässt sie sich überhaupt darauf ein, mit einen Humanoiden als Partner zu leben. Wirklich witzig ist, dass ihre Scans genau dieselbe, etwas zu perfekte, zu animierte, zu flexible Ästhetik kennzeichnet, wie die Hintergrundbilder der Museumsinsel, vor denen die Protagonistin anfangs das Museum betritt.

Unmögliches Gefallen

Während man bis hierhin denkt: „Ein kreativer Film, der aber wenig innovative Gedanken zum Thema mitbringt“, überrascht der feministische Twist des Blickregimes, sobald Tom bei Alma wohnt. Schon in den ersten Tagen wird klar, dass er nichts will und nichts wollen kann. Er kann nicht werten, sondern will gefallen und selbst hier ist unklar, ob er darauf wirklich Lust hat.

Anfangs ist Alma noch genervt davon, dass Tom ihr zuraunt „ Deine Augen sind wie zwei Bergseen, in denen ich versinken möchte“ oder bei Kerzenschein Rosenblätter in die Badewanne streut, weil sie „sich eine Auszeit verdient hat“. Als echter Charmeur informiert er sie dann aber darüber, dass sich 93 Prozent aller Frauen in Deutschland das wünschen.

Für mich ist das zu viel „Pick-me“-Klischee. „Pick me“ beschreibt im feministischen Diskurs unter anderem folgende Gleichung: Eine Frau ist „cooler“ oder „interessanter“, weil sie „anders als die andern Frauen“ ist – ein Dauerbrenner vom Rap bis zur Hollywood-Romanze. In diesem Fall gehört die Protagonistin also zu den aufregenden 7 Prozent, die nicht von Schaumbädern träumt. Natürlich ist es positiv, von Klischees abzuweichen. Die Masse der „anderen Frauen“ wahlweise zu uncoolen Pferdemädchen, frustrierten Ehefrauen oder in diesem Fall Wellnessromantikerinnen zu stilisieren, um sich dann von ihnen abzugrenzen, kommt aber nie ohne eine Prise Misogynie aus. Alma, die in den folgenden Tagen den Roboter provoziert und ihre Macht austestet, spielt weder beim „Pick me“-Muster noch bei dem „Frauen-wollen“-Klischees mit, sodass auch der lernfähige Roboterpartner sie nicht mehr mit Statistiken und Klischees sabotiert. Schrader knüpft an die Geschichte der feministischen Science-Fiction an, indem ihre Protagonistin die uralten Muster einer Frau, die gefallen will und dazu determiniert ist, aushebelt. Wie oft konnte man Frauen im Mainstream-Filmen bisher dabei zusehen, in heterosexuellen Lovestorys komplett souverän nicht zu gefallen? Die Liste scheint überschaubar.

Schrader zeigt aber auch, wie schnell sich das Blickregime wieder herstellt: Als Alma ihren Ex-Freund trifft, ist es zurück – und zwar samt der kapitalistischen Aushandlung von Selbstwert durch Begehren und Fruchtbarkeit, von der die Liebessoziologin Eva Illouz schreibt.

Am Ende ein Klischee?

Während die Wissenschaftlerin am Anfang mit ihrem Untersuchungsgegenstand verschmilzt, interessiert sich die Sandsteingewordene am Ende gar nicht mehr für ihre Karriere und ihr Sujet. Zumindest sehen wir außer einem tränenreichen, exzessiven Abend, an dem Alma erfährt, dass eine andere Forscherin dieselben Erkenntnisse früher publizieren wird, nichts mehr davon. Schade, dass dieser erfrischende Film am Ende doch noch den Beigeschmack von „einsamer Karrierefrau“ bekommt, Alma ihre Lage erkennt und sich sogar ihrer Familie zuwendet.

Ihren Bericht für die Ethikkommission, der den Film abschließt, beginnt sie mit Allgemeinplätzen à la „Menschen sind nur durch ihre Fehler liebenswert, das unterscheidet sie vom Roboter“. Dann trägt der Film aber noch etwas Kluges zur Debatte bei: Denn die Protagonistin rät am Ende nicht entschlossen davon ab, die Ehe für Humanoide zu erlauben, weil sie ein moralisches Problem sieht. Stattdessen begründet sie ihre Ablehnung damit, dass menschliche Beziehungen nicht mehr funktionieren würden, wenn Menschen sich einmal an die angenehmen Beziehungen mit einem Humanoiden gewöhnt haben, aber dennoch denken, dass diese Beziehungen nicht echt sind. Maria Schrader spielt so immer wieder mit dem Publikum. Sie lässt uns etwas Klischeehaftes erwarten – um unsere Erwartungen dann im letzten Moment umzudrehen.

Insgesamt ist der Regisseurin mit Ich bin dein Mensch trotz des eher mittelmäßigen Endes ein eindrucksvoller Film gelungen, der fernab der Science-Fiction-typischen Ästhetik Original und Kopie auf einer visuellen und intellektuellen Ebene kommentiert und es schafft, dabei witzig und feministisch zu sein. Chapeau!

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