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Kunst
Kunst aus der DDR – ein schwieriges Erbe?

Claus Bach: Müllplatz-Kunstaktion in Süßenborn bei Weimar im August 1985 mit Ulrich Jadke (links) und Thomas Onißeit
Claus Bach: Müllplatz-Kunstaktion in Süßenborn bei Weimar im August 1985 mit Ulrich Jadke (links) und Thomas Onißeit | © Claus Bach

Ostdeutsche Kunst hatte nach dem Fall der Berliner Mauer kein einfaches Schicksal. Matěj Forejt, Kunsttheoretiker und Herausgeber des Sammelbands Kunst aus der DDR. Ein schwieriges Erbe?, erläutert die Ursachen.
 

Von Matěj Forejt

Als im November 1989 die Berliner Mauer fiel und ein knappes Jahr darauf auch die Deutsche Demokratische Republik nicht mehr existierte, war dies noch lange nicht das Ende des geteilten Deutschland. Die Geschichte des zweifachen Nachkriegsdeutschland trat in diesem Moment lediglich in eine neue Etappe ein, die nicht mehr im Zeichen der gegenseitigen Abgrenzung zweier Staaten stand, die der jeweils anderen Seite des Eisernen Vorhangs angehörten. In der Folge sollte es zur Auseinandersetzung zwischen zwei zuvor voneinander entfremdeten Kulturen und zwei unterschiedlichen künstlerischen Traditionen kommen, die sich in den beiden deutschen Nachkriegsstaaten herausgebildet hatten, und von nun an unter einem Dach existieren mussten. Wie der Kunsthistoriker Joes Segal feststellt, vollzog sich die Aufnahme der DDR-Bürger in die Bundesrepublik Deutschland in zwei Dimensionen – in einer technisch-juristischen und in einer kulturellen.

Wolfgang Mattheuer: Erschrecken, 1977 Wolfgang Mattheuer: Erschrecken, 1977 | © mumok, Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, Leihgabe der Sammlung Ludwig, Aachen „Im ersten Fall geht es um Regeln und Verordnungen, die bestimmen, auf welche Weise und unter welchen Bedingungen Staatsbürgerrechte erlangt werden können. Im zweiten Fall spielen Normen, Werte, Überzeugungen, Weltbilder und damit assoziierte kulturelle Symbole und Rituale eine wichtige Rolle“, schreibt Segal in seinem Artikel über die Kultur im wiedervereinigten Deutschland und fügt hinzu: „Bei der Wiedervereinigung Deutschlands spielte der technisch-juristische Aspekt keine größere Rolle, da die Einbürgerung der Ostdeutschen im Einigungsvertrag vom 31. August 1990 mit einem Federstrich besiegelt wurde. Das volle Gewicht des Integrationsprozesses konzentrierte sich somit auf die kulturelle Seite des Transfers an Normen, Werten, Überzeugungen, Weltbildern und Kulturformen.“

Lässt sich Kunst von Politik trennen?

Walter Womacka: Am Strand 1961 (Staatliche Kunstsammlungen Dresden) Walter Womacka: Am Strand 1961 (Staatliche Kunstsammlungen Dresden) | Foto CC BY-SA 4.0 Um zu verstehen, warum es nach 1990 in Deutschland überhaupt zu einem heftigen Kulturkampf kam und warum dieser bei vielen Ostdeutschen große Frustration hervorrief, muss an eine Tatsache erinnert werden, die in der tschechischen Debatte über die jüngste Geschichte Deutschlands häufig außer Acht gelassen wird. Und zwar daran, dass die Bundesrepublik Deutschland in seiner heutigen Gestalt nicht durch die gleichrangige Vereinigung der „alten“ Bundesrepublik und der Deutschen Demokratischen Republik entstanden ist. Tatsächlich wurde die verblichene DDR auf Grundlage eines gemeinsamen Abkommens in Form der sogenannten Neuen Bundesländer in die Bundesrepublik eingegliedert. Wie der bereits zitierte Joes Segal anmerkt, mag es auf den ersten Blick logisch erscheinen, dass sich angesichts der Beibehaltung von Staatsordnung, Wirtschaft und nationalen Symbolen der „alten“ Bundesrepublik die Maßstäbe des bestehenden Westdeutschlands im wiedervereinigten Deutschland auch auf dem Gebiet der Kultur durchsetzten. Zwar sollte dies durch einen Artikel im Einigungsvertrag, der den Erhalt des kulturellen Erbes des „Beitrittsgebietes“ garantieren wollte, verhindert werden – doch am Ende war alles viel komplizierter.

Arno Rink: Terror I (1973) Arno Rink: Terror I (1973) | Foto: Digitale Sammlung Städel Museum Wie der berühmte deutsche Kunsttheoretiker Hans Belting bereits Anfang der 1990er Jahre konstatierte, fußte die Nachkriegskunst weder in West- noch in Ostdeutschland auf deutschen Traditionen, sondern auf ausländischem Import – im ersten Fall auf der westlichen modernistischen Abstraktion, im zweiten auf dem Sozialistischen Realismus. Deshalb zeigte sich schließlich, dass es unmöglich ist, Kunst von Politik zu trennen, und der Erhalt des DDR-Kultur- und Kunsterbes begann starke politische Emotionen hervorzurufen. Wie grundsätzlich der Streit um die Position des ostdeutschen Kunsterbes und die Beteiligung ostdeutscher Künstler am kulturellen Leben des wiedervereinigten Deutschlands geführt wurde, offenbart bereits die Bezeichnung, die sich dafür allmählich durchsetzte – Bilderstreit. Der Begriff, der kein eindeutiges tschechisches Äquivalent hat, wurde in der deutschen Kunstgeschichte traditionell für die Bezeichnung des Konflikts zwischen Ikonoklasten (Ikonenzerstörern) und Ikonodulen (Ikonenverehrern) in Byzanz verwendet. Der deutsch-deutsche Bilderstreit hingegen datiert auf den Zeitraum von 1990 bis in die nuller Jahre des 21. Jahrhunderts und subsumiert eine Reihe unterschiedlicher Ereignisse: Die Berufung westdeutscher Direktoren an die Spitze ostdeutscher Museen genauso wie die Verräumung der Werke ostdeutscher Künstlerinnen und Künstler in die Museumsdepots, den kurzsichtigen Vergleich von Werken ostdeutscher Kunst mit der Kunst des „Dritten Reiches“ genauso wie die Debatte darüber, ob bedeutende DDR-Künstler im wiedervereinigten Deutschland an Staatsaufträgen beteiligt werden sollten, und schließlich auch die desavouierende Ausstellung ostdeutscher Kunst in Weimar im Jahr 1999, bei der einige Künstler aus Protest ihre Werke deinstallierten.

Hermann Glöckner: Mast mit zwei Entfaltungszonen, 1984 Hermann Glöckner: Mast mit zwei Entfaltungszonen, 1984 | Foto: Werner Liebknecht Hinter all diesen kontroversen Ereignissen, Auseinandersetzungen und Meinungsverschiedenheiten stand in der Regel entweder politische Voreingenommenheit oder Unkenntnis darüber, was alles zur Kunst der ehemaligen DDR gehört. Glücklicherweise bildete sich nach über einem Jahrzehnt des Bilderstreits allmählich ein Kreis von Kunsthistorikern und Kunsthistorikerinnen (aus Westdeutschland wie auch aus der ehemaligen DDR) mit einem ernsthaften Interesse für das DDR-Kunsterbe, der nach und nach durchsetzte, dass es heute – vor allem in Museen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR – wieder regelmäßig ausgestellt wird. Die Kunstszene des ostdeutschen Staates und ihr Erbe lassen sich nämlich mit Sicherheit nicht als einförmiger Monolith deklarieren, die kritische Auseinandersetzung damit fördert häufig sehr überraschende Erkenntnisse zutage.
Gerhard Richter: Lesende am Strand, 1960 (Neues Museum – Staatliches Museum für Kunst und Design in Nürnberg – Permanente Leihgabe aus der Sammlung Böckmann) Gerhard Richter: Lesende am Strand, 1960 (Neues Museum – Staatliches Museum für Kunst und Design in Nürnberg – Permanente Leihgabe aus der Sammlung Böckmann) | Fotocredit: Neues Museum Nürnberg (Annette Kradisch)

Was ist „ostdeutsche Kunst“? 

Ähnlich wie in der Tschechoslowakei und weiteren Ländern des damaligen Ostblocks gab es auch in der DDR neben der offiziellen Kunstproduktion noch eine inoffizielle Kunstszene. Ihre Akteurinnen und Akteure zeigten ihr Werk in Ausstellungsräumen des Underground, überwacht von der Geheimpolizei Stasi, etliche ihrer Vertreter – zum Beispiel A. R. Penck – emigrierten in den Westen. Das Schaffen dieser Kunstszene war äußerst vielfältig und inkludierte orthodoxe Modernisten wie Hermann Glöckner oder Gerhard Altenbourg genauso wie Vertreter von charakteristisch ostdeutschen Formen der Aktionskunst, die sogenannten Autoperforationsartisten. Das verzerrte Bild ostdeutscher Kunst als monolithisches, regimekonformes Schaffen müsste all diese Künstlerinnen und Künstler besonders empfindlich treffen.

Nicht einmal die Geschehnisse im Bereich der offiziellen Kunst und der Kunsthochschulen lassen sich zur Gänze schwarz-weiß betrachten. Der berühmteste deutsche Maler der Gegenwart Gerhard Richter besuchte als gebürtiger Dresdner in der ersten Hälfte der 1950er Jahre die dortige Akademie und studierte dort zu eben jener Zeit Wandmalerei, als die Doktrin des Sozialistischen Realismus eingeführt wurde. Als er schließlich entschied, über Berlin in den Westen zu emigrieren, was ihm kurz vor dem Bau der Berliner Mauer gelang, hielt er auch in Düsseldorf weiter an der realistischen figurativen Malerei fest, die er sich während des Studiums in der DDR angeeignet hatte. Und mehr noch, gerade der präzise realistische Stil, den Richter selbst ironisch als „kapitalistischen Realismus“ bezeichnete, machte ihn schließlich berühmt. Eine ähnliche Entwicklung ist auch im Werk eines weiteren erfolgreichen Malers der Gegenwart, Neo Rauch, sowie bei anderen Vertretern der sogenannten Neuen Leipziger Schule erkennbar. Wie der Begriff bereits verrät, sind ihre Vertreter heute die Träger der Tradition der Leipziger figurativen Malerei, die sich an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst ebenfalls in den 1950er Jahren in Folge der aufgezwungenen Einführung des Sozialistischen Realismus konstituiert hatte.
Harry Blume: Gruppenporträt Leipziger Künstler I, 1961, Ausschnitt (Museum der bildenden Künste Leipzig) Harry Blume: Gruppenporträt Leipziger Künstler I, 1961 (Museum der bildenden Künste Leipzig), Ausschnitt | © Museum der bildenden Künste Leipzig. FOTO InGestalt M. Ehritt

Hoffnung auf Neuaufnahme

Durch den Einfluss von Malern der sogenannten Leipziger Schule wie Werner Tübke, Wolfgang Mattheuer, Bernhard Heisig oder Willi Sitte – er stammte aus dem tschechoslowakischen Chrastava/Kratzau – wurde dieser diktierte Stil in der DDR jedoch im Laufe der Zeit zu einem eigenständigen künstlerischen Phänomen, dessen Erbe sich auch bei einigen der heutigen, kommerziell erfolgreichen Künstler wiederfindet. Gerade im Schaffen des genannten maßgeblichen Quartetts der Leipziger Schule wurden nach 1990 jedoch die Inhalte solcher Werke explizit politisch, die diese Künstler oftmals im Auftrag des ostdeutschen Staats geschaffen hatten – genauso aber auch Inhalte, wie sie zum Beispiel Willi Sitte als lebenslang überzeugter Kommunist in sein Werk einfließen ließ. Doch nicht einmal für diese Maler gilt, dass ihr Gesamtwerk nach dem Jahr 1990 ihre gesellschaftliche Relevanz einbüßte und nur noch mit einem adäquaten kritischen Kommentar ausgestellt werden konnte, wie dies vor kurzem sehr erfolgreich bei der Retrospektive von Willi Sitte in Halle (Saale) der Fall war. Sehr leicht in die gemeinsame Erzählung über die Geschichte des wiedervereinigten Deutschlands integrieren ließen sich zum Beispiel einige Werke des in der DDR prominenten Malers Werner Tübke: An erster Stelle sein monumentales Panoramagemälde Frühbürgerliche Revolution in Deutschland mit den Maßen von 14 mal 123 Metern, eine Auseinandersetzung mit der Reformation und den deutschen Bauernkriegen und heute das zentrale Werk des Panorama-Museums im thüringischen Bad Frankenhausen. Weiterhin zu nennen ist etwa Tübkes mehrteilige Serie von Malereien, Zeichnungen und Aquarellen mit dem Titel Lebenserinnerungen des Dr. jur. Schulze. Der westdeutsche Publizist und langjährige Popularisator ostdeutscher Kunst Eduard Beaucamp bezeichnete sie Ende der 1990er Jahre sogar als bedeutendste Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in der deutschen Nachkriegskunst.

Werner Tübke: Frühbürgerliche Revolution in Deutschland, 1976–1987 (Panorama Museum Bad Frankenhausen) Werner Tübke: Frühbürgerliche Revolution in Deutschland, 1976–1987 (Panorama Museum Bad Frankenhausen) | Foto: Andrea Diener, CC BY-NC 2.0 Trotz der unseligen und überflüssig langen Etappe brüsker Ablehnung gelingt es dem ostdeutschen Kunsterbe vor allem in den letzten Jahren Anschluss an die gemeinsame Kulturgeschichte des wiedervereinigten Deutschlands zu finden und sich dem Publikum in all ihrer stilistischen Vielfalt und politischen Spannung zu präsentieren. Über Desinteresse vonseiten der Öffentlichkeit können sich Ausstellungen ostdeutscher Kunst mit Sicherheit nicht beschweren.
Arno Rink: Terror II Arno Rink: Terror II | Obraz: Museum der Bildenden Künste Leipzig. Foto Punctum Bertram Kober


* Der zitierte Artikel von Joes Segal findet sich in tschechischer Übersetzung in dem Buch Umění z NDR. Dědictví na obtíž? [Kunst aus der DDR. Ein schwieriges Erbe?]. Originalerscheinung in: Karl-Siegbert Rehberg. Paul Kaiser (Hg.), Bilderstreit und Gesellschaftsumbruch: Die Debatten um die Kunst aus der DDR im Prozess der deutschen Wiedervereinigung. Berlin/Kassel: Siebenhaar Verlag 2013.
Der zitierte Essay von Hans Belting erschien in tschechischer Übersetzung von Jiří Ogrocký unter dem Titel Němci a jejich umění. Problematické dědictví. Originalerscheinung: Hans Belting, Die Deutschen und ihre Kunst. Ein schwieriges Erbe. München: Verlag C. H. Beck 1992.
 

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