Paweł Zarychta empfiehlt
Vom Aufstehen

Vom Aufstehen © dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co., München, 2021 Die jüngste Geschichte Deutschlands nur mit wenigen Worten erzählen? Ein gewagtes Unterfangen. Mitte der 1990er nahmen sich dessen die Kuratoren der Wanderausstellung „Zeit-Worte“ an. Trümmerfrauen, Persilschein, Rosinenbomber … Vokabeln, die Bände erzählen! Helga Schubert wird diese Ausstellung wohl nie gesehen haben, ihrer Sammlung von Prosa-Miniaturen Vom Aufstehen. Ein Leben in Geschichten liegt aber eine ähnliche Strategie zugrunde. Anstatt eine lineare Erzählung über das eigene Leben, die kleine und große Geschichte, deren Zeuge die 1940 geborene Autorin wurde, zu konstruieren, lenkt sie die Aufmerksamkeit beim Lesen punktuell auf Ausschnitte der Wirklichkeit, auf Menschen, Orte und Bilder. Auf ihr eigenes Schicksal und auf die Erfahrungen ihrer ganzen Generation: „Ich bin ein Kriegskind, ein Flüchtlingskind, ein Kind der deutschen Teilung.“

Die mit chirurgischer Präzision konstruierten Sätze funktionieren ähnlich wie die „Zeit-Worte“: Sie beleuchten für einen kurzen Augenblick die verborgenen Winkel der Erinnerung und fördern aus ihnen kurze Geschichten hervor. Eine ironische Weisheit vermischt sich hier mit tiefer Traurigkeit, poetische Reflexionen über den Alltag wechseln sich mit intensiven Erinnerungen an Orte und Personen ab. In dieser außergewöhnlichen, von den ersten Sätzen an verblüffenden Prosa geht die Fiktion in die Wirklichkeit über und rundet diese irgendwie ab. Für die titelgebende Erzählung „Vom Aufstehen“ gewann Helga Schubert 2020 mit Recht den Ingeborg-Bachmann-Preis. 40 Jahre zuvor blieb ihr dieser versagt.

dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co.

Helga Schubert
Vom Aufstehen
dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co., München, 2021
ISBN: 978-423-28278-9
224 Seiten

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Rezensionen in deutschen Medien:
Perlentaucher
Deutschlandfunk
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