© Suhrkamp Verlag, Berlin, 2021
Christoph Hein schildert in Guldenberg eine fiktive deutsche Kleinstadt, angesiedelt im Osten Deutschlands, in einer Ausnahmesituation. Das geregelte Städtchenleben mit seinen Eckpfeilern des gesellschaftlichen Zusammenlebens wie Rathaus, Kirche, Kneipe, Dorfladen, Geschäftsmann und Wachtmeister wird aus seinem friedlichen und etwas langweiligen Alltag geweckt: Acht minderjährige Flüchtlinge bekommen im Alten Seglerheim Unterkunft und werden von der Dorfgemeinschaft als die „Anderen“, als „Fremde“ wahrgenommen. Die Jugendlichen werden sofort zu „Sündenböcken“ gemacht, als das Gerücht aufkommt, dass eine fünfzehnjährige Deutsche das Opfer einer Vergewaltigung sei.
Kommt dieses Schema Ihnen irgendwoher bekannt vor? Wer wurde im Mittelalter der Pest beschuldigt und aus den Städten verjagt? Oder in der Frühen Neuzeit auf Scheiterhaufen verbrannt? Wem galten die Pogrome – dem „Anderen“, dem „Unglücksbringer“ und dem „Sündenbock“, ob Jude oder Frau (Hexe). Uns überrascht daher nicht, dass die komplex geschilderte Auseinandersetzung der Dorfgemeinschaft mit den Flüchtlingen mit Brandanschlägen auf das Alte Seglerheim endet. Wenig später sind die Unerwünschten aus Guldenberg vertrieben, und der Pfarrer spricht das Fazit dieser Erzählung aus: „Es war eine Prüfung für uns. Eine Prüfung, ob wir christlich und solidarisch sind. Wir haben etwas über uns selbst erfahren.“ Genau darum geht es Christoph Hein in seinem neuen Roman – nicht die Charaktere zu psychologisieren oder verwobene Romanstränge zu entwerfen, sondern ihm geht es um die Darstellung der verschiedenen Denkweisen eines Mikrokosmos und somit einer Analyse, warum er in sich verschlossen und „unter sich“ bleiben will.
Guldenberg ist in einer nüchternen Sprache verfasst, besonders reich an Dialogen, durch die rasch wechselnden Szenen liest sich wie ein Theaterstück und macht das ganze Dilemma im Zusammenleben dieser Kleinstadt deutlich.
Suhrkamp Verlag