Carte Blanche Middle East
Madian Al-Jazerah: In Jordanien kann man sich nicht outen
Madian Al-Jazerah ist Besitzer des bekannten Cafés Books@cafe im jordanischen Amman. Dieses wurde offiziell zur ersten HateFree Zone im Nahen Osten. Warum die LGBT-Community das Café annimmt, wie der 51jährige Maidan mit seinem Café Menschen in Not hilft und wie die Situation für Menschen mit einer anderen sexuellen Orientierung oder Identität in Jordanien ist – dies alles lesen Sie im nun folgenden Gespräch.
WARUM HAST DU DICH ENTSCHIEDEN DICH MIT DEINEM CAFÉ UND BUCHLADEN DEM NETZWERK HATEFREE ZONE ANZUSCHLIESSEN?
Weil ich denke, dass wir dies im Nahen Osten brauchen. Und gerade dieses Café ist meiner Meinung nach das einzige in Jordanien, das sich für Gleichheit einsetzt und dabei auch aktiv etwas unternimmt. Wir diskriminieren hier niemanden – beispielsweise Flüchtlinge mit unterschiedlicher Nationalität. Wir machen auch keine Unterschiede zwischen Menschen auf Grund ihrer Religion, weil wir hier in Jordanien Muslime, Christen und auch Juden aus Israel haben. Und Angehörige der LGBT-Community diskriminieren wir schon gar nicht.
BOOKS@CAFE IST EIN VERHÄLTNISMÄSSIG BEKANNTER ORT IN AMMAN. WIE WURDE ES ZU EINEM RAUM FÜR DIE HIESIGE LGBT-COMMUNITY?
Ich wurde in Kuwait geboren, im Laufe meines Lebens bin ich dann über Jordanien für einige Zeit in die USA gegangen. Amman war früher eine kleine Stadt, die nach der Invasion des Irak in Kuwait rapide angewachsen ist, als von dort hunderttausende Jordanier und Palästinenser kamen. Mit der Ankunft weiterer und weiterer Flüchtlinge wurde Amman zu einer vielfältigen Stadt. Als ich mich vor 20 Jahren mit meinem Bruder entschieden habe den Laden zu gründen, wussten wir nicht so genau, wie das hier läuft. Ich war immer noch beeinflusst von der Freiheit und dem offenen Umgang miteinander in San Francisco, und so haben wir einen Buchladen mit Café eröffnet und angefangen ausländische Bücher zu verkaufen. Damals wurde uns klar, dass es hier eine Art von Zensur gibt. Und die betraf nicht nur die Politik oder Religion, sondern auch Themen wie Gender und Sexualität. Und das war der Moment, in dem wir uns entschieden haben, dass wir uns dagegenstellen und kämpfen werden – für Diversität und gegen Zensur. Und in erster Linie haben wir uns entschieden, dass dies hier ein Ort für alle sein wird. Dass wir jeden gleich behandeln werden.
SCHAFFT ES DAS CAFÉ DIE ÖFFENTLICHE MEINUNG ZU ÄNDERN ODER WENIGSTENS ZU ERSCHÜTTERN?
Zunächst einmal sind wir das erste Café, das Jordanier als Bedienung eingestellt hat. Jordanier haben bis zu dieser Zeit nämlich nicht als Kellner gearbeitet. Dies war ein gewisses gesellschaftliches Tabu. Eltern würden sich schämen zu sagen, dass ihr Kind als Bedienung in einem Café arbeitet. Diese Position übernahmen Filipinos, Inder, Ägypter und andere Zuwanderer. Und als wir das Café eröffneten, begann ich als erstes selbst zu bedienen. Und die Leute waren überrascht, dass sie jemand bedient und jemand ihren Tisch abwischt, der fließend Englisch und Arabisch kann. Und mit der Zeit fingen junge Jordanier und Jordanierinnen an, bei uns nach Arbeit zu fragen. Und so haben wir dieses kulturelle Tabu aufgebrochen.
INWIEWEIT IST DIESER ORT WICHTIG FÜR DIE HIESIGE LGBT-COMMUNITY? ODER GEHT ES EINFACH NUR UM KAFFEE?
Dahinter steckt natürlich eine ganze Menge mehr. Aber es ist nicht so, dass wir uns das vorher ausgedacht hätten. Dadurch, dass wir alle offen und mit Respekt behandeln, kam das irgendwie von selbst. Je nach dem, welche Bücher wir verkauft haben, wie wir öffentlich aufgetreten sind und wie wir uns verhalten haben, zog es ganz von selbst Leute zu uns, die bei uns einen Rückzugsort suchten. Auf einmal tauchten hier auch Leute der LGBT-Community auf, die in Probleme geraten waren, oder Frauen, die vor Ehrverbrechen flohen – diese wurden aber zum Glück bereits in hohem Maße eingedämmt, wir haben auch ein Gesetz, das solche Taten bestraft. Und gerade diese Menschen waren die ersten Flüchtlinge, um die wir uns kümmern mussten. Nachdem ich ein paar Mal einigen Leuten geholfen hatte, wurde dies zu einer bekannten Sache.
WIE HILFST DU MENSCHEN, DIE BEI BOOKS@CAFE EINEN RÜCKZUGSORT SUCHEN?
Zu uns kommen Schwule, Lesben, Transgender, aber auch viele andere. Wenn sie beispielsweise verletzt sind, besorge ich ihnen einen toleranten Arzt. Wenn sie fliehen und um ihr Leben fürchten, gibt es staatliche Asylunterkünfte, wo wir sie unterbringen können. Wir nehmen aber auch Flüchtlinge ohne Rücksicht auf ihre Orientierung auf, die Probleme haben, weil die Mehrheit von ihnen nicht genug arbeiten kann und das Geld, die sie vom UNHCR bekommen, nicht ausreicht. Deshalb versuche ich sie anzustellen. Und ich bezahle sie genauso, wie andere Arbeitnehmer. Während dessen bemühen wir uns, ihnen mit den Papieren zu helfen, damit sie in Drittländer übersiedeln können. Einmal hatten wir hier zum Beispiel einen syrischen Jungen, schwul, der fliehen musste, um sein Leben zu retten. Hier aber erwartete ihn Gewalt durch seinen Hausmeister und seine Umgebung und er wurde auch mehrfach vergewaltigt. Und genau dieser Junge tauchte hier eines Tages mit Tränen in den Augen auf, dass er ruhig auch die Toiletten putze, wenn ich ihn nur hier schlafen ließe. In diesem Moment wurde mir klar, dass etwas falsch läuft und dass an seiner Situation etwas geändert werden muss. Schließlich arbeitete er hier hinter der Bar, mit der Zeit konnte er sich durch die Trinkgelder eine eigene Wohnung leisten. Letztlich wurde er nach Idaho in die USA umgesiedelt und heute ist er glücklich – nach der Hochzeit mit seinem Freund.
WIE WÜRDEST DU DIE SITUATION DER LGBT COMMUNITY IN JORDANIEN BESCHREIBEN?
Homosexualität wird in Jordanien nicht per Gesetz verfolgt. Allerdings kann ein Zusatzgesetz, das die öffentliche Präsentation von Sexualität verbietet, einen Einfluss haben – ohne Orientierung auf die sexuelle Orientierung – und dieses Gesetz ist in gewisser Hinsicht flexibel. So unterscheidet sich das beispielsweise in Amman selbst, wo ein bestimmter Teil sehr liberal ist, wo man sich auf der Straße zum Gruß küsst, sich umarmt und dies nicht als Ausdruck von Sexualität wahrnimmt. Gleichzeitig kann man in konservativeren Teilen deshalb in Schwierigkeiten geraten, weil man damit jemanden in seiner Ehre kränkt. Homosexualität als solche ist also nicht kriminalisiert, gleichzeitig erfährt die LGBT-Community aber auch keinerlei Schutz. So kann es vorkommen, dass eine Gruppe Schwuler, Lesben oder eine vollkommen gemischte Gruppe eine Party veranstaltet, die Nachbarn wegen einer ungehörigen Party voller Drogen und Alkohol die Polizei alarmieren und die Polizei kommt und alle verhaftet. Dabei erklärt sie dann, dass sie dies nur zum Schutz der Menschen vor ihrer aggressiven Umgebung tue. Also sperren sie dich nicht ein, weil du schwul bist, sondern um dich zu schützen. Dieses Spiel wird manchmal gespielt. Ich habe aber schon lange nicht mehr von einem solchen Vorfall gehört. Deshalb habe ich das Gefühl, dass sich die Situation langsam verbessert und vielleicht wächst auch hier mit der Zeit die Toleranz.
WELCHE POSITION NIMMT DIE KÖNIGSFAMILIE GEGENÜBER MENSCHEN MIT EINER ANDEREN SEXUELLEN ORIENTIERUNG ODER IDENTITÄT EIN? UNTERSTÜTZT SIE IHRE RECHTE?
Ich kann nicht für sie sprechen, aber ich weiß, dass die Königsfamilie und weitere wichtige Familien, ich weiß nicht, nicht direkte Unterstützer sind, aber gewiss tolerant und offen. Wir haben auch einige öffentlich bekannten Persönlichkeiten im Land, die sich als Teil der LGBT-Community sehen, einige öffentlich bekannte Transgender arbeiten in der Kreativbranche. In letzter Zeit hören wir nicht so oft von Gewalt gegenüber dieser Gruppe, was in gewisser Weise auch ein Verdienst der Königsfamilie sein kann.
WARUM UNTERSTÜTZT DIE KÖNIGSFAMILIE DIE RECHTE DER LGBT-COMMUNITY NICHT OFFEN?
Ich denke nicht, dass sie könnte. Dafür gibt es keinen Raum. Wir befinden uns im Grunde auf sehr dünnem Eis. Wir haben den Islamismus, der den Islam von uns gestohlen hat, von uns einfachen Leuten. Und ich sage Islamismus, weil ich den politisierten Islam meine. Ich denke an den IS oder die Wahhabiten. Und wir leben deshalb in einer Kriegszone der politisierten Religion, die manchmal in unglaublich gewalttätige Extreme überführt wird, mit denen sich die Mehrheit von uns nicht identifizieren kann. In einer solchen Situation muss jeder Politiker auf seine Worte achten und sich entscheiden, welcher Kampf momentan der wichtigste ist. Der Kampf um die Gleichstellung der LGBT-Community ist dies eher nicht. Zuerst müssen wir den Kampf gewinnen für die Gleichstellung aller und allgemein für die Demokratie.
EINE SACHE IST DIE, WIE DAS GESETZ AUF HOMOSEXUALITÄT SCHAUT, EINE ANDERE, WIE DIES IM ALLTÄGLICHEN LEBEN LÄUFT. IST ES BEISPIELSWEISE MÖGLICH, DASS MAN SICH ALS HOMOSEXUELL OUTET?
Nein, das ist nicht möglich. Vielleicht kann man eine solche Information innerhalb seiner eigenen engsten Umgebung preisgeben, außerhalb dieser aber nur sehr schwer. Es ist aber wichtig dazuzusagen, dass Erfahrungen mit Männern, die Sex mit Männern haben, und Frauen, die Sex mit Frauen haben, quer durch unsere Geschichte auftauchen – sowohl mündlich tradiert, als auch in schriftlichen Quellen. Dieses Etikett der Homosexualität wurde irgendwann im 19. Jahrhundert zum Stigma. In der arabischen Kultur war dies immer vorhanden und im Grunde auch offen, niemals aber wurde jemand benannt oder bezeichnet. Dies kommt aus unserer Kultur. Die hat allgemein sehr viel mit Scham zu tun. Es ist eine konservative Kultur, wir haben zwar Sex, aber wir sprechen nicht über ihn. Und auf einmal anzufangen über ihn zu sprechen und sexuellen Aktivitäten Bezeichnungen zu geben wird von der Gesellschaft nicht positiv wahrgenommen. Eine Minderheit kann dies akzeptieren, die Mehrheit aber nicht, weil sie dies nicht begreifen kann. Und das kann in hohem Maße auch daher kommen, dass uns bis vor Kurzem zu Gender und Sexualität der Wortschatz gefehlt hat. Wenn du keinen vernünftigen Wortschatz hast, kannst du auch keinen vernünftigen Satz zusammenbringen und damit einen kultivierten Dialog betreiben. Es ist jetzt etwa acht Jahre her, dass ein respektabler Wortschatz erarbeitet wurde, womit Menschen heute die Sexualität benennen können ohne negative Konnotationen.
UNTERSCHEIDET SICH DIE SITUATION VON SCHWULEN UND LESBEN?
Lesben sehen sich mit mehr Herausforderungen konfrontiert. In erster Linie sind sie Frauen in einer von Männern gelenkten Gesellschaft und so haben sie Probleme mit der Gleichstellung. In zweiter Linie kommt die Sexualität. Und wie ich schon sagte, über Sex spricht man nicht. Ich würde aber gern noch auf eine Sache aufmerksam machen. Wir haben eigentlich eine sehr intime Kultur, was unser gegenseitiges Verhalten angeht. Wir können uns dreimal am Tag treffen, ich gebe dir trotzdem immer wieder einen Kuss und umarme dich. Wir sind darin eigentlich verhältnismäßig körperlich, wir berühren uns gegenseitig. Und Sexualität ist hier in gewisser Weise veränderbar, man konnte sich in einem gewissen Grenzraum bewegen und es war nicht nötig dies eindeutig zu definieren.
NIMMST DU IN DIESER HINSICHT VERBESSERUNGEN IN JORDANIEN WAHR?
Ich denke, dass unsere Region durch eine dunkle Zeit geht. Jordanien gehört gewiss zu den toleranteren Ländern im Nahen Osten. Wir haben mehr Lichtblicke. Ich sehe aber Licht am Ende des Tunnels und jede dunkle Epoche muss irgendwann auch wieder vorbei sein. Ich sehe dieses Licht, ich hoffe nur, dass wir, bis wir am Ende des Tunnels angekommen sind, nicht durch eine Welle von Gewalt gehen müssen. In Jordanien gibt es viele tolle, offene und gebildete Menschen. Dank der Tatsache, dass wir eine gewisse „Drehscheibe“ für Flüchtlinge sind, die sich hier integriert haben, haben wir auch eine reiche und vielfältige Kultur. Ich denke, dass wir alle Voraussetzungen haben, um den Weg nach draußen zu finden.
Das Gespräch entstand im Rahmen des Projekts Carte Blanche Midlle East der Goethe-Institute in Prag und in Amman.