Carte Blanche Middle East
Eine jordanische Künstlerin schwimmt gegen den Strom
Razan Mbaideen ist dreißig Jahre alt, Jordanierin und lebt in Amman. Von einer gefragten Organisatorin und Assistentin für Kulturveranstaltungen wurde sie mit der Zeit zu einer progressiven Künstlerin, die mit ihren Projekten und Interventionen versucht die jordanische Gesellschaft zu verändern. Sie entgleitet den klassischen Vorstellungen von einer jordanischen Frau, wodurch sie oft in Konflikt mit ihrer Familie kommt. Ihr letztes Kunstprojekt aber veränderte das Verhältnis zu ihren Eltern erheblich. Aus der Tochter, die der Familie Schande bereitete, wurde eine Tochter, die es vielleicht noch einmal zu etwas zu bringt.
In Anschluss an dieses Ereignis begann sie sich aktiv der politischen Kunst zu widmen - anfangs vor allem auf Theaterbühnen und in der Rolle der Regieassistentin, Lichtdesignerin, später auch als Regisseurin. Ihr künstlerisches Talent nutzte sie mehrmals bei der Herstellung von Kulissen und Requisiten. Am nächsten ist ihr aber, nach ihren eigenen Worten, das Schattentheater, dem sie sich in den letzten Jahren am liebsten widmet. Diese Form von Theater nutzt sie auch bei der Arbeit mit syrischen Kindern aus den Flüchtlingslagern, denen sie gemeinsam mit anderen Künstlern irgendeine Alternative und ein qualitativ hochwertiges Freizeitprogramm bieten will.
STRASSENMANAGERIN
Im letzten Jahr aber entdeckte Razan eine neue Domäne, in die es ihr erfolgreich gelang hineinzukommen – Gegenwartskunst. In Amman gibt es seit einigen Jahren das Programm Spring Sessions, das auf lokaler Ebene beginnende Künstler unterstützt und mit etablierten Künstlern oder Profis aus dem Ausland zusammenbringt. Nach einigen Jahren, in denen Razan im Hintergrund blieb und bei der Organisation half, entschied sich die Leitung das Scheinwerferlicht direkt auf sie zu richten und ihr die Möglichkeit zu geben ihre Kreativität unter Beweis zu stellen – im öffentlichen Raum. „Ich habe keine Angst öffentlich zu reden, ich bin selbstbewusst und die Kommunikation mit Menschen auf der Straße macht mir keine Probleme. Deshalb widmen sich meine letzten Projekte gerade der Intervention im öffentlichen Raum,“ sagt Razan.
Das erste von ihnen trägt die Bezeichnung Straßenmanagerin. Razan setzte eine jordanische Flagge auf einen Kreisverkehr und einen Tisch, an dem sie in formeller Kleidung Platz nahm. Den ganzen Tag über traf sie überraschte Passanten und sprach mit ihnen. „Ich habe sie gefragt, ob ihnen die jeweilige Straße gefällt, ob sie sich dort sicher und geborgen fühlen. Die Straße heißt nämlich Kulturstraße, aber es gibt dort gar keine Kultur. Außer der Kultur hupender Autos,“ erklärt Razan. Die Menschen begannen nach anfänglichem Misstrauen die Probleme der jeweiligen Orte zu reflektieren und der mutmaßlichen Vertreterin der ausgedachten Behörde ihre Beschwerden und Verbesserungsvorschläge mitzuteilen.
PROBLEMTOCHTER
„Ich bin keine typische jordanische Frau. Für Andere bin ich oft seltsam. Ich mache das, was mir gefällt, ich treffe, wen ich will, und gehe auch in Bars, trinke aber trotzdem keinen Alkohol,“ sagt Razan. Das charakterisiert auch die häufigsten Probleme mit ihrer Umgebung, mit denen sie konfrontiert wird. In den letzten Jahren kam sie in Konflikt mit ihrer Familie, vor allem mit den Eltern, die die Entwicklung ihrer Tochter als Enttäuschung sehen. Sie ist dreißig, nicht verheiratet, trifft sich mit seltsamen Leuten und kommt am Abend spät nach Hause. Einige Male passierte es auch, dass sie ihre Eltern bei einem der vielen Streits schlugen. „Sie sagen, dass ich mich nicht benehme, wie ich sollte. Viele meiner Freunde sind Männer und gleichzeitig arbeiten sie hart für wenig Geld. Sie sagen, dass ich nicht heiraten und völlig allein bleiben werde. Ich versuche mich zu verteidigen, aber manchmal reicht das nicht. In den Augen meiner eigenen Eltern bin ich seltsam, ich bin nicht wie sie,“ sagte sie.
Nach Razans Worten fürchtet die Familie unter anderem Reaktionen aus der Umgebung, dass sie ausgelacht werden und die unverheiratete und merkwürdige Tochter ihre Ehre beschmutzt. Eine große Rolle spielen dabei, wie dies in Jordanien so ist, die Beziehungen zur weiteren Verwandtschaft im Süden des Landes, deren Meinung für die Familie sehr wichtig ist. Wie sich aber zeigt, sieht die südjordanische Verwandtschaft Razan gar nicht so, eine Reihe Familienmitglieder bewundert sie dafür, dass sie es geschafft hat auf eigenen Füßen zu stehen, ein Auto zu kaufen und erfolgreich in ihrer Arbeit zu sein. Gleichzeitig gilt sie als Mediatoren für innerfamiliäre Konflikte. „Wenn ich zum Beispiel in das Dorf im Süden Jordaniens fahre, aus dem meine Familie stammt, sagen die Leute dort, dass mein Vater verdammt stolz auf mich ist,“ wundert sich Razan. „Eine große Sache zum Beispiel war, dass ich mir ein Auto gekauft und eine neue Arbeit gefunden habe. Dies erntete paradoxerweise Anerkennung,“ fügt sie hinzu.
RAZAN BEIK – DIE MUTTER ALLER!
Ein Bruch in ihrem Schaffen kam mit ihrer zweiten Intervention, die gleichzeitig den Standpunkt ihrer Familie zu ihr selbst und zu ihrem Lebensstil verändert hat. Sie entwarf nämlich eine eigene Wahlkampagne für den Stadtrat, mit der sie aufzeigen wollte, wie unverständlich die Politiker selbst sind, wie heuchlerisch ihre Versprechen und wie sie Schwache ausnutzen um ihre politischen Ziele zu erreichen.
Razan entwarf Wahlplakate und Flyer voll leerer Losungen, und zwar alles im klassischen Design für Wahlkampagnen. Sie hing die Plakate auf und verteilte die Flyer in den Straßen Ammans. Ein Grundstein war auch ihre Wahlkampfrede, die auf einem Bildschirm in der oben erwähnten Kulturstraße gezeigt wurde, wo sie ein fiktives Büro in einem Ausstellungsraum gemietet hatte. „Diese Rede macht keinen Sinn, so wie die Mehrheit politischer Reden keinen Sinn macht. Ich habe sie aus Reden von fünf verschiedenen Präsidenten zusammengestellt. Politiker wiederholen oft immerzu nur die selben Dummheiten, die zudem für die Mehrheit der Zuhörer unverständlich sind. Sie können sich darunter nichts vorstellen. Und wenn sie schon etwas Wichtiges sagen, halten sie das Versprechen nach ihrer Wahl nicht. Das ist eine große Lüge,“ erklärt sie. „Meine Rede kommt einem zudem vor wie jede andere auch,“ fügt sie hinzu.
Sinn aber machte auch die gesamte Kampagne nicht. Razan kandidierte nämlich in einem Wahlkreis, der gar nicht existiert, gleichzeitig erklärte sie sich zur Kandidatin von Ost- und Westamman. Nach dem Vorbild vieler anderer Kandidaten bezog sie auch eine Kontaktkampagne mit ein, zu der es gehörte, klassische Situationen gewissenhaft zu dokumentieren. „Im Rahmen meiner Kampagne bin ich durch die Straßen gelaufen und habe mich mit Einwohnern Ammans fotografieren lassen, genau so wie es andere Politiker machen. Sie zeigen nämlich gern, dass sie sich normalen Menschen gegenüber gut verhalten, dass sie für sie da sind, aber eigentlich interessieren sie sich im Grunde nicht für solche Leute. Sie sind nur ein Mittel zum Erreichen eines Postens“
„Ich schüttelte den Menschen auf der Straße deshalb die Hand und sagte: 'Ich bin Razan, ich löse Ihre Probleme, ich kümmere mich um Sie. Auch mag ich Kinder und alte und krankte Menschen,'“ lacht sie. Auf meine Frage, ob sie ihr das völlig geglaubt haben, antwortete sie: „Sie haben wie gewohnt nach nichts gefragt. Sie haben nicht gezweifelt. 'Kann ich ein Foto mit Ihnen machen? Kann ich ein Foto von mir machen lassen, wie ich Ihr Auto repariere?' Und sie stimmten einfach zu. Nicht ein einziger Mensch hat mich gefragt, wozu ich die Fotos benutze und worum es mir genau geht.“
STOLZ AUF IHRE TOCHTER
Dass die Tochter den Nagel auf den Kopf getroffen hatte, verstand auch Razans Familie. Nach anfänglichem Entsetzen, als sie über die Nachbarn von der kontroversen Kampagne ihrer Tochter erfahren hatten, nahmen sie an einer Vorstellung des Projektes im Rahmen einer Vernissage teil. Seit dieser Zeit hat sich ihre Haltung gegenüber ihrer Tochter diametral verändert. „Meine Mutter kam sogar auf die Vernissage und war ungeheuer stolz. Ihre einzige Vorhaltung war, dass ich während der Rede eine Sonnenbrille trug“, lacht Razan. „Nach der Kampagne nahm sie ein Plakat von meiner fiktiven Kampagne mit nach Hause – ich weiß gar nicht, wo sie es her hatte – und klebte es an die Tür zu meinem Zimmer,“ fährt sie ergriffen fort. „Ihnen ist klar geworden, dass ich vielleicht auch wichtig bin für eine Reihe von Menschen in meiner Umgebung und das hat sie gefreut. Es wurde sogar an mich herangetragen, dass sich mein Vater selbst mit meiner Kampagne in seinem Heimatdorf gelobt hatte. Geduldig hatte er allen erklärt, worum es in dem Projekt geht und was ich sagen wollte. Ich war wirklich gerührt, als ich das gehört habe,“ schließt sie.
Der Text entstand im Rahmen des Projekts Carte Blanche Middle East der Goethe-Institute in Prag und Amman.