Kästner als Drehbuchautor
Zwischen Gebrauchsschriftsteller und Klassiker
Erich Kästner gilt als einer der meistverfilmten deutschen Autoren. Seine eigene Arbeit für den Film ist aber lange unerforscht geblieben. Dabei zieht sich das Schreiben von Drehbüchern quer durch Kästners Werk und zeigt Kontinuitäten und Brüche, Verbindungslinien und Bezüge – und einige lose Enden.
Von Markus Jüngling
Bereits 1927 bahnte der Regisseur Reinhold Schünzel für die Filmproduktionsfirma UFA eine Zusammenarbeit mit dem aufstrebenden Schriftsteller an. Auch Kästner erkannte die Möglichkeit, seine ungeheure Produktivität dieser Jahre und seine Talente hier einzusetzen. Als Zeitungsschreiber hatte er gelernt, flexibel auf Anforderungen zu reagieren; als „Gebrauchsschriftsteller“ fand er sich leicht in das kollaborative Arbeiten ein, wo Produzent, Regisseur und oft auch Filmstars Einfluss auf die Entwicklung des Stoffes nehmen. Er hatte ein gutes Gespür für Dramaturgie und den Aufbau von Szenen. Dank seines einzigartig lakonischen Stils konnte er elegante Dialoge voller Witz und Esprit schreiben.
Beginn als Co-Autor
1931 glückte Kästner der Start in die Branche: Er arbeitete ungenannt an der Komödie Das Ekel mit, eine Auftragsarbeit, um zu lernen und gutes Geld zu verdienen. Für die Wirtschaftssatire Die Koffer des Herrn O. F. schrieb er Chansons. Eine ambitioniertere Arbeit wurde Dann schon lieber Lebertran. Der leider verschollene Kurzfilm [das Drehbuch findet sich in der Kästner-Werkausgabe] war der erste Film des Regisseurs Max Ophüls (Lola Montez); Kästners Co-Autor war Emmerich Pressburger, der später in England mit Michael Powell als „The Archers“ Filme wie Hoffmanns Erzählungen oder Die roten Schuhe schuf.Es war die Zeit der Weimarer Republik mit ihrem reichen Kulturleben und den spannenden neuen Medien Radio und (Ton-)Film. Kästner nutzte in dieser Zeit alle multimedialen Möglichkeiten. Sein Kinderroman Emil und die Detektive wurde nach dem Welterfolg des Buches schnell als Hörspiel, Theaterstück und Film adaptiert. Erich Kästner schrieb mit Pressburger sogar die erste Drehbuchfassung für die Verfilmung, die allerdings abgelehnt wurde. Nach mehreren Überarbeitungen stellte der junge Billie (später Billy) Wilder das Drehbuch fertig.
Ophüls, Pressburger, Wilder – Mit welchen Talenten hatte Kästner in dieser deutschen Filmlandschaft gearbeitet! Hätten sich noch weitere Projekte ergeben? Als 1933 die Nationalsozialisten 1933 in Deutschland an die Macht kamen, gingen die drei Künstler ins Exil. Kästner blieb.
Berufsverbot im NS-Deutschland
Es war eine schmerzhafte Zäsur mit ungewisser Zukunft. Wegen pazifistischer und Adolf Hitler karikierender Gedichte und dem als „pornografisch“ denunzierten Roman Fabian verweigerten die Nationalsozialisten Kästner den Zugang zur Reichsschrifttumskammer. Er, der einer der bekanntesten und erfolgreichsten Schriftsteller des Landes gewesen war, musste zusehen, wie seine Bücher öffentlich verbrannt wurden, und durfte nicht mehr in Deutschland publizieren.Widerstand traute er sich nicht zu. „Ich hatte nicht mit der Faust gedroht. Ich hatte sie nur in der Tasche geballt“, schrieb Kästner später. Ins Exil wollte er gleichfalls nicht gehen. Er fürchtete, dass der Kontakt zu seiner Mutter abreißen würde, zu der er ein sehr enges Verhältnis hatte und die aufgrund von Depressionen suizidgefährdet war. Auch glaubte er, dass sich die Nationalsozialisten nicht lange an der Macht halten würden. So verbarg sich Kästner hinter der Maske des Gleichgültigen, ließ sich demonstrativ harmlos in Cafés und auf dem Tennisplatz sehen. Er hielt Distanz zur Nazi-Ideologie, suchte aber nach Strategien, vom Schreiben leben zu können.
Unterhaltung gegen Hass und Hetze
Verlage in der Schweiz gaben fortan seine Bücher heraus; sie durften sogar nach Deutschland reimportiert und dort verkauft werden. Ebenso konnte der dank „Emil“ über die deutschen Grenzen hinaus bekannte Autor Filmrechte an seinen Büchern verkaufen. Die Erklärung für diese etwas absurde Situation: Beides brachte dem Regime Devisen ein.Die Romane Drei Männer im Schnee (1934), Die verschwundene Miniatur (1935) und Der kleine Grenzverkehr (1938) sind auf den ersten Blick unpolitische Unterhaltungsware. Das entspricht Kästners Kalkül, nicht mit den Machthabern in Konflikt zu geraten und kommerziell erfolgreich zu bleiben. Es gibt aber eine weitere Ebene. 1936 veröffentlichte Kästner seine Lyrische Hausapotheke, eine Sammlung von Gebrauchsgedichten zur „Therapie des Privatlebens“. Wer das für bloße Ironie hält, muss wissen, dass der jüdische Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki in seiner Autobiographie geschildert hat, wie viel Trost er im Warschauer Ghetto aus den Gedichten Erich Kästners ziehen konnte.
Die Romane der 30er Jahre haben nicht die Tiefe von Kästners besten Gedichten, aber sie sind ein Gegenbild zur düsteren Gegenwart. Sie spielen an touristischen Orten, die der Zeit enthoben sind; sie beschreiben komödiantische Verwechslungskonflikte, die sich in der Handlung leicht auflösen lassen; und sie porträtieren Menschen, die gewandt und freundlich miteinander umgehen. Eine bewusste Abwendung von Hass und Hetze im eigenen Land. Die sehr erfolgreichen Romane eigneten sich gut als Filmstoff. Von Drei Männer im Schnee entstanden in dieser Zeit vier Adaptionen, u.a. eine tschechische (Tři muži ve sněhu, 1936) und eine Hollywood-Verfilmung der Metro-Goldwyn-Mayer. Eine MGM-Adaption der „verschwundenen Miniatur“ war für 1939 geplant, wurde aber nach Kriegsbeginn nicht umgesetzt.
Die große Chance?
Anfang der 40er Jahre änderte Kästner seine Strategie und versuchte, wieder Engagements im Filmgeschäft zu bekommen. Er aktivierte seine Kontakte zur Produktionsfirma UFA und bot Stars wie Emil Jannings und Jenny Jugo an, für sie zu schreiben. Nach einigen (ungenannten) Drehbuchmitarbeiten erhielt er eine große Chance: Per Sondergenehmigung des Reichspropagandaministers Goebbels wurde Kästner beauftragt, unter dem Pseudonym „Berthold Bürger“ das Drehbuch zum Film Münchhausen (1943) zu verfassen.Der mit einem riesigen Budget von 6 Millionen Reichsmark erstellte Jubiläumsfilm zum 25-jährigen Bestehen der UFA gilt dank Starbesetzung, einfallsreicher Tricks und Schauwerten als deutscher Filmklassiker. Dazu trägt auch Kästners Drehbuch bei, der es schaffte, bekannte und neu erfundene Geschichten aus dem Leben des „Lügenbarons“ in einer komplexen Handlung zu verschmelzen. Gleichwohl kann der Film seinen Charakter als Prestigefilm des Nazi-Regimes nicht verleugnen. Bedenkt man die historische Situation der Entstehungszeit (Deutsch-Sowjetischer Krieg, Holocaust, Verfolgung und Verurteilung von Dissidenten durch den Volksgerichtshof), findet sich viel unterschwellige Ideologie, etwa die beiläufige und oft humoristische Gewalt oder die antisemitisch gezeichnete Figur des Cagliostro (gespielt von Ferdinand Marian in Anlehnung an Jud Süß). Dass der Pazifist und Menschenfreund Erich Kästner einen solch militaristischen und viele Figuren (im Vergleich zu seiner „deutschen“ Heldenfigur) abwertenden Film geschrieben hat, wirft die Frage auf, wie weit sich Kästner hier doch zu moralischen Kompromissen verleiten ließ.
Dem gegenüber bietet die charmante Liebeskomödie Der kleine Grenzverkehr (1943) – Kästner konnte mithilfe der Sondergenehmigung ebenfalls seinen Roman adaptieren – eine Flucht aus der Kriegs-Realität an. Die Hoffnung auf einen Durchbruch als Drehbuchautor erfüllte sich nicht. Adolf Hitler fühlte sich von Goebbels Entscheidung übergangen, ließ Kästners Nennung bei den beiden Filmen aus dem Vorspann streichen und erneuerte das Berufsverbot.
Einen letzten Drehbuchauftrag des "dritten Reiches" schildert Kästner in dem Tagebuch Notabene 1945. In den Wirren des Krieges engagierten ihn Freunde für einen Film nach Tirol. Das ganze Projekt samt Dreharbeiten war allerdings nur vorgetäuscht, um die Mitwirkenden vor Bombardierungen und Einberufung zu schützen.
Zum Klassiker rehabilitiert
Nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes wurde Erich Kästner quasi zum Klassiker rehabilitiert. Seine Popularität beim breiten Publikum blieb ungebrochen, und so kam es in der Nachkriegszeit zu einem regelrechten Kästner-Boom im bundesdeutschen Kino, wobei der nun drehbucherfahrene Autor meist selbst seine Bücher adaptierte. Verfilmungen seiner drei Romane aus den 30er Jahren ließen sich dank ihrer zeitlosen Menschlichkeit bruchlos in das Unterhaltungskino der 50er Jahre übertragen. Drei Männer im Schnee (1955) läuft im deutschen Fernsehen jedes Jahr zur Weihnachtszeit.Bis heute entstehen neue Adaptionen von Erich Kästners Werken. Seine Kinderbücher wie Das fliegende Klassenzimmer und Das doppelte Lottchen werden für neue Kindergenerationen behutsam der Gegenwart angepasst. Die Verfilmungen nach Kästners Drehbüchern bieten dagegen „Kästner pur“. Sie sind Zeitkapseln seiner Generation: mit authentischer Atmosphäre, Original-Dialogen und dem warmherzig-ironischen Erzählerkommentar, den Kästner meist selbst gesprochen hat.
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