Pilsner Bier
Nur wer wagt, gewinnt
Das Pilsner Bier stammt, klar, aus Tschechien. Wobei: Ganz so selbstverständlich ist das gar nicht. Denn die Bürger der Stadt Pilsen waren einst so unzufrieden mit ihrem Bier, dass sie es aus Protest sogar vor dem Rathaus ausschütteten. Doch dann hatten sie eine zündende Idee.
Von Zuzana Lízcová
Fragen Sie mal einen Ausländer, was ihm einfällt, wenn er „Tschechien“ hört. Ja, er könnte mit Škoda, Havel oder Prag antworten. Was hört man aber ebenso oft? Bier. Ob es uns gefällt oder nicht – so ist das nun mal. Das mildbittere Hefegebräu aus Wasser, Malz und Hopfen gehört zu Böhmen genauso wie Švejk oder der Říp. Weniger bekannt ist, dass das nicht so selbstverständlich ist, wie es uns heute erscheint.
Gewiss, Bier profilierte sich in Europa schon im Mittelalter. Das Braurecht gehörte früher zu den größten Privilegien, die sich eine Stadt wünschen konnte. Wer durfte, der braute. Das Wasser aus den Brunnen war von Reinheit weit entfernt und Bier zu trinken galt als sicherer. Besser gesagt: das, was damals Bier genannt wurde. Zu den heutigen Schank- und Vollbieren hatte es das trübe, obergärige Gebräu noch weit. Es kamen eine Menge verschiedener Varianten auf – die schwächeren Biere nahm man zum Frühstück zu sich, die stärkeren zum Mittagessen oder gegen Abend. Im 16. Jahrhundert trank jeder Bürger im Durchschnitt einen Dreiviertelliter Bier am Tag. Es war beliebt, recht günstig und verfügbar. Aber war es auch gut? Je nachdem. In den Straßen und auf den Plätzen wimmelte es nur so von Schenken und jeder Schankwirt braute es, wie er konnte. Oder eben: nicht konnte.
Vom Gesöff zum Wunder
Die westböhmische Stadt Pilsen bildete da keine Ausnahme. Schon seit der Stadtgründung im Jahr 1295 konnte sich die Bierbrauerei hier entwickeln. In 260 Bierhöfen experimentierten die Ortsansässigen gern und vergnügt. Dem Getränk versuchte man verschiedene Geheimzutaten wie die zermahlenen Knochen von Verstorbenen, Stücke von Galgensträngen oder gar Hundekot zuzugeben. Kein Wunder, dass zur Zeit Georgs von Podiebrad ein Biertrinker jammerte, das örtliche Bier sei „ein giftiges, furchtbar bitteres Gebräu, das Gallensteine wachsen lässt und die Nieren abklemmt“.
Und es wurde nicht besser, eher schlechter. Wer schmackhafteres Bier wollte, brachte sich dieses aus Sachsen oder Bayern mit. Letztendlich verloren die Pilsner Ratsherren die Geduld mit den örtlichen Braumeistern. Im Jahr 1838 ließen sie auf einem Platz zur Warnung ganze 36 Fässer des verdorbenen Gesöffs ausschütten – und forderten, dass es so nicht weitergehen könne. Ein einfach genialer Plan entstand bei einer Bürgerversammlung im Januar des Folgejahres: Die ortsansässigen Bürger entschieden, gemeinsam eine moderne, große Brauerei zu gründen. Ihre Errichtung wurde umgehend eingeleitet, bereits drei Jahre später öffnete sie unter dem Namen Städtische Brauerei Pilsen (tschechisch: Měšťanský pivovar Plzeň) ihre Tore.
Ambitionen hatten die Gründer keine großen. Die Ortsansässigen wollten lediglich ein solides, qualitativ hochwertiges Bier bayerischen Typs brauen. Aus diesem Grund zogen sie den Braumeister Josef Groll aus Vilshofen bei Passau hinzu. Sein erster Sud, der im November 1842 ausgeschenkt wurde, war aber anders als erwartet. Besser. Dank der Kombination aus Saazer Hopfen, dem weichen Pilsner Wasser und dem helleren Malz entstand kein bayerisches, dafür aber ein goldgelbes, untergäriges Pilsner Lagerbier. Es hatte bei der ersten Verkostung angeblich einen „kräftigen, vorzüglichen, bei Bier bisher unbekannten Geschmack“. Kein Wunder, dass es sich in den Pilsner und binnen kurzer Zeit auch in den Prager und Wiener Kneipen schnell verbreitete. Groll hat damit ein altbekanntes Prinzip bestätigt: Nur wer wagt, gewinnt. Dank neuer Zutaten kreierte er ein völlig neues Bier Pilsner Art – auch Pils oder Pilsner genannt. Heute ist es die meistverkaufte Biersorte der Welt.
Einst das größte Brauhaus Europas
Für Grolls Pilsner begeisterte sich in Prag als erstes der Schneider Jakub Pinkas – und das gleich im Frühjahr 1843. Er zögerte nicht, legte Nadel und Faden nieder und eröffnete eine Bierstube. Schon bald hatte er damit großen Erfolg. Bei Pinkas, gleich um die Ecke vom Wenzelsplatz, gaben sich bald die Größen der damaligen Zeit die Klinke in die Hand – der Historiker František Palacký, der Sprachwissenschaftler Josef Jungmann oder der Politiker František Ladislav Rieger. Später kam auch der Professor und zukünftige tschechoslowakische Präsident Tomáš Garrigue Masaryk gern hierher. Und jetzt raten Sie mal, was bis heute dort gezapft wird …
Der Ruhm des Bieres, das mit der Zeit zur geschützten Marke Plzeňský Prazdroj – Pilsner Urquell wurde, begann sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wie eine Lawine zu verbreiten. Zwanzig Jahre, nachdem Groll seinen ersten Sud in die Welt hinausgeschickt hatte, genoss man Pilsner in Paris und kurz darauf auch in Amerika. Es dauerte nicht lange, und Pilsner Urquell drang auch bis nach Lateinamerika, Afrika und in den Nahen Osten vor. Vor dem Ersten Weltkrieg war das Bürgerliche Brauhaus Pilsen bereits das größte in Europa. Schwere Zeiten erlebte es jedoch während der Okkupation durch die Nationalsozialisten, als die Vereinigten Staaten von Amerika Pilsner Urquell als deutsches Produkt boykottierten und sämtliche Ausfuhr nur ins Deutsche Reich zugelassen wurde. Am 17. April 1945 wurden bei der Bombardierung durch die Alliierten die Gärkeller, die Küchen und die Flaschenabfüllanlage getroffen. Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Brauerei verstaatlicht und ein halbes Jahrhundert später, nach der Samtenen Revolution, wieder privatisiert.
Die heutige Aktiengesellschaft Plzeňský Prazdroj ist von den bescheidenen bürgerlichen Anfängen weit entfernt. Jährlich produziert sie elf Millionen Hektoliter Bier – zwölf Getränke verschiedener Biermarken und ungefähr 40 Biersorten. Pilsner Urquell ist – konkurrenzlos – der größte Exporteur tschechischen Biers, seine Erzeugnisse werden von Menschen in mehr als 50 Ländern weltweit konsumiert. Für eine kurze Zeit reichte sogar die Kapazität der Pilsner Brauerei nicht aus, und die Firma nahm 2002 die lizenzierte Produktion von Pilsner Urquell im polnischen Tychy auf. Gebraut wurde dort nicht ganz zehn Jahre lang, da dank dem EU-Beitritt beider Länder die Zollgrenzen verschwanden und es gelang, die Kapazität in Pilsen zu erhöhen. Die zweite und letzte Produktionsaußenstelle im russischen Kaluga wurde von Pilsner Urquell Anfang 2018 geschlossen. So können sich Bierliebhaber überall auf der Welt weiterhin sicher sein, dass ihr geliebter, goldener Trank einzig und allein aus Pilsen kommt.
Pilsner Bier hat so einen Grund mehr, sich zu Recht als fester Bestandteil des tschechischen kulturellen Erbes zu präsentieren. Und nicht nur dessen – auch des mitteleuropäischen. Das Bier entstand durch die Zusammenarbeit eines deutschen Bierbrauers mit den Pilsner Bürgern, zu erster Berühmtheit gelangte es bereits zur Zeit Österreich-Ungarns – und Polen gehört bis heute zu den größten Abnehmern. In den letzten 175 Jahren begleitete die Brauerei und die Marke Pilsner Urquell alle historischen Wenden und Stürze der Region. Kein Wunder, dass es ihr umso besser geht in einer Zeit, in der feste Grenzen nach Langem wieder einmal verschwunden sind.
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