Future Perfect
Fang der Woche

Der Fischer Stan Bruno (l.), Gründer und CEO von Real Good Fish Alan Lovewell und im Vordergrund der Fischer Jerry Foster
Der Fischer Stan Bruno (l.), Gründer und CEO von Real Good Fish Alan Lovewell und im Vordergrund der Fischer Jerry Foster | Foto (CC-BY-SA): Real Good Fish

Die Solidarische Landwirtschaft hat nun auch einen Meer-Wert: Kunden solidarischer Fischereibetriebe unterstützen die Wirtschaft vor der Haustür und genießen stets fangfrische Meeresspezialitäten.

Mark Tognazzini ist schon sein ganzes Leben lang Fischer. An der Central Coast in Kalifornien ist Fischen Tradition. Seit fünf Jahren arbeitet er nun mit Central Coast Catch zusammen, dem ersten Projekt für Solidarische Fischerei an der gesamten US-Westküste. Obwohl er nichts daran verdient, hat er sich dem Grundgedanken des Projektes verschrieben, nämlich eine Verbindung zwischen Konsumenten und dem von ihnen verzehrten Fisch zu schaffen.

Solidarische Fischerei (community-supported fishery, kurz CSF) basiert auf dem gleichen Prinzip wie die Solidarische Landwirtschaft (community-supported agriculture, kurz CSA). Die CSA-Kundin ist nicht einfach eine normale Verbraucherin, sondern fungiert als Anteilsnehmer des Unternehmens: Sie zahlt im Voraus eine größere Summe und erhält dafür während der Erntesaison jede Woche eine Kiste mit frischem Obst und Gemüse. Bei der Fischerei funktioniert es genauso: Die Fischer werden durch die Solidarische Fischerei finanziert, und die Kunden erhalten jede Woche einen Teil der fangfrischen Ware.

Die Vorteile für die Fischer und Bauern liegen auf der Hand: In einer Branche, deren Erlöse schwer vorherzusehen sind, erhalten sie ein verlässliches Einkommen und sind näher am Kunden, können also besser auf dessen Interessen und Vorlieben eingehen. Auch der Anteilsnehmer genießt dabei viele Vorteile: Er kommt nicht nur in den Genuss frischer Lebensmittel, sondern kann die Wirtschaft in seiner Umgebung aktiv mitgestalten, lernt persönlich regionale Anbieter und die große Palette an Fisch und Meeresfrüchten kennen.


Pioniergeist

„Man muss einfach an das Prinzip glauben”, erklärte Mark Tognazzini vor kurzem in einem seiner drei Restaurants im kalifornischen Morro Bay. Die meisten Fischereiunternehmen sind hier Ein- oder Zwei-Mann-Betriebe. Auch Mark selbst fischt ganz alleine auf seinem knapp zehn Meter langen Fischerboot, der Bonnie Marietta, außerdem kauft und handelt er Ware für andere Fischer. Zur Zeit fischt er nur noch Thunfisch und Lachs und stellt sonst sein Boot anderen Ozeanprojekten zur Verfügung. Im September hat er etwa eine Gruppe von Wissenschaftlern nach Piedras Blancas nördlich von Morro Bay gebracht, die dort einen Schwimmkörper platziert haben, um damit große weiße Haie aufzuspüren.

Als das Projekt Central Coast Catch im Jahr 2010 von Margie Hurd ins Leben gerufen wurde, war Mark der einzige Fischer, der sich bereit erklärte, diesem Projekt Fisch zu liefern. Ansonsten glaubte kaum jemand an diese neue Idee. Hurd setzte darum niedrige Preise an, 12 Dollar die Woche für einen vollen Anteil von einem Pfund bzw. 6,25 Dollar für einen halben Anteil von einem halben Pfund. Damit köderte sie die ersten Anteilsnehmer. Inzwischen zählt man um die 100 Mitglieder. Allerdings ist Mark immer noch der einzige Fischer des Projekts.
  • Mark T und Mark Tognazzini, Sohn und Vater, in einem ihrer drei Morro-Bay-Restaurants. Foto (CC-BY-SA): Christine Heinrichs
    Mark T und Mark Tognazzini, Sohn und Vater, in einem ihrer drei Morro-Bay-Restaurants.
  • Die Morro Bay Fish Company am Dock Foto (CC-BY-SA): Christine Heinrichs
    Die Morro Bay Fish Company am Dock
  • Die Fischer sortieren den Fang von Grenadierfischen in Morro Bay. Im Hintergrund erhebt sich der Morro Rock. Foto (CC-BY-SA): Christine Heinrichs
    Die Fischer sortieren den Fang von Grenadierfischen in Morro Bay. Im Hintergrund erhebt sich der Morro Rock.
  • Grenadiere werden nach Gewichtsklassen verkauft, wobei die größten Fische den höchsten Preis erzielen. Foto (CC-BY-SA): Christine Heinrichs
    Grenadiere werden nach Gewichtsklassen verkauft, wobei die größten Fische den höchsten Preis erzielen.
  • Die größten Exemplare können als ganzer Fisch verkauft werden, die Premiumkategorie. Foto (CC-BY-SA): Christine Heinrichs
    Die größten Exemplare können als ganzer Fisch verkauft werden, die Premiumkategorie.
  • Wie dieses werden alle Fischerboote in Morro Bay von einer oder zwei Personen betrieben. Foto (CC-BY-SA): Christine Heinrichs
    Wie dieses werden alle Fischerboote in Morro Bay von einer oder zwei Personen betrieben.
  • Mark Tognazzini zeigt einen Grenadier. Diese Fische leben in über 1000 Meter Tiefe. Wenn sie an die Oberfläche gebracht werden, drückt der veränderte Luftdruck ihre inneren Organe aus dem Mund. Foto (CC-BY-SA): Christine Heinrichs
    Mark Tognazzini zeigt einen Grenadier. Diese Fische leben in über 1000 Meter Tiefe. Wenn sie an die Oberfläche gebracht werden, drückt der veränderte Luftdruck ihre inneren Organe aus dem Mund.
  • Kevin Butler, Fischer und Koch, zeigt Kindern einen Lengdorsch in ihrem Klassenzimmer. Foto (CC-BY-SA): Christine Heinrichs
    Kevin Butler, Fischer und Koch, zeigt Kindern einen Lengdorsch in ihrem Klassenzimmer.
  • Monterey Bay Fish Tacos Foto (CC-BY-SA): Christine Heinrichs
    Monterey Bay Fish Tacos
  • Eine Sammelkarte von Eike Ten Kley, Berufsfischerin & Betriebsleiterin in der Iliamna Fish Company Foto (CC-BY-SA): Christine Heinrichs
    Eine Sammelkarte von Eike Ten Kley, Berufsfischerin & Betriebsleiterin in der Iliamna Fish Company

Auf Du und Du mit Fischern und Partnern

In den vergangenen Jahren sind in den USA mindestens 50 Solidarische-Fischerei-Gruppen entstanden. Die Idee stammt von der Ostküste, aber auch an der Westküste sind inzwischen Tausende von Anteilsnehmern Nutznießer des CSF-Gedanken.

Ein zentrales Merkmal der Solidarischen Fischerei ist die Einladung an die Mitglieder, ihre Fischer kennenzulernen. Reid Ten Kley von der Iliamna Fish Company hatte dazu eine besonders innovative Idee: Er ließ Sammelkarten zum Tauschen drucken, aber nicht mit den Gesichtern von Baseballstars, sondern von Fischern. Diese wurden dann in umliegenden Restaurants verteilt. „Wir haben es nicht gemacht, weil wir uns als besonders gewitzt präsentieren wollten “, erklärte er, „aber wenn man ein Produkt verkaufen will und dabei nur den Kunden im Auge hat, dann fehlt etwas.“

Die Solidarische Fischerei lässt sich vielerorts von der Solidarischen Landwirtschaft huckepacke nehmen, sprich, die CSA-Anteilsnehmerin kann sich zusätzlich zu ihrem Gemüse auch frischen Fisch mitliefern lassen. Central Coast Catch kooperiert etwa mit SLO Veg, einem Solidarischen Landwirtschaftsbetrieb in San Luis Obispo, auch an der Central Coast. Rund 40 SLO-Veg-Kunden bestellen zu ihren Gemüselieferungen auch Fisch von Central Coast Catch.

Die Geschäftsführerin Jo Oliver, die Central Coast Catch im Mai 2015 von ihrer in Rente gegangenen Schwester Margie Hurd übernommen hat, verkauft den Fisch auch auf Bauernmärkten in der Region. Und sie hat genug Kapazitäten, um noch einige neue Anteilseigner unter Vertrag zu nehmen.


Die Kunden müssen anbeißen – und am Haken bleiben

Angesichts der Regulierung und der ständig schwankenden Fangbedingungen, der Fischfangbetriebe unterliegen, müssen die Mitglieder des CSF-Projekts sich mit dem zufrieden geben, was der Fischer gerade so fängt. Da kann es schon mal vorkommen, dass vor allem der Kabeljau ins Netz geht und nicht die beliebte Seezunge. Manchmal bekommt man auch einen Monat lang jede Woche den gleichen Fisch. Dies als Vorteil zu verkaufen, darin liegt die Marketing-Herausforderung.

Oliver bietet ihren Mitgliedern diverse Optionen an: Diese können entweder Thunfisch aus der Region in Dosen geliefert bekommen, auf dem Bauernmarkt einen anderen Fisch aussuchen, der gerade zum Sortiment zählt, oder auch mal eine Woche auf die Lieferung verzichten. Ein derartiges Auswahlsystem macht das Ganze natürlich nicht billiger. „Bei diesen Preisen können wir den Anteilsnehmern keinen Lachs, Heilbutt oder Wolfsbarsch anbieten“, so Mark Tognazzini. „Wir glauben an das Prinzip, aber wir zahlen dabei drauf.“

Die Preisgestaltung ist das A und O. Gemeinsam mit einigen Beratern hat Hurd einen Businessplan erstellt und einen Preis festgelegt, den sie langfristig anstrebt. Andere Solidarische Fischereibetriebe verlangen mehr. Monterey’s Real Good Fish etwa hat sich auf ökosystemschonenden Fang spezialisiert und nimmt dafür 22 Dollar pro Woche. Die Jahresration für Anteilsnehmer der Iliamna Fish Company, nämlich 21 Pfund Alaska-Lachs, hat an den drei Absatzorten des Unternehmens unterschiedliche Preise: In Portland, Oregon sind es 228 Dollar, in Anchorage, Alaska ist es weniger und in Brooklyn, New York mehr.

CSF-Unternehmen unterstützen das Engagement der Kundin, indem sie der Lieferung Hintergrundinformationen zu den angebotenen Arten sowie Rezepte beilegen. M. Alan Lovewell, Geschäftsführer und Gründer von Real Good Fish, setzt dabei auf einfache, gelingsichere Zubereitungsarten mit frischen Kräutern oder Butter, bei denen der Fisch gebacken, gegrillt oder gebraten wird, der frische Fischgeschmack jedoch nicht von scharfen Gewürzen überlagert wird.

„Die Leute müssen erleben, wie frischer Fisch und Meeresfrüchte aus der Region schmecken“, so Lovewell. „Einige haben offenbar schon üble Erfahrungen im Restaurant gemacht und somit verlernt, die Kostbarkeiten des Meeres zu würdigen.“

Für gutes Essen – und gesunde Meere?

Bei Real Good Fish steigert man die Reichweite des regional gefangenen Fisches, indem man in einigen Schulen der Gegend Arten serviert, die bislang als Beifang galten. Rund 60 Prozent der Schülerinnen und Schüler in Schulbezirk von Monterey haben durch das National School Lunch Program, das einkommensschwache Familien unterstützt, Anspruch auf ein kostenloses bzw. günstiges Mittagessen. Der Grenadier etwa, der bislang noch unreguliert gefangen wird, wird hier als Fisch-Taco oder in anderen Gerichten als Teil des sogenannten Bay-To-Tray-Programms serviert: frisch von der Küste auf das Tablett der Studierenden. Auch der Tintenfisch steht hier probeweise gerade auf der Speisekarte und kommt bei den jungen Essern extrem gut an.

Es gibt allerdings auch kritische Stimmen, die bezweifeln, dass CSF-Projekte nachhaltige Nahrungsmittel bieten. Jim Webb, Freizeitfischer und Fischereiforscher an der Central Coast, fragt sich, wie man vor dem Hintergrund der noch unbestimmten Folgen des Klimawandels auf die Meere überhaupt irgendeine Fangmenge als akzeptabel einstufen kann.

Dennoch: In einer Zeit, in der die Fischereibetriebe sehr bemüht sind, dass sich die Fischbestände erholen, gleichzeitig aber enormen politischen Druck sowie hohen Erwartungen von Wirtschaft und Kunden ausgeliefert sind, könnte die Solidarische Fischerei ein Weg sein, die öffentliche Aufmerksamkeit auf die begrenzten Ressourcen der Meere und eine nachhaltige Bewirtschaftung zu lenken.

Oder, wie Webb es ausdrückt: „Fressen und gefressen werden, das gilt für alle Arten. Die Nahrungskette funktioniert schon seit Jahrtausenden. Den Druck auf die Fischereibetriebe kann man dagegen kontrollieren.“