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Gemischtes Doppel: Visegrad #7 | Ungarn
Bericht eines Statisten aus Orbáns Traum

Viktor Orbáns dritter Wahlsieg in Folge hat eine beispiellose Apathie über das Land gelegt. Auch unser Kolumnist wehrt sich vergeblich gegen seine eigene Orbánisierung.

Von Márton Gergely

Liebe Monika, lieber Michal, liebe Tereza,

als populistische Vorreiter sind die Visegrad-Staaten endlich wieder wer – und der unangefochtene König sitzt in Budapest.

Tereza, ich muss schon zugeben, die neue tschechische Konkurrenz ist wirklich beeindruckend stark. Der zweitreichste Mann des Landes verbandelt sich mit den Kommunisten, um gegen Fremde Hass zu schüren. Nicht schlecht. Doch Orbán ist in diesem Jahr etwas gelungen, worum ihn viele Machthaber dieser Welt beneiden: Er hat die Politik überflüssig gemacht. Es gilt nur noch der Wille eines einzigen Mannes.

Während in Tschechien die Regierungsbildung fast ein Jahr lang andauerte, sagte Orbán nach den Wahlen im April bloß: „Die Verhandlungen sind vielversprechend, ich komme schnell voran“. Ja, es hilft tatsächlich viel, wenn man alles nur mit sich selbst besprechen muss. 

Orbáns dritter Wahlsieg mit Verfassungsmehrheit hat eine beispiellose Apathie über unser Land gelegt. Man hat das Gefühl, nichts lohnt sich mehr. Aufregen? Wozu? Demonstrieren? Lass mal sein! Mit meinen Kollegen haben wir jahrelang gewarnt, aufgedeckt, entlarvt und in unzähligen Kommentaren bissig und wütend die Skandale beschrieben. Doch am Ende waren all die Lügner, Korrupten, Angeber und Zyniker doch stärker.

Dieses Gefühl haben aber nicht nur wir Journalisten. Viele anständige Menschen gingen 2017 auf die Budapester Straßen, als Orbán anfing, die beste Universität Ungarns aus dem Land zu jagen. Wenn in diesen Wochen das Schicksal der Central European University besiegelt wird, erhebt heute niemand mehr seine Stimme.

Letzte Woche wurden die ersten Gesetzespakete der neuen Legislaturperiode durch das ungarische Parlament gepeitscht. Mit Verfahrenstricks werden die Paragrafen so eingereicht, dass keine wirklichen Debatten stattfinden können. Die Opposition erfährt oft erst wenige Minuten vor den Abstimmungen, dass es wichtige Änderungen gegeben hat – aber ihre Stimmen zählen ja sowieso nicht.

In dieser Manier ließ Orbán es auch verbieten, sich „als Lebensform auf der Straße aufzuhalten“, sprich: obdachlos zu sein. Ein Ungar ist nie obdachlos! Und falls doch, kann er weggesperrt werden. Wie viele nennenswerte Demos gab es dagegen? Keine.

Gleichzeitig entschied das Parlament, dass man Politiker nach der Arbeit nicht stören darf. Wer vor dem Haus eines Ministers demonstriert, kann bis zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt werden. Gab es dagegen Protest? Nein.

Nils, unser zuständige Redakteur für diese Serie, wird vielleicht enttäuscht sein, dass ich wiederhole, was auch sonst in deutschen Medien über Ungarn zu lesen ist. Ich weiß, für die Leserinnen und Leser von ostpol.de könnten wir noch viel mehr ins Detail gehen. Aber ich muss feststellen, dass auch ich mich langsam nicht mehr empören kann. Das auch ich in Ungarn gleichgültig geworden bin. Ich habe es irgendwann aufgegeben, zu erklären, warum unsere Rechte verletzt werden, wenn die Schwächsten kriminalisiert werden, während die Mächtigsten noch mehr Schutz bekommen.

„Márton, willst du etwa nicht lieber durch eine Unterführung gehen, in der keine Obdachlosen schlafen?“, fragen mich die Ignoranten, und ich sitze schon wieder in der Falle. Wie bei der Flüchtlingsfrage, als mir vorgeworfen wurde, dass mir die Ängste der Menschen egal seien. Wie viele Ausreden finden die Machthabenden noch für ihren Rassismus und Hass? Wie lange können sie noch behaupten, ihr unmenschliches Handeln sei vom Volk durch Wahlen abgesegnet? Und dass ich als Journalist mit meiner Kritik nicht die Regierenden, sondern die Wähler beleidige?

Diese Kolumne zwingt mich, mir Ungarn aus einer anderen Perspektive vorzustellen. Durch die Wiederholung dessen, was mir selbst schon als normal erscheint, wird mir dabei immer wieder von Neuem vor Augen geführt, wie weit wir schon auf dem Weg zur Barbarei vorangeschritten sind. Und dass wir in Ungarn zurzeit nicht mehr daran glauben, dass es sich noch ändern könnte. Wir flüchten uns vom öffentlichen Diskurs in die Privatsphäre. Wir reden uns ein, Ungarn sei ja trotz allem noch ein cooles und meist freundliches Land. Einige von uns mögen sogar heimlich denken, dass es ja angenehmer ist, wenn die Obdachlosen mit den Flüchtlingen weggesperrt werden.

Damit erfüllen wir genau das, was Orbán von uns will. Er ganz alleine soll für die Politik zuständig sein, niemand soll ihn dabei stören. Und er denkt langfristig. Viele Gesetze, die jetzt verabschiedet werden, dienen als Vorsichtsmaßnahmen. Noch werden sie nicht angewandt, noch erscheinen sie harmlos. Aber falls es mal wegen Wirtschaftskrisen oder Korruptionsskandalen richtig brenzlig werden sollte, kann man sie als Waffen gegen die Kritiker benutzen. Im Nachhinein werden wir uns vielleicht vorwerfen müssen, dass wir nicht mal mehr protestierten, als unsere letzten Rechte gestohlen wurden.
 

Früher haben wir geglaubt, dass Europa unsere Zukunft ist. Heute spüren wir, dass wir die Zukunft Europas sind.

Viktor Orbán

Tereza, du hast gehofft, ich könnte dir Orbáns Worte erklären. Ich kann es aber nicht. Er redet inzwischen mehr für das Ausland und die Geschichtsbücher, als zu den ungarischen Bürgern. Er will ein illiberales Musterland aufbauen, das man in der Welt neidet statt zu bestrafen. Er will auf Augenhöhe sein mit den großen Anführern, sollten sie noch so erbärmlich und klein sein, wie Trump und Putin. Und er will keine Kritik mehr hören müssen, weder vom kleinen ungarischen Bürger, noch vom Papst höchstpersönlich. Nie war er seinem Ziel näher als heute.

Ich halte es für verfehlt, wenn Kollegen im Westen von der „Orbánisierung Europas“ sprechen. Ich weiß nämlich, wie sich das anfühlt. Wenn sie ausgebaut ist, raubt sie die Hoffnung aller Demokraten. Monika, du hast mittlerweile wahrscheinlich auch eine ziemlich genaue Vorstellung davon. Ist Polen auch schon soweit?
 

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