Gemischtes Doppel: Visegrad #9 | Slowakei
Kaputter Staat als Terrorgefahr – Wie sicher sind wir noch?
Fremdenfeindlichkeit, Polizeigewalt, Korruption – die Slowakei beginnt, eine Gefahr für sich selbst zu werden, meint unser Kolumnist Michal Hvorecký.
Von Michal Hvorecký
Am Mittwoch 19. Juni 2013 fand in Moldava nad Bodvou in der Ostslowakei eine Polizei-Razzia statt. Sechzig schwer bewaffnete Beamte griffen dreißig Roma, inklusive Kleinkinder, gewalttätig an und rissen deren Häuser in der ärmlichen Siedlung nieder.
Dutzende Roma wurden später noch in der Polizeidienststelle misshandelt. Erst die Bezirksstaatsanwaltschaft, und später das Verfassungsgericht wiesen die Beschwerde der Opfer zurück. Der Fall Moldava wurde zum Symbol der Brutalität und Willkür der slowakischen Polizei.
Zuletzt hat der Mord an dem jungen Investigativjournalisten Ján Kuciak am 21. Februar 2018 gezeigt, dass es in meinem Staat um die Rechtsstaatlichkeit katastrophal bestellt ist.
Die Bevölkerung hat mit Trauer und Ärger reagiert. Der schreckliche Tod zerstörte die kollektive Illusion, dass wir in einem sicheren Land leben, dass uns der Staat vor Gewalt schützt. Die Erkenntnis, dass Sicherheit nur eine Sehnsucht ist, kann Angst machen - und genau das ist das Ziel.
Trotz aller Massenproteste im Frühjahr: In Bratislava sitzt die gleiche Regierungskoalition der Panikmacher weiterhin sicher im Sattel und verbreitet Verschwörungstheorien. Eine Kursänderung ist kaum zu erwarten. Schamlos macht sich die Regierung daran, Justiz und die Medien unter direkte Kontrolle zu bringen und die Rechte von Minderheiten und der Opposition dem Willen der Macht der Mehrheit unterzuordnen.
Damit ist das Gleichgewicht der Kräfte im Staat ernsthaft bedroht. Wie sich das Prinzip der Gewaltenteilung mit Korruption und Macht effektiv aushebeln lässt, hatte der Rechtspopulist Mečiar schon in den 90er Jahren erwiesen. Heute wiederholt sich der unbedingte Wille zum absoluten und ungestörten Machterhalt.
Im Juli 2017 hat der Fall des vor rund einem Jahr aus Berlin verschleppten vietnamesischen Unternehmers Trinh Xuan Thanh mein Land schockiert.
Für die deutsche Justiz und Polizei steht fest, dass Trinh in einem slowakischen Regierungsflugzeug via Bratislava ausgeflogen wurde! Die Bundesanwaltschaft sprach sogar von „staatlich organisierter Entführung“ durch den kommunistischen vietnamesischen Geheimdienst.
In Bratislava wurde dieser Vorgang zwar bislang bestritten, doch die Regierung ist heftig in Bedrängnis geraten. Wie kann man noch Respekt gegenüber einem dermaßen kaputten Staat zeigen? Und: Wieviel Achtung bringt so eine Regierung ihren eigenen Bürgern entgegen? Welche Sicherheit kann sie ihren eigenen Landsleuten garantieren?
Ficos Klan ist dafür bekannt, Kritiker zu verachten und zu beschimpfen, sich über Menschenrechtsbeobachter lustig zu machen und in nationalistischer und xenophober Rhetorik zu schwelgen. Wenn rechtspopulistische Parteien stark sind und die Staatsinstitutionen schwach, werden die Führungspositionen oft nach Parteibuch, nicht nach Qualifikation vergeben.
Derweil geht die Diskriminierung von Randgruppen ungestraft weiter. Slowakische Roma-Kinder müssen weiterhin mehrheitlich Sonderschulen besuchen, ohne eine Chance auf beruflichen und gesellschaftlichen Aufstieg.
Anti-EU und Anti-Nato-Rhetorik, das autoritäre Gesellschaftsbild und die Ablehnung des demokratischen politischen Systems sind zum Mainstream geworden. Wenig überraschend also, dass sogar das neue Europa-Hauptquartier der kontroversen kremlnahen Biker-Truppe „Nachtwölfe“ in Dolná Krupá in der Westslowakei steht.
Drohnen-Fotos zeigten, dass auf dem Gelände, unweit von einem Atomkraftwerk (!), auch Panzer und Militärfahrzeuge geparkt sind, Gebäude in Tarnfarben bemalt, das ganze Gelände hinter hohen Mauern mit Stacheldraht verborgen.
Die Polizei sagt darüber lapidar: „Harmlose Ausstellung historischer Exponate“. Zudem hält der rechtsextreme paramilitärische Verein Slovenskí branci („Slowakische Rekruten“) dort Übungen ab.
Am 23. Juni 2018 wurde das permanente Hauptquartier – bei Anwesenheit einer Delegation aus der russischen Botschaft – offiziell eingeweiht.
Seit Jahren sorgen die Nachtwölfe mit regelmäßigen Touren entlang der historischen Vorstoßrouten der Roten Armee im Zweiten Weltkrieg auch in der Slowakei für Aufsehen und werfen ein Schlaglicht auf die undurchsichtigen Beziehungen zwischen Bratislava und Moskau.
Die Gang-Mitglieder schwenken russische Fahnen, loben Stalin genauso wie Putin und grölen nationalistische Parolen. Polen verweigerte ihnen bis jetzt immer die Durchfahrt. Warschau sieht in den Nachwölfen ein Sicherheitsrisiko und einen wichtigen Bestandteil russischer hybrider Kriegsführung.
Die Slowakei indes ist wirtschaftlich abhängig von Russland, in der Bevölkerung verbreitet sich Antiamerikanismus russischer Coleur, russische Propagandamedien boomen und effektive Strategien gegen Desinformationskampagnen fehlen gänzlich.
Die Nachtwölfe sind keine unschuldigen Motorrad-Liebhaber, sondern Propaganda-Werkzeuge eines tyrannischen Regimes, das genau vor 50 Jahren die Tschechoslowakei besetzt hat und 2014 Teile des Nachbarlandes Ukraine.
Ich hielt die Slowakei jahrelang für ein sicheres Land. Jetzt bin ich bestürzt und besorgt. Auf ewig russisch? Nein, danke!
Liebe Tereza, wie sicher ist Tschechien, wo doch ein ex-Štb Mann (Stasi) an der Spitze der politischen sowie wirtschaftlichen Macht steht und das Land wie eine Privatfirma führen will?
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