Gemischtes Doppel: Visegrad #15 | Ungarn
Ein Dilemma, dem man nicht entkommen kann
Jetzt hat es index.hu getroffen. Der bekennende Index-Hasser und Orbán-Freund József Oltyán ist neuer Eigentümer. Statt das Portal zu schließen, wählt das Regime die Hintertür. Sie wollen das Portal langsam ausbluten lassen. Ungarn kann sich nur selbst von der perfiden Macht befreien, meint Márton Gegerly.
Von Márton Gergely
Liebe Monika, liebe Tereza, lieber Michal,
ich hatte mir so schön vorgenommen, über Viktor Orbáns Kopfzerbrechen zu schreiben. Darüber, wie er sich innerhalb der Europäischen Volkspartei verrechnet hat. Ich wollte fragen, ob er endgültig seinen Realitätssinn verloren hat, so wie viele greise Männer auf dem einsamen Gipfel der Macht schon vor ihm. Ich wollte darüber schreiben, wie all das trotz der vorherrschenden Apathie ein Hoffnungsschimmer sein kann. Dass es auch uns Osteuropäern missfällt, was in unserem Namen veranstaltet wird, und wir uns wehren können, und auch wehren werden.
Und dann überschlugen sich die Ereignisse in der Nacht von Montag auf Dienstag in Budapest, schon wieder steht eine ganze Redaktion vor dem aus. Diesmal betrifft es Index.hu, das erfolgreichste Online-Portal des Landes. Um zu verstehen, wie wichtig Index.hu in den vergangenen Jahren für das Land geworden ist, muss man nur bei Similar Web die Statistik aufrufen: die Nachrichtenseite ist die meistbesuchte Internetadresse nach Google, Facebook und YouTube in Ungarn.
Jetzt verstehen alle: Gegenwehr ist zwecklos.
Das Portal selbst wird nicht eingestellt. Aber die Schutzmauer der Redaktion wird Stück für Stück abgetragen. Index.hu wurde vor anderthalb Jahren in eine Stiftung ausgelagert, damit die Regierenden es nicht einfach übernehmen oder kaufen können. Aber die erneute Zweidrittelmehrheit hat auch hier neue Fakten geschaffen. Jetzt verstehen alle: Gegenwehr ist zwecklos.
Ungarische Geschäftsleute berichten in amerikanischen Medien übereinstimmend, wie ihnen in den letzten Jahren von Orbáns Freunden Übernahmeangebote für ihre Firmen gemacht wurden, obwohl sie gar nicht verkaufen wollten. „Nur noch für kurze Zeit lohne es sich, das Geschäft zu veräußern", lautete die als Angebot getarnte Erpressung. Sonst käme die Steuerbehörde, oder das Parlament reguliere den Markt neu. Ähnliche Gespräche müssen die Geschäftsleute gehabt haben, die bis vor Kurzem hinter Index.hu standen. Gegen einen von ihnen, den in ungarischen Oligarchen, Zoltán Spéder, wurde auch polizeilich ermittelt.
Einer der beiden neuen Eigentümer von Index.hu ist József Oltyán, lokaler Würdenträger der Regierungspartei KDNP, 80 Kilometer südöstlich von Budapest entfernt. Im April dieses Jahres feierte er überschwänglich die Wiederwahl von Ministerpräsident Orbán und prahlte auf Facebook, dass er schon seit zwei Jahren alle Artikel von Index.hu aus seinem News-Feed verbannt hätte. Dieser Index-Hasser wird jetzt beim Portal das Sagen haben. Neue Gerüchte besagen, dass er sein Geld damit verdient, in regionalen Medien als Artikel getarnte politische Botschaften zu platzieren.
Einst unabhängige Medien sind zu Echokammern der Regierungspropaganda degradiert worden.
Nein, wer noch kritisch berichtet in Ungarn, weiß, welchen Gefahren wir gegenüberstehen. Als ich mit Dir, Nils, dem verantwortlichen Redakteur dieser Kolumne das Thema meines heutigen Texts besprochen habe, waren wir uns noch einig, dass nicht alles schwarz sei. Dass der sogenannte Sargentini-Bericht des Europäischen Parlaments zwar einige Schwachstellen aufweise, aber trotzdem geholfen habe, einen großen Teil der EVP-Abgeordneten gegen Orbán zu mobilisieren. Das raubt Orbán jetzt seine Handlungsfähigkeit, weil er nun bei jedem Gesetz und bei jeder Entscheidung riskieren muss, dass es zu offenem Bruch mit der Europäischen Volkspartei kommt. Für Orbán bedeuteten die Schwesterparteien immer Schutz für seinen illiberalen Tatendrang in Ungarn. Jetzt muss er fürchten, bei neuerlichen Provokationen in Zukunft draußen im Regen den starken Mann spielen zu müssen.
Vielleicht bedeutet Orbáns strategische Niederlage in Straßburg etwas Zeit fürs Durchatmen in Budapest, hatten Nils und ich uns noch am vergangenen Freitag überlegt. Und dann, drei Tage später, ist schon ein hinterhältiger Angriff gegen Index.hu in vollem Gange. Das Portal wird nicht eingestellt, die Kolleginnen und Kollegen müssen schon selber gehen, wenn ihnen die neuen Eigentümer nicht geheuer sind. Und wir, die kritischen Medien, sammeln derweil die Puzzle-Stücke zusammen, die das Portal unhaltbar machen.
Ungarn kann sich nur selbst von der perfiden Macht befreien. Und das wird viel schwieriger, als der Kampf in Europa.
Die Redaktion von Index.hu bäumt sich noch mal auf, und verspricht in einem Leitartikel von Dienstagnachmittag weiterzumachen, bis ihre Unabhängigkeit von den neuen Eigentümern angetastet wird. Sie stellen ein Barometer ins Netz, das anzeigen soll, ob Index.hu noch frei arbeiten kann. Der Anzeiger deutet noch auf grün, sprich unabhängig. Diese Umstände geben zurzeit Grund zur Entwarnung. Das allein spricht schon Bände.
Die vergangenen Tage haben gezeigt, dass Europa sich gegen Orbán wehren kann und es ist richtig, dass die EVP endlich ihren Beitrag dazu leistet. Ungarn kann sich aber nur selbst selbst von der perfiden Macht befreien. Und es wird viel schwieriger, als der Kampf in Europa.
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