Goethes Pfadfinder
Mit dem Film wächst wohl der Appetit
Goethes Pfadfinder auf dem Febiofestu | © Michal Urban
Im 2016 veranstaltete das Internationale Filmfestival Prag - Febiofest in Zusammenarbeit mit dem renommierten Berlinale Festival zum zweiten Mal in drei aufeinander folgenden Nächten drei Filmvorführungen mit anschließendem Abendessen. Die Zuschauer wurden so zu Degustatoren eines exklusiven Menüs, das von einem konkreten Film inspiriert wurde und von einem Team unter der Leitung von weltweit führenden Chefköchen zubereitet wurde.
Von Martina Doležalová
Ein Film für Feinschmecker
Am Sonntag, dem 20.3. wurde der amerikanische Film Trattoria aus dem Jahr 2012 aufgeführt und ein einzigartiges Menü vom deutschen Chefkoch Alexander Koppe serviert. Er wurde mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet, den er für das Restaurant Skykitchen im Hotel andel´s in Berlin gewonnen hat.Der Film selbst ist eine unabhängige Komödie, die mit Witz, unterschwelliger Kritik und scharfsinnigem Verständnis einen Blick auf die hinterhältige, harte kulinarische Welt im kultigen San Francisco wirft. Er begleitet Sal Sartini, einen Workoholic-Chefkoch mit italienischen Wurzeln, der mit hohen Ambitionen sein neues Restaurant zum Laufen bringt und sich den vermeintlichen und realen Gastronomiekritikern stellt, die ihn fast zum Herzinfarkt und in den Wahnsinn treiben. Der vielschichtige und realistische Blick auf den Mikrokosmos, wie ein Restaurant funktioniert, wird mit dokumentarischen Einheiten tatsächlicher Chefköche unterlegt und bietet dem Zuschauer so die Möglichkeit, hinter die Kulissen von luxuriösen Genussbastionen zu blicken, wo auf den ersten Blick alles wie am Schnürchen läuft.
In der Komödie wechseln sich witzige bis komische Passagen mit ernsten Szenen ab, die einen zum Nachdenken anregen. Die herausragende Kameraarbeit bietet dem Zuschauer ausgewählte Bilder in sich immer steigernden Sequenzen und gelungenen Kompositionen. Diese großartig aussehende Filmkost ist aber von der Handlung her nicht so schmackhaft wie sie visuell wirkt: Der Handlungsstrang scheint etwas flach, die Entwicklung ist vorhersehbar und der überraschende Höhepunkt fehlt einfach.
Weder Fisch noch Fleisch
Die Grundlage der Geschichte sind zwei Handlungsstränge: „boy meets girl/ Junge trifft Mädchen" und die Vater-Sohn-Beziehung. Im Restaurant des Vaters lernt Vince, der neu in San Francisco ist, die hübsche Kellnerin, Barkeeperin und Vegetarierin Anna kennen, der Sal treffend den Spitznamen "Cheerleaderin" gegeben hat. Anna ermutigt Vince dazu, in seinem Leben ein höheres Ziel anzustreben und dank ihr kehrt Vince zu einigen alten Familienrezepten für Risotto, Gnocchi und Pizza zurück, die er erfolgreich auf den Underground Lebensmittelmärkten verkauft und schließlich - nach mehreren Streits, Argumentationen und leidenschaftlichem Meinungsaustausch - auch in die Küche seines Vater bringt. Das typische Gefühl eines Sohnemanns, dass sein Vater ein Egoist ist, der sich nur seinem Gekoche widmet und der Eindruck des Vaters, dass sein Sohn ein Faulpelz ist, der in seinem Leben keinen eindeutigen Weg vor Augen hat, muss notgedrungen einen Konflikt auslösen, der nur in Versöhnung oder Trennung enden kann.Die Erzählung ist zwar langweilig und erfahrene Filmliebhaber können sich in den ersten Szenen denken, wie es weiter gehen wird, aber es ist wahr, dass einige Szenen besser funktionieren als andere und so auch köstliche Speisen mit interessanten Aromen auf den imaginären Tisch gebracht werden können, wie in Form des großen abschließenden Dialogs zwischen Sal und Vince, in dem es den Filmemachern (Jason Wolos, Dawn Rich) gelungen ist, den Pathos und das herablassende Bevormunden zu vermeiden.
Die schauspielerische Leistung von John Patrick Amedori (Vince) und Kandis Fay (Anna) sind im Großen und Ganzen durchschnittlich, aber es könnte auch durch die Tatsache verursacht sein, dass ihnen das Skript keinen breiteren emotionalen Handlungsraum oder psychische Plastizität gibt. Tony Denison in der Rolle des Sal zeichnet sich durch schauspielerischen Charme und Authentizität aus, ebenso suggestiv wirkt Lisa Rotondi in der Rolle als Sals energische, prinzipientreue und manchmal überraschend dominante Cecelia.
Tableau! Zu Tisch!
Unmittelbar nach der Vorführung wurde das Publikum von sympathischen Hostessen in den Konferenzsaal des Hotels andel´s geleitet, wo ein Fünf-Gänge-Abendessen folgte. Das Menü wurde bewusst so angerichtet, dass es zu den Eindrücken der italienischen Küche passte, um die es in dem vorher gezeigten Film ging, und so mangelte es nicht an Fisch und Meeresfrüchten, traditionellen (und weniger traditionellen) mediterranen Kräutern und Gemüse – aufgepeppt mit einigen exotischeren Zutaten, feinem Kalbfleisch und italienischer Pasta. Der Chefkoch war allerdings im Gegensatz zum Menü gänzlich deutscher Natur.
Im elegant eingerichteten Saal trafen sich die Zuschauer bei schwacher Beleuchtung an runden Tischen für zehn Personen. Nach einem etwas angespanntem Anfang, wo die sich unbekannten Zuschauer verlegene Blicke austauschten, begann die zuvorkommende Bedienung sprudelnden Prosecco auszuschenken, der an einigen Tischen durchaus dazu beitrug, das gesellschaftliche Eis zu brechen.
Bald darauf durchströmte den Saal die einschmeichelnde Klaviermusik und der Gesang von Jakub Zomer, ein junger Jazz und Blues Musiker, Absolvent und Professor am Konservatorium von Jaroslav Ježek. Das Repertoire von Zomer bestand aus den schönsten Songs aus Jazz, Blues und Bossa Nova und den ganzen Abend lang lieferte er dem Publikum eine gute Performance ab – die leider nur von ein paar Musikkennern mit schüchternem Applaus geschätzt wurde.
Zum Abendessen begrüßte das Publikum dann Jolana Voldánová, Radio- und Fernsehmoderatorin, die zusammen mit einer Dolmetscherin auch bedeutende Besucher des Abends präsentierte, darunter Daniel Brühl, ein deutsch-spanischer Schauspieler, der 2003 mit der Tragikomödie Good Bye, Lenin!debütierte und der jetzt für die Rolle des Niki Lauda im Film Rush – Alles für den Sieg (2013) für den Golden Globe nominiert wurde.
Linum ist nicht Leinen und der Hummer ist nicht aus dem Großhandel
Vor jedem Gang wurde der Starkoch Alexander Koppe auf die Bühne gebeten, der unter anderem preisgegeben hat, dass sein Berliner Restaurant Skykitchen drei Monate im Voraus ausgebucht ist. Einige Fragen der Moderatorin wirkten teils etwas albern, wie diese etwa: „Woher kommt der kanadische Hummer, der dem Publikum serviert wird?“. Auf das Lachen der Zuschauer reagierte die Moderatorin mit der Erklärung, dass es sich ja um einen "Hummer aus dem Großhandel" handeln könnte.Fehltritte gab es im Laufe des Abends noch einige mehr. Zum Beispiel zwei große Fehler auf der Speisekarte - das Weglassen der Vorspeise und das Entstellen des Namens des Hauptgangs im Tschechischen. Die Spezialität Linum Kalbfleisch wurde ins Tschechische nämlich als mit Leinen (Linum) gefüttertes Kalbfleisch übersetzt, in Wirklichkeit handelte es sich aber um ein Kalb aus der Region Linum in Brandenburg.
Der kanadische Hummer auf Fenchel, Bio-Zitrone und Chicorée hat die Erwartungen übertroffen, genauso wie die Flunder auf Chicoree und Safran-Ravioli gefüllt mit italienischer Pancetta. Auch wenn der Chefkoch Koppe vor dem Hauptgang ein wenig unwohl und nervös schien, aus Angst, dass bloß alles perfekt ablaufen würde. Das Kalbfleisch mit Sellerie, gedünstet mit Zwiebeln und Paprika (mit dem feinen Zusatz von einem traditionellen Langoš) hätte nicht köstlicher sein können: das Fleisch zerging auf der Zunge und die gewählte Kombination von Kräutern, Gewürzen und Gemüse (wer, hätte gedacht, dass Sellerie so weich und köstlich schmecken könnte!) beeindruckte auch erfahrene Feinschmecker, deren Smartphones dank des schön angerichteten und verlockenden Aussehens der Gerichte ein Foto nach dem nächsten schossen - Vivat Food Porn, es lebe der Food Porno!
Koppe weiß mit dem Essen zu spielen – seinen geschliffenen Instinkt für innovative Geschmacksverbindungen bewies er bei jeder servierten Speise und seine kulinarische Raffinesse erreichte den geschmacklichen Höhepunkt beim letzten Gang, ein exotisches Dessert aus kräftigen Farben: Passionsfrucht und Kokosnuss auf thailändischer Mango, gelbem Curry und Wasabi. Dieses Geschmackserlebnis ist einfach unvergesslich!
Im Rahmen der konstruktiven Kritik ist vielleicht nur die Tatsache hervorzuheben, dass die Pausen zwischen den Gängen zu lang waren und die einzelnen Portionen etwas größer hätten sein können. Viele der etwa hundertfünfzig Teilnehmer des Abendessens erweckten den Eindruck, als hätten sie gerne eine zweite Portion gegessen. Und das inklusive der Autorin dieses Textes.
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