Wenn ich die Wahl hätte, den Dezember würde ich komplett ausfallen lassen. Das ist nicht mein Monat. Ich kann nicht sagen, dass ich Weihnachten ausgesprochen nicht mögen würde, aber ich freue mich auch nicht doppelt darauf. Ich bekomme nicht gern Geschenke, und das vor allem deshalb, weil ich alles Nötige schon habe. Und die paar Sachen, die mir über das Jahr gefallen, kaufe ich mir meistens selbst und gleich, wenn ich sie sehe. Und weil ich unnötige Dinge nicht mag, ist Ihnen sicher klar, wie ich es mit den Schenken halte.
Dieses Jahr aber gab mir die unerwartete Möglichkeit, ins benachbarte Deutschland auf den Weihnachtsmarkt zu fahren. Und gleich auf einen absolut nicht traditionellen: Er liegt nämlich nicht im Zentrum irgendeiner Stadt, sondern im tiefen Wald. Einige Kilometer hinter dem bayrischen Zwiesel, beim Dorf Schweinhütt dehnt sich ein dichter Wald aus, in dessen Mitte sich zum Advent regelmäßig Weihnachtsstände und Weihnachtslieder einfinden. Auch wenn ich Weihnachten nicht so brauche, schien mir die Vorstellung von einem Wald voller Kerzen bemerkenswert genug, um in die „Schweinehütte“ zu fahren.
Allein wollte ich aber nicht fahren. Ich habe meine zwei Enkel mitgenommen, womit ich auch gleich zwei Weihnachtsgeschenke abhaken konnte. Die Kinder glauben ohnehin nicht mehr an den Weihnachtsmann und so bekommen sie dieses Jahr statt eingepackten Spielzeugs lieber einen nicht alltäglichen Ausflug nach Deutschland. Und weil ich von der alten Schule bin, wo man Ausflüge individuell plant und sie nicht wie vorproduzierte Päckchen auf Rabatt-Portalen kauft, habe ich mich entschieden den Ausflug zu unseren Nachbarn mit einem Besuch im Kurbad in Zwiesel zu verbinden.
DER WEG AUS DER STADT
Früh am Morgen setzen wir uns in den Zug nach Železná ruda, Alžbětín, wo wir in die deutsche Regionalbahn umstiegen. Ich fahre zwar Auto, aber seit den letzten Tagen gibt es ordentliche Fröste und ich habe Angst, dass es im Böhmerwald Schnee oder Glatteis geben wird und ich mitten hinein komme. Zudem kostet mich die gesamte Fahrt dank eines Gruppentickets von den Tschechischen Bahnen mit einer Erweiterung für das deutsche Grenzgebiet nur leicht über 11 Euro. Was, wie ich schnell feststelle, bei den Adventspreisen drei Tassen Punch gleichkommt, und davon sind zwei für die Kinder.
Die mit Reif bedeckte Landschaft begleitet uns bis nach Zwiesel. Ein Stück vom Bahnhof ist der örtliche Aldi. Wir gehen aber nicht einkaufen, sondern zur unweiten Haltestelle des Pendelbusses, der uns binnen 15 Minuten in die „Schweinehütte“ bringt. Ich muss zugeben, dass mich die Atmosphäre auf dem verschneiten deutschen Land gesteckt hat. Auf den umliegenden Wiesen Pferde, wir gehen vorbei an pittoresken, aber sehr gepflegten Häuschen und dank der Schilder „Waldweihnacht“ kommen wir bald zum Eingang.
Dabei dämmert es bereits und aus dem Wald blitzen Kerzen und Feuer. Aus der romantischen Stimmung reißt mich erst Weihnachten wieder heraus. Also genauer die Schlange seiner Bewunderer, die sich gute 100 Meter bis zur Eingangsbude zieht. Der Eintritt auf den Markt kostet 3,50 Euro und einen Rabatt aufs Frieren gibt es nicht. Der Plan, den nächsten Stand mit Punsch fußläufig zu erreichen, ist aufgeschoben, denn wir suchen überhaupt nach irgendeinem Platz, wo keine Menschenmengen durchkommen und uns keiner zertrampelt. Weihnachtsliebhaber gibt es hier reichlich und ich beginne mir klar zu werden, was mich alles an der organisierten Weihnachtsfreude stört. Die hiesige Masse an Leuten lässt sich wohl damit erklären, dass der Markt nicht während der gesamten Adventszeit stattfindet, sondern nur an zwei Dezember-Wochenenden. Erklärbar also, für mich dennoch unverständlich...
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© Waldweihnacht Schweinhütt GbR,
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© Věra Šimáčková
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© Waldweihnacht Schweinhütt GbR,
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© Waldweihnacht Schweinhütt GbR,
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© Waldweihnacht Schweinhütt GbR,
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© Věra Šimáčková
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© Věra Šimáčková
MIT EINEM BISSCHEN PUNSCH ÜBERSTEHEN SIE AUCH DEN ADVENT
Zum Punschstand kämpfen wir uns schließlich nur so durch und ich fühle mich nach zwei Tassen des heißen Getränks weitaus besser. Weihnachtlicher. Der Wald strahlt durch die Kerzenlichter, Laternen und die Feuer, die in vorbereiteten Feuerstellen und Einfriedungen aus Metall angezündet worden waren. Der gesamte Markt, oder besser das adventliche Dorf im Wald zieht sich auf einen Hügel umstellt von Ständen in Gestalt hölzerner Hütten, oft auch mit zwei Etagen. Sie müssen aber keine Angst haben, dass Sie auf dem Weg nach vorn müde werden könnten. Die Menschenmenge erinnert an einen unendlichen, langsam sich windenden Tausendfüßler, der unerwartet anhält und wir mit ihm. Bis sich die Massen wieder ein Stück nach vorn bewegen, warten Sie und schauen sich um. Wenigstens gibt es etwas zu sehen. In Begleitung der Feuerlichter erinnert der Wald eher an eine Hexenfeier oder verspätetes Halloween. Den Weihnachtsmann und andere typische Kennzeichen von Weihnachten würden Sie hier vergeblich suchen. Und auch wenn wir zum Schluss eine riesige geschnitzte Krippe vorfinden, so sieht diese durch die Beleuchtung doch leicht gespenstisch aus und der hinter dem Zaus stehende Esel macht es allein auch nicht besser.
Die Stände und Hütten kann man de facto in drei Typen einteilen, wobei alle etwas zum Kauf anbieten. Die ersten beiden Kategorien sind klar: Essen und Trinken aller Art. Gezuckerte und mit Marmelade gefüllte Waffeln, Gulasch aus riesigen Tiegeln, reichliche Eintöpfe, aber beispielsweise auch Spätzle mit Käse, Kraut und Speck oder gebratener Fisch. Getränke treten hier in dreierlei Gestalt auf: Glühwein, Bier und Schnaps. Während Bier Bier bleibt und ich zudem ordentlich durchgefroren bin, ist Glühwein in verschiedensten Obst- und Alkoholvarianten erhältlich. Eine eigene Gruppe bildet verständlicherweise der Schnaps. Eine Vielzahl von Herstellern bietet ihre Produkte hier flaschenweise an und die häufigen Kostproben sind nicht vom Prozess des Einkaufens wegzudenken. Wenn etwas zuverlässig als Analgetikum gegen einen mit Menschen überfüllten Wald hilft, der an meuternde Massen erinnert, dann ist das Schnaps in Kombination mit Frost und deutschen Weihnachtsliedern.
In der übrig bleibenden Gruppe sind dann all diejenigen Dinge, die man nicht essen oder trinken kann und glauben Sie mir, dass sie davon so viele nicht finden werden. Das sind handgenähte Mützen, Kleidchen für Puppen oder wirklich kleine Mütter, geschnitzte Kerzenleuchter, Vogelhäuschen und jede Menge Trödelhändler, die mit ihrem Angebot eher an einen Ausverkauf aus einer Garage erinnern. Bei einem ergattere ich für ein paar Euro einen riesigen, mindestens zwei Liter großen, bemalten Bierkrug mit einem Aluminiumdeckelchen zum Hinterklappen, mit dem ich wahrscheinlich jemanden beschenken werde, der es vor Weihnachten noch schafft mich zu ärgern.
WEIHNACHTEN ALS SOZIALES KONZEPT?
Wäre ich ins deutsche Schweinhütt nur wegen des Weihnachtsmarktes selbst gefahren und wäre dies mein einziger Programmpunkt für den gesamten Tag gewesen, wäre ich wohl enttäuscht gewesen. Wenn Sie nämlich nicht daran denken, dass es wegen der Überfüllung unmöglich gewesen war das gesamte „Areal“ des Marktes einigermaßen flüssig zu durchlaufen, hätten Sie nach guten zwanzig Minuten alles gesehen. Der Markt im Wald ist klein, eine Gasse führt auf einen Hügel, die zweite führt Sie wieder hinunter. Die Waldweihnacht in Schweinhütt ist aber eine willkommene Verschönerung für die Rückkehr von einem langen Ausflug nach Tschechien. Sollten Sie fahren wollen, planen Sie den Besuch für den späten Nachmittag oder Abend (der Markt ist bis 22 Uhr geöffnet), denn erst im Dunkeln tritt das Highlight des beleuchteten Waldes voll hervor: Feuer, Kerzen, Kessel und ausgelassene Freude unter Mondschein. Traditionelle Weihnachten würde man hier vergebens suchen, was für Manchen ein großes Plus sein kann.
Die begrenzten Ausmaße des Marktes haben aber niemanden besonders gestört. Diejenigen, die auf einen großen und traditionellen Weihnachtsmarkt wollten, sind ohnehin längst im nahen Regensburg oder Nürnberg. An den Besuchern im Wald ist deutlich zu sehen, dass sie vor allem gekommen sind um die Zeit hier zu genießen. Weihnachten hin oder her. Vielleicht auch um ein bisschen die Hektik zu vergessen, die sie in den nächsten Wochen erwartet. Oft sind es größere Gruppen, die auf einer Wegkreuzung stehen, bei den Waldtischchen, auf den Bänken der Hütten, im Erdgeschoss oder oben, zusammengepresst um die Feuer herum, singen, lärmen, sich unterhalten. Nach einer Weile verlässt einer von ihnen die Gruppe mit den Pfandtassen für die nächste Runde zum Aufwärmen und tauscht sie gegen eine neue Bestellung ein. Geld spielt hier keine große Rolle und wenn Sie aus Tschechien kommen, können Sie das Umrechnen aller Preise in Kronen vergessen. Sonst würden Sie gar nicht erst etwas kaufen. Und das wäre schade.
Als wir am Bahnhof zurück sind, ist es schon Abend, der Mond scheint am Himmel, die Sterne leuchten und durch die verschneite Landschaft strömen langsamen kleine Gruppen von Menschen – zum Zug, zum Pendelbus oder zum weiter entfernten Parkplatz. Meine Enkel haben sich einer Räubergruppe aus hiesigen kleinen Teufeln angeschlossen, die mit Masken zwischen den Leuten durchgehen und ihnen die Mützen herunterreißen, um sie dann gegen eine kleine Gebühr wieder zurückzugeben. Sie genießen den Ausflug augenscheinlich. Und ich eigentlich auch. Die Atmosphäre im Winterwald, der sich vergnügt, der Sie verschlingt, auch wenn Sie sich noch so wehren. Schließlich bin ich auch toleranter gegenüber den überfüllten Gässchen geworden. Sie müssen nämlich nicht einmal so viel Deutsch können, um hier mit jemandem ins Gespräch zu kommen. Das geht alles sehr natürlich vonstatten und die geheimnisvolle Atmosphäre führt zu unerwarteten Übereinstimmungen mit den Anderen. Eher als an christliche Feiertage erinnert der hiesige Weihnachtsmarkt an eine längst vergangene heidnische Feier, die den Menschen zurück zur Natur bringen soll. Und damit kann ich eher leben, als mit kommerziellem Weihnachten voller Geschenke und kitschiger Lieder.