Schnelleinstieg:

Direkt zum Inhalt springen (Alt 1) Direkt zur Hauptnavigation springen (Alt 2)

Goethes Pfadfinder
Ein Programmierer in den Ruinen des Nationalsozialismus

Nürnberg, Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände
Nürnberg, Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände | Foto: Pavel Mudra

Ein Programmierer und seine Kinder machen sich auf zu einer Geschichts- und Architekturlehrstunde nach Nürnberg. Auf ihrem Weg treffen sie auf historische Monumente aus dem "Dritten Reich", auf die heute nur noch der Regen sowie der Zahn der Zeit einwirken und die lediglich für Selfies von Touristen bereitstehen.
 

Von Pavel Mudra

Auf dem Weg nach Nürnberg denke ich darüber nach, was ich überhaupt über diese Stadt weiß. Ich erinnere mich an Weihnachtsmärkte, an die Nürnberger Prozesse und außerdem nur noch an eine riesige Versammlungsstätte der Nazis, die ich aus schwarz-weißen Dokumentationen kenne. Da gerade kein Advent ist, entscheiden wir uns dafür, das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände anzuschauen, wie die zungenbrecherische deutsche Bezeichnung für das ehemalige Versammlungsareal der NSDAP in Nürnberg lautet. Die Kinder sind zwar vom Besuch eines „Kriegsmuseums“ nicht besonders begeistert, aber ich besteche sie mit einem Hotdog und so machen wir uns auf, gemeinsam mehr über diesen Teil der Geschichte zu erfahren.

Auf die Größe kam es offensichtlich an

Bei der Ankunft zieht uns die Größe der einzelnen Gebäude in ihren Bann. Das größte von ihnen ist fast einhundert Meter hoch und man muss nicht nach Rom fahren, um sich das antike Kolosseum vorstellen zu können. Wie wir später erfahren werden, handelt es sich um die nicht fertiggestellte Kongresshalle, bei deren Entwurf sich Adolf Hitlers Leibarchitekt Albert Speer durch die Bauform des römischen Kolosseums inspirieren lassen hat.

Das Navi leitet uns direkt zu diesem Gebäude, da eines seiner Teile vor einigen Jahren zu einem modernen Museum umgebaut worden ist. Für eine Familieneintrittskarte zahlen wir nur 6,50 € und schon sind wir im Museum. Uns fällt ein für manchen vielleicht unwesentliches Problem auf: Alle Erklärungstafeln sind nur auf Deutsch und Englisch vorhanden. Aber was macht man mit den Kindern? Ich erkundige mich nach einem Audioguide, aber auf Tschechisch haben sie bisher noch keine. Wir bekommen aber zumindest eine Informationsbroschüre auf Tschechisch in die Hand – alles andere muss ich für die Kinder selbst übersetzen.

Das Museum konzentriert sich hauptsächlich auf die Machtergreifung durch Adolf Hitler und die NSDAP und die Ausstellung endet mit den Nürnberger Prozessen. Wir haben beispielsweise erfahren, wie größenwahnsinnig Hitlers architektonische Pläne waren und dass es den Nazis nur gelungen ist, einige wenige Gebäude so zu errichten, wie es ursprünglich beabsichtigt war. Das trifft im Übrigen auch für die Kongresshalle und das berühmt-berüchtigte Zeppelinfeld zu, wo „der Führer“ vor Hunderttausenden seine feurigen Reden hielt. Das gesamte Areal ist für die Öffentlichkeit zugänglich, aber einige Bauten sind wegen ihres schlechten technischen Zustands von einem Zaun umgeben, an dem man auf Schilder mit der großen Aufschrift „Betreten auf eigene Gefahr“ stößt.

Auf der steinernen Tribüne, wo vor achtzig Jahren die nationalsozialistischen Wortführer „gepredigt“ haben, sitzen heute Touristen. Von ihrem höchsten Punkt aus sind der Parkplatz, die Zäune und wild wuchernde Gräser zu sehen. Vom damaligen „Ruhm“ des nationalsozialistischen Terrors gibt es fast keine Erinnerungen, vom Stolz des Regimes blieben nur die riesigen, verfallenden Gebäude.
  • Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände Foto: Pavel Mudra
    Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände
  • Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände Foto: Pavel Mudra
    Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände
  • Tribüne am Zeppelinfeld Foto: Pavel Mudra
    Tribüne am Zeppelinfeld

Regen, Wind und die Riefenstahl

Der heruntergekommene Zustand des gesamten „Areals“ ist ein großes Thema, das bereits seit einigen Jahren in Nürnberg bzw. in ganz Deutschland mitschwingt. Die Zukunft des Komplexes ist nämlich unklar und auch trotz größerer Investitionen – beispielsweise in das neue Museum – gehen die Meinungen in Bezug auf seine weitere Entwicklung auseinander. Während einige alles abreißen und vergessen wollen, überwiegt bei der Mehrheit das Motto Niemals vergessen, nie wieder!. Das ganze Reichsparteitagsgelände wird gegenwärtig gesetzlich geschützt und die Einzige, die es demnach zerstören darf, ist die Natur: Sie sucht sich nicht aus, was sie beschädigt und so ist  beispielsweise die Haupttribüne durch Wind und Regen anfällig für den sukzessiven natürlichen Einsturz.

Der Ort sieht schon lange nicht mehr so aus, wie ihn Leni Riefenstahl 1934 im Propagandafilm Triumph des Willens abgebildet hat – die fast paralysierende Wirkungskraft bleibt allerdings. Und das vor allem bei dem Anblick aus der Ferne, bei dem die Monstrosität des gesamten Areals hervortritt, das ursprünglich elf Quadratkilometer einnahm.

Von den Informationstafeln auf unserem Weg erfahren wir, dass es nicht nur die Zeit war, in der über die heutige Gestalt des Areals entschieden wurde. Außer, dass die einzelnen Gebäude aufgrund ihrer räumlichen Dimension und Kostspieligkeit nicht fertiggestellt worden sind, wurde auch ein großer Teil der ursprünglichen Architektur durch die Bombardierung, den Vormarsch der Alliierten und die sich anschließende Beseitigung der nationalsozialistischen Symbole nach dem Kriegsende zerstört.

Bei der Erkundung des ganzen Areals hatte ich gemischte Gefühle – ich gebe zu, dass mich das Gebäude mit seiner Imposanz beeindruckt hat, aber ich hatte dabei fast ein schlechtes Gewissen. Man kann es nämlich nicht einfach nur als Architektur wahrnehmen, ohne darüber nachzudenken, warum es entstanden ist und was hier geschehen ist. Es heißt, dass die Nazis für diesen Bau sogar ein spezielles Konzentrationslager eingerichtet haben, um dort Marmor abbauen zu lassen … Äußerst paradox wirken Touristen, die auf der Tribüne am Zeppelinfeld, an der Stelle des nicht mehr vorhandenen Rednerpultes, Selfies machen, dabei lächeln oder in die Kamera winken. Ich denke, dass sie entweder gar nicht im Museum nebenan gewesen sind oder dass sie davon nichts mitgenommen haben. Nach diesem Besuch ahne ich allerdings bereits, dass dieses megalomanische Gebäude in Deutschland noch für weitere Kontroversen sorgen wird.

See Dutzendteich, Nürnberg See Dutzendteich, Nürnberg | Foto: Asvolas, Colourbox

Top