Goethes Pfadfinder
Der Liebe wegen nach Dortmund
Viele Goethe-Pfadfinder erzählen von besonderen Ereignissen und Orten in Deutschland. Dies ist eine etwas andere Geschichte, sie erzählt von Hundeliebe, Hundewetter und einem leeren Dortmund.
Von Petr Sándor
Abi, unsere Entlebucher Sennenhündin, hatte sich verliebt. Ihr Auserwählter, Drako, reinrassig und mit Stammbaum, war jedoch von weither. Also mussten wir mit Abi aus unserer heimatlichen Gemeinde Kamenice bei Prag die weite Reise nach Dortmund antreten. Und so kam es, dass wir ein paar feuchtkalte, Covid-schwere Herbsttage im unwirtlich wirkenden deutschen Ruhrgebiet verbrachten. Doch was würde man nicht alles auf sich nehmen für die Liebe, und sei es für die eines Hundes?
Was muss nun der Mensch alles tun, damit ein deutsch-tschechisches Hunde-Date ordnungsgemäß ablaufen kann? In erster Linie muss er warten, bis die Hündin in der richtigen „Stimmung“ ist. Wenn es dann soweit ist, muss alles sehr schnell gehen. Zunächst muss ein Test auf COVID-19 absolviert werden (den braucht zwar die Hündin nicht, wohl aber ihre tschechische Familie. Denn ohne einen negativen Test würde man in Deutschland nicht weit kommen). Dann gilt es, noch schnell das Auto vollzutanken, sich damit abzufinden, dass der Wetterbericht Regen meldet, und sich auf die mehr als sechshundert Kilometer lange Reise nach Unbekannt zu machen.
Autobahn nach Dortmund
| Foto: ifeelstock/Colourbox
Auf die Größe kommt es nicht an
Wir sind keine besonders weitgereiste Familie. Vielleicht ist das auch der Grund, warum uns die Stadt Dortmund und das ganze dicht besiedelte Ruhrgebiet auf den ersten Blick überrascht haben. Auf Schritt und Tritt begegnet man Überresten der Schwerindustrie. Das verleiht der Region zwar gewissermaßen einen besonderen Charme, macht sie aber keinesfalls schöner. Trotz der Nachmittagsstunden, in denen starker Berufsverkehr zu erwarten gewesen wäre, wirkte die Stadt wie ausgestorben. Wir sahen nur wenige Autos und noch weniger Menschen. War das nun COVID-19 zuzuschreiben oder der hervorragend ausgeklügelten deutschen Infrastruktur, die Staus verhinderte ehe sie auftraten? Wir entschieden uns für Variante 2.Während unsere Hündin bei ihrem Date mit Drako war, hatten wir Zeit für eine Stadtbesichtigung. Vorher hatten wir uns noch erkundigt, was es in Dortmund so Schönes zu sehen gäbe, worauf uns unser Nachbar, ein Einheimischer, antwortete: „Nichts. Es sei denn, sie interessieren sich für Fußball.“ Ausgestattet mit diesem nützlichen Insider-Tipp entschieden wir uns – zum einen weil gerade kein Fußballspiel stattfand, und zum anderen weil wir uns nicht für Fußball interessierten – für einen Besuch im Zoo.
Der Dortmunder Zoo ist im Vergleich zum Prager Zoo wesentlich kleiner. Doch es ist ja allgemein bekannt, dass es nicht auf die Größe ankommt. Und man muss auch wissen, dass es in der Umgebung von Dortmund gleich mehrere zoologische Gärten gibt und es deshalb auch nicht notwendig ist, es mit der Größe wunder wie zu übertreiben. Immerhin konnte Dortmund, nebst dem berühmten und uns empfohlenen Fußball auch Flamingos, Eulen, Fischotter, Pinguine, Robben, alle möglichen Haustiere, Zebras, Kängurus, Giraffen, Nilpferde und viele andere Zweibeiner, Vierbeiner und beinlose Kreaturen vorweisen. Leider fanden aufgrund der aktuellen COVID-19-Situation keinerlei Vorführungen und Fütterungen der Tiere statt, wahrscheinlich um Menschenansammlungen zu vermeiden. Unser Besuch der Dortmunder Innenstadt legte aber nahe, dass diese Angst gänzlich unbegründet war.
Aber eins bleibt besteh’n: Dortmund wird nie untergeh’n!*
Bei der Stadtbesichtigung bestätigte sich unser Eindruck, den wir schon bei der Ankunft hatten. Menschenleer! Auch das konnte auf COVID-19 zurückzuführen sein oder aber auch darauf, dass die Geschäfte hier sonntags Ruhetag haben, was wir aus Tschechien nicht kennen. Außer der Kirche haben wir im Stadtzentrum nicht ein einziges historisches Gebäude gesehen. Alles sind sogenannte „moderne Klötze“, typische Bauten aus der Nachkriegszeit, emotionslos und ohne jegliche architektonische Besonderheiten.Uns kam die Idee, in die unweit gelegene Stadt Wuppertal zu fahren, in der es eine berühmte Schwebebahn gibt. Doch leider erwarteten uns gleich mehrere Probleme! Das erste Problem war, dass ich den Preis für eine Bahnfahrkarte nach Wuppertal nicht herausfinden konnte, oder genauer gesagt, mir wollte nicht in den Kopf, dass eine Hin- und Rückfahrkarte Dortmund-Wuppertal 43 EUR pro Person kosten sollte, wie es auf den Internetseiten der Deutschen Bahn ausgeschrieben stand. Problem Nummer zwei war, dass die auf den Internetseiten der Deutschen Bahn veröffentlichte Information stimmte! Und das dritte Problem bestand darin, dass man einen Besuch im Wuppertaler Zoo, den wir auch gleich besuchen wollten, im Voraus reservieren musste. Allem Anschein nach wollten wir zwar Wuppertal sehen, Wuppertal aber nicht uns. Und so blieben wir wie eine Hälfte einer eingeschlafenen Beziehung bei dem uns zugewiesenen Los; wir blieben in Dortmund.
Hin und zurück
Selbst unser nur dreitägiger Aufenthalt in Dortmund hat uns viel Aufschluss über die unterschiedlichen Lebensweisen in Prag und hier gebracht. Vor allem die sonntäglichen Ruhetage der Geschäfte und das menschenleere Stadtzentrum waren für uns eine neue, eigenartige Erfahrung, die sich nur schwer beschreiben lässt und die wir aus Tschechien in der Regel nicht kennen. Vergleichbar ist sie vielleicht nur mit der Situation, die im März und April 2020 während des Notstands in Prag herrschte. Ein weiterer sichtbarer Unterschied besteht darin, dass in Dortmund zwar so manches etwas abgenutzt aussieht, es aber einwandfrei funktioniert und sauber ist. In Tschechien dagegen ist es oft genau umgekehrt.Nachdem wir bereits am ersten Tag Dortmund wegen der hohen Fahrkartenpreise nicht verlassen hatten, kriegten wir nun zusehends den Eindruck, dass die Stadt uns liebgewonnen hatte und uns gar nicht mehr gehen lassen wollte. In der Sonntagszeitung lasen wir, dass die Verkehrsbetriebe in Warnstreik treten wollen, was bedeutete, dass die öffentlichen Verkehrsmittel nicht fahren würden. Wir befürchteten, dass sich unsere so schon acht Stunden dauernde Heimfahrt noch verlängern würde und wir in Staus feststecken würden, die sich aufgrund des Streiks nicht nur in Dortmund, sondern auch in der ganzen Umgebung bilden würden. Deshalb haben wir vorsichtshalber lieber schnell unsere Koffer gepackt, unsere Hündin ins Auto geladen, Dortmund und Drako adé gesagt und uns schnurstracks auf den Rückweg nach Prag gemacht.
Was nehmen wir nun von diesem Ausflug nach Deutschland mit? Neue Eindrücke, Erlebnisse, eine Menge Fotos und vor allem die Erkenntnis, dass das Schicksal und eine Hundeliebe den Menschen auch an Orte verschlagen können, an deren Besuch er unter anderen Umständen keinen Gedanken verschwendet hätte. Und vielleicht nehmen wir ja aus Dortmund noch etwas anderes mit! Das neue Leben deutsch-tschechischer Hunde-Babys! Doch darüber wird uns Abi in ein paar Wochen sicher selbst mehr erzählen….
* Paraphrase auf einen Vers der Hymne des Fußballklubs Borussia Dortmund: „Aber eins, aber eins, das bleibt besteh’n: Borussia Dortmund wird nie untergehen!“
Hafen im Dortmund | © Jana und Petr Sándor
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