Von und über Ewald Arenz
Ewald Arenz studierte Jura sowie Amerikanistik, Anglistik und Geschichte. Mitte der 1990er- Jahre erschienen seine ersten Erzählungen, es folgten zahlreiche Romane und Theaterstücke. Sein literarisches Werk ist mit diversen Preisen bedacht worden. So stand der Roman Alte Sorten (2019) auf der Shortlist „Lieblingsbuch der Unabhängigen“ und war ein großer Verkaufserfolg. Das Buch Der große Sommer (2021) wurde als „Lieblingsbuch der Unabhängigen“ ausgezeichnet. Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit ist Ewald Arenz als Lehrer sowie u.a. beim Rundfunk tätig. Er lebt in der Nähe von Fürth.
Ist der Mensch sich selbst genug oder braucht er zu seinem Dasein einen weiteren Seelenverwandten? Und wenn einem schon nichts anderes übrig bleibt, kann einem dann Freundschaft das Leben retten? Ewald Arenz' Roman Alte Sorten (tsch. Staré odrůdy) versucht, Antworten auf diese Fragen zu finden, aber er macht es sich dabei vielleicht zu einfach.
Mit dem Roman Alte Sorten stellt sich Ewald Arenz (geb. 1965) ein deutscher Dramatiker, Gymnasiallehrer, Literaturveranstalter und Schriftsteller, den tschechischen Lesern vor. In der deutschsprachigen Szene ist er kein Neuling, er publiziert seit fast dreißig Jahren und erhält seit einem Vierteljahrhundert verschiedenste Preise für sein literarisches Werk. Die Bandbreite seiner Werke ist groß: sie reicht vom magischen Realismus (Der Teezauberer, 2002; Der Duft von Schokolade, 2007) über historische Romane (Das Diamantenmädchen, 2011; Ein Lied über der Stadt, 2013) bis hin zu zeitgenössischen Romanen, in denen ein leichter, manchmal sogar grotesker Ton vorherrscht (Don Fernando erbt Amerika, 1996; Ehrlich & Söhne, 2009). Arenz' Roman aus dem Jahr 2019, Alte Sorten (tsch. 2021), unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von seinem bisherigen Werk. Der Autor verlässt den Bereich der Unterhaltungsliteratur und gibt vor dem Hintergrund einer einfachen Handlung einen Einblick in das Innenleben der Hauptfiguren. Auch sprachlich bemüht er sich um einen geschliffenen, fast poetischen Ausdruck. Alte Sorten wurde von Kritikern und Lesern in Deutschland begeistert aufgenommen und es wurde mehr als eine Viertelmillion Exemplare verkauft. Mit der Veröffentlichung in einer tschechischen Übersetzung von Tereza Jůzová setzt der Host-Verlag auf Sicherheit und bewährte – sagen wir mal – Qualität.
Der Herbst naht, die Früchte reifen, die Kartoffelernte steht bevor, aber die Hitze schafft es immer noch, die Luft über dem Horizont zum Flimmern zu bringen - und irgendwo inmitten der Felder und Weinberge treffen sich zwei Frauen. Die eine ist älter, vom Leben gezeichnet, die andere jung, eigentlich ein Mädchen. Der Zufall hat sie zusammengeführt, aber wie man begründeterweise annehmen kann, wird es nicht bei einer flüchtigen Begegnung bleiben. Die ältere Frau, Liss, spürt instinktiv die Not des Mädchens und bietet ihr Unterschlupf auf ihrem Hof. Im Gegensatz zu den anderen Erwachsenen stellt sie keine Fragen und will nichts von ihr, obwohl sie bald herausfindet, dass das Mädchen aus einer Klinik ausgerissen ist. Nur gelegentlich und ohne Aufforderung bietet Liss dem Mädchen an, ihr bei der Arbeit auf dem Hof zu helfen. So findet sich der Leser mit beiden Protagonistinnen auf dem Feld bei der Kartoffelernte, im Wald beim Markieren von Bäumen, am Bienenstock bei der Bienenpflege und schließlich in einem verfallenen Garten voller alter Birnensorten wieder. Hin und wieder blitzt eine Erinnerung auf, eine frische oder eine längst vergessene. Von Liss und Sally, wie sich das Mädchen nennen lässt, erfahren die Leser:innen mehr, als die beiden Frauen sich in den wenigen gemeinsamen Wochen erzählen. Und immer wieder kann man sich davon überzeugen, wie stark vom Schicksal gezeichnet und emotional ausgedörrt beide sind.
Nicht nur die Leser:innen ahnen, dass das fragile Zusammenleben der beiden Frauen eines Tages zu Ende gehen muss, dass seine Dauer davon abhängt, wie schnell es der Außenwelt gelingt, die geflüchtete Sally aufzuspüren und gegen ihren Willen wieder in das soziale System zu integrieren. Sowohl Liss als auch Sally wissen das, und doch kommen sie sich näher. Um Missverständnisse zu vermeiden, warnt der Autor den Leser jedoch überdeutlich, dass es sich bei der Beziehung zwischen Liss und Sally nicht um eine Liebesbeziehung, sondern lediglich um eine freundschaftliche Beziehung handelt. Diese Deutlichkeit könnte man noch verzeihen, da heutzutage eine „bloße“ Freundschaft zwischen Personen gleichen Geschlechts oftmals erst die zweite Option ist, die dem Leser in den Sinn kommt. Das Bemühen um eine Wortwörtlichkeit ist jedoch störend (z. B. beim Motiv der Zeitreise, als Liss in Sally sich selbst vor Jahrzehnten sieht).
Arenz' Alte Sorten ist ein typischer Entwicklungsroman (Bildungsroman). Ab dem Moment an, in dem sie sich begegnen, befinden sich die beiden Heldinnen auf einer Reise, auf der sie sich mit den Traumata ihrer Vergangenheit auseinandersetzen müssen. Sie reifen geistig und moralisch - wie die Birnen in Liss´ Garten. Das für einen Entwicklungsroman typische Motiv der Flucht wird gleich zweimal durchgespielt: Während Liss vor Jahren geflohen ist, hat Sally den Entschluss nur Stunden vor ihrer Begegnung mit ihr gefasst.
Die Landschaft spielt eine wichtige Rolle bei der Selbstfindung der beiden Frauen und beim Kennenlernen ihrer neuen Freunde, und Arenz beschreibt sie sehr gut - es gelingt ihm, die Geräusche, Gerüche und die Atmosphäre des Altweibersommers in wenigen Sätzen zu beschwören, ohne wortreich zu sein. Auch der Rhythmus der Erzählung passt sich dem an, was die Figuren erleben: Zunächst werden die Leser:innen langsam, fast schüchtern, in Liss´ Bauernhaus und seine Umgebung eingeführt; als Sally schließlich aufgespürt wird, überschlagen sich die Ereignisse und Erinnerungen.
Gleichzeitig wird an dieser Stelle aber auch die größte Schwäche von Arenz' Text deutlich: seine geringe Glaubwürdigkeit. Schon an anderer Stelle wirkte das, was die kaum achtzehnjährige Sally sagt und wie sie es sagt ("... das fühlt sich alles an wie eine wunderbare Strafe dafür, dass jemand versucht hat, wachsenden Dingen eine Form zu geben") und wie die Figuren denken, bisweilen unglaubwürdig, ja künstlich. Die Leser:innen beschleicht das unangenehme Gefühl, dass der Autor sich hartnäckig bemüht hat, seinen Text gefühlvoll und tiefgründig erscheinen zu lassen, aber dieser Eindruck hindert einen auch daran, dem Autor und seinen Figuren wirklich zu glauben. Selbst wenn wir nachsichtig sind, ist es bei der Schilderung der entscheidenden Szene (als Sally zufällig am richtigen Tag wieder auf dem Bauernhof auftaucht, zufällig den richtigen Brief liest und zufällig Liss gerade noch rechtzeitig findet) offensichtlich, dass der Autor seine Chance endgültig vertan hat. Alles, was bleibt, ist ein Nachgeschmack von übermäßig süßen und irgendwie überreifen Birnen.
© Hana Chrástová
Die Rezension wurde in Zusammenarbeit mit dem Online-Literaturmagazin iLiteratura verfasst.
Werk (Auswahl)
– Alte Sorten. DuMont Buchverlag 2019.
Tschechisch: Staré odrůdy. Übersetzt von Tereza Jůzová. HOST 2021
– Der Golem von Fürth. G&S Verlag Zirndorf 1994
– Der Horsbacher Fuchs. G&S Verlag Zirndorf 1995
– Don Fernando erbt Amerika. G&S Verlag Zirndorf 1996
– Liebe Provinz, Dein Paris. A. Jungkunz Verlag 1999
– Der Teezauberer. ars vivendi 2002
– Die Erfindung des Gustav Lichtenberg, ars vivendi 2004
– Der Duft von Schokolade. ars vivendi 2007
– Meine kleine Welt. Illustrationen von Irma Stolz, ars vivendi 2008
– Ein Lied über der Stadt. ars vivendi 2013
– Urlaubsliebe. ars vivendi 2020
– Der große Sommer. DuMont 2021
– Alte Sorten. DuMont Buchverlag 2019.
Tschechisch: Staré odrůdy. Übersetzt von Tereza Jůzová. HOST 2021
– Der Golem von Fürth. G&S Verlag Zirndorf 1994
– Der Horsbacher Fuchs. G&S Verlag Zirndorf 1995
– Don Fernando erbt Amerika. G&S Verlag Zirndorf 1996
– Liebe Provinz, Dein Paris. A. Jungkunz Verlag 1999
– Der Teezauberer. ars vivendi 2002
– Die Erfindung des Gustav Lichtenberg, ars vivendi 2004
– Der Duft von Schokolade. ars vivendi 2007
– Meine kleine Welt. Illustrationen von Irma Stolz, ars vivendi 2008
– Ein Lied über der Stadt. ars vivendi 2013
– Urlaubsliebe. ars vivendi 2020
– Der große Sommer. DuMont 2021
(geb. 08.08.1987 in Prag) Übersetzerin, Redakteurin
© František Šrytr Tereza Jůzová studierte Übersetzen und Dolmetschen sowie Soziologie an der Karlsuniversität Prag und verbrachte ein Studienjahr in München. Sie übersetzt aus dem Deutschen und konzentriert sich auf Sozialwissenschaften und Belletristik, darüber hinaus ist sie als externe Redakteurin im Host-Verlag tätig. Sie ist doppelte Preisträgerin des Jiří-Levý-Übersetzungswettbewerbs.
Übersetzte Werke
© František Šrytr Tereza Jůzová studierte Übersetzen und Dolmetschen sowie Soziologie an der Karlsuniversität Prag und verbrachte ein Studienjahr in München. Sie übersetzt aus dem Deutschen und konzentriert sich auf Sozialwissenschaften und Belletristik, darüber hinaus ist sie als externe Redakteurin im Host-Verlag tätig. Sie ist doppelte Preisträgerin des Jiří-Levý-Übersetzungswettbewerbs.
Übersetzte Werke