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Im Gespräch mit ...
„Es kann ja nie jemand was dafür“ – Interview mit Ilija Trojanow

© Jiří Straka

Warum interessieren sich Leserinnen und Leser auf der ganzen Welt für eine bulgarische Geschichte vom Widerstand gegen Macht? Der deutsche Schriftsteller Ilija Trojanow spricht mit iLiteratura über seinen neuen Roman, den ein ungarischer Verleger angeblich aus Angst vor Repressionen ablehnte. Sein russischer Verleger hingegen lief beinah vor dem Autor davon. Trojanow verrät in dem Gespräch auch, was es mit seiner Konvertierung zum Islam wirklich auf sich hat.

Von Marie Voslářová

Ilija Trojanow (geb. 1965) war anlässlich der Präsentation der tschechischen Übersetzung seines Romans Macht und Widerstand in Prag. Dieser satirische Text beschäftigt sich mit Bulgarien – mit seiner jüngsten Geschichte und mit der gegenwärtigen Situation im Land, und das aus zwei Blickwinkeln: aus der Perspektive eines ehemaligen Funktionärs der Staatssicherheit, der gegenwärtig ein nicht unbedeutender Oligarch ist, sowie aus der Perspektive eines ehemaligen politischen Gefangenen, zu dessen Lebensinhalt es wurde, die Wahrheit über die Vergangenheit und die Verbrechen des totalitären Regimes aufzudecken. Diese wurden nämlich ohne größere Probleme einfach unter den Teppich gekehrt.

Material für den Roman „Macht und Widerstand“ haben Sie unter anderem in Archiven der bulgarischen Staatssicherheit gesucht. Könnten Sie uns beschreiben, wie das Buch entstanden ist?

Ja, bei allen Dokumenten, die im Roman eingearbeitet sind, handelt es sich um authentische Materialien aus dem Archiv der Staatssicherheit. In nur einigen Fällen habe ich die Namen der Personen geändert.

Das Buch hat eine lange Geschichte. Im Jahr 1971 bin ich mit meiner Familie aus Bulgarien geflüchtet und zurückgekehrt bin ich erst im Dezember 1989. Ich engagierte mich während der Wende und lernte dabei eine Menge Leute kennen, auch politische Gefangene des kommunistischen Regimes. Und je länger ich mit diesen Persönlichkeiten gesprochen habe, desto mehr wurde es mir zum Anliegen, ihre Geschichten zu erzählen, denn man spricht wenig über sie – nicht nur in Bulgarien, sondern überall im ehemaligen Ostblock. Der erste Ausgangspunkt für den Roman waren also die über mehrere Jahre hinweg aufgenommenen Gespräche mit Leuten, die im Gulag oder im Gefängnis waren. Gespräche mit einigen Offizieren der damaligen Staatssicherheit lieferten mir weiteres Material. Und als drittes habe ich Dokumente aus dem Archiv verwendet. Auf der Basis von alldem habe ich den Roman konzipiert.

Kann man sagen, dass Sie die Figur des ehemaligen Dissidenten Konstantin erschaffen haben, indem sie die Geschichten mehrerer Leute verbunden haben, die sie kennengelernt hatten, und deren Geschichten Sie gehört haben?

Konstantin hat selbstverständlich seine spezifische Biografie, aber seine Erfahrungen im Gefängnis und seine Stellung sind tatsächlich eine Art Kondensat aus vielen unterschiedlichen Erfahrungen, die mir diese Leute erzählt haben.

Verbrechen versus Pflichten gegenüber der Heimat

Ich nehme an, es war schwieriger, sich in den anderen Protagonisten hineinzuversetzen – den Oligarchen und ehemaligen Stasi-Mitarbeiter Metodi, ist das richtig?

Ja, ich musste aber versuchen, ihm so nahe wie möglich zu kommen. Im Unterschied zur Figur des Konstantin, der mir emotional näher ist, musste ich Abstand finden. Witzig ist, dass meine Frau es jedes Mal bemerkt hat, wenn ich gerade an Metodi arbeite. Es hat gereicht, dass ich aus dem Arbeitszimmer gekommen bin. Selbstverständlich war es unangenehm, sich in so einen Menschen zu verwandeln.

Der Roman arbeitet stark mit dem Gedanken, dass so ein Mensch sich selbst rechtfertigen will. Und im Unterschied zu anderen Büchern oder Filmen, wo Leute mit dem Charakter von Metodi sich mit Anschuldigungen auseinandersetzen müssen, bekommt er hier in meinem Roman jede Menge Raum, um sich zu verteidigen. Lange bekommt er keine Unterstützung. Das war beabsichtigt; ich wollte zeigen, wie sich solche Personen inszenieren. Jeder Mensch inszeniert sich irgendwie, und wenn man auf ein langes Leben zurückblicken kann und viele Dinge auf dem Gewissen hat, wird dieses Inszenieren zu einem interessanten Narrativum, das auch viel über politische Prozesse aussagt. Die Rhetorik der Macht ist genauso grundlegend und interessant wie die Ausübung der Macht. Und eines der Ziele meines Romans ist es, diese Rhetorik zu beschreiben – aus meiner Sicht würde ich sie als „Rhetorik des Verbrechens“ bezeichnen, aber aus Metodis Sicht ging es um die „Erfüllung von Pflichten gegenüber der Heimat“.

Haben Sie den Eindruck, dass die jüngere Vergangenheit in der bulgarischen Gesellschaft ausreichend aufgearbeitet wurde?

Dazu kam es im ganzen ehemaligen Ostblock nicht. Auf der Letná (ein Prager Stadtteil, Anm. d. ÜS) gibt es gerade eine große Ausstellung mit Zeugenaussagen aus der Zeit der beiden totalitären Regime. Die Absicht der Autoren ist es, bisher nicht erzählte Aspekte aus der tschechischen Geschichte sichtbar zu machen. Wir schreiben das Jahr 2018 – also dreißig Jahre später. Und in den meisten anderen Ländern ist das ähnlich. In Tschechien ist einiges passiert. Aber bei weitem nicht genug, wenn man es mit dem Deutschland der Nachkriegszeit vergleicht.  

Ich muss sagen, dass mir aus dem ganzen Ostblock nur ein einziges Buch einfällt, das sich mit Ihrem Roman gewissermaßen vergleichen ließe und das man als Versuch bezeichnen könnte, die gesamte Nachkriegszeit der postkommunistischen Länder komplex und tiefgründig aufzuarbeiten. Nämlich der Roman „Museum der vergessenen Geheimnisse“ von Oksana Sabuschko. Den kennen Sie vermutlich?  

Das ist lustig, dass Sie das erwähnen – ich hielt einmal eine Rede im Rahmen der Eröffnung eines Literaturfestivals in Amsterdam. Schwerpunkte des Festivals waren Polen und die Ukraine, und ich sprach über diese Themen – über den Ausgleich mit der Vergangenheit, den Schatten Stalins und Ähnliches. Oksana Sabuschko war auch dort, und wir kannten uns damals noch nicht, aber sie ist nach der Rede zu mir gekommen, hat mich umarmt und mir Küsschen gegeben, einfach so, und gesagt, dass sie mir in allem zustimme und ich der Einzige sei, der das so deutlich sage. Also ja, sie ist eine Schriftstellerin, die ähnlich arbeitet und auch ähnlich denkt.

Ein bulgarischer Übersetzer als Agent der Staatssicherheit

Dachten Sie beim Schreiben Ihres Romans neben dem deutschsprachigen Lesepublikum auch an das bulgarische, beziehungsweise an das aus anderen osteuropäischen Ländern?

Ein seriöser Schriftsteller denkt nie derart konkret an seine Leserinnen und Leser. Manchmal überlegt man, ob man verstanden wird. Es kann passieren, dass ich etwas, was ich zu verworren geschrieben habe, vielleicht noch einmal umformuliere, aber ansonsten denke ich nie an eine spezifische Leserschaft, weder in Bezug auf deren Nationalität noch auf deren Alter beispielsweise.
Die Tatsache, dass der Roman in so viele Sprachen übersetzt wird, bestätigt, dass es sich um eine beispielhafte Geschichte handelt. Wenn er etwa auf Spanisch erscheint, wird er, sagen wir, in Guatemala ganz anders gelesen werden als in Bulgarien. Aber ich lese auch den Švejk nicht als Beschreibung des Untergangs der Österreichisch-Ungarischen Monarchie, sondern als ewiggültige Satire auf Macht und Autorität, Hierarchie und Dummheit. Darin liegt gerade das Schöne der Literatur.

In welche Sprachen wurde Ihr Roman bereits übersetzt?

Die erste Übersetzung war paradoxerweise die ins Türkische. Ich bin damals dann nach Istanbul gefahren und habe festgestellt, dass die Leute den Roman in der Tat als Reflexion dessen lesen, was Trotz ist, was „richtiger“ Trotz ist. Sie haben mir unangenehme Fragen gestellt – „Wie sollten wir Erdoğan jetzt trotzen?“ Darauf hatte ich keine Antwort, ich bin selbstverständlich kein Berater in Sachen Widerstand. In Dänemark und in den Niederlanden wird man das Buch wiederum ganz anders lesen. Jetzt erscheint er in tschechischer, rumänischer und serbischer Übersetzung.

Am Ende der tschechischen Ausgabe findet man eine Bemerkung zur bulgarischen Übersetzung, die angeblich nicht vollkommen sei und in der sich auch Fehler befinden sollen.

Der bulgarische Übersetzer war ein Agent der Staatssicherheit, was ich erst festgestellt habe, als die Übersetzung schon fertig war. Ich weiß nicht, ob es Absicht war, aber er machte eine Menge Fehler, auch sehr grundlegende. Beispielsweise übersetzte er eine ganze Szene, in der es um einen Anschlag auf eine Statue von Stalin geht, im Konjunktiv. So bekommt man beim Lesen den Eindruck, es würde sich nur um eine Vision Konstantins handeln, und nicht um etwas, das tatsächlich geschieht.

Und haben Sie mit dem Übersetzer gesprochen?

Selbstverständlich habe ich ihm geschrieben und er hat selbstverständlich alles abgestritten. Das wird in Tschechien genauso wie überall sonst auch sein – grundsätzlich gilt: Es kann ja nie jemand was dafür.

Konstantin wurde im Gefängnis zu einem Kenner der Schriften von Lenin und Marx. Wie gut kennen Sie diese? Eine Passage, wo Konstantin sich beim Argumentieren auf diese beruft, klingt sehr überzeugend.

Ich habe mit Leuten gesprochen, die im Gefängnis tatsächlich keinen Zugang zu anderen Texten hatten. Einer von ihnen emigrierte später nach Paris, wo in den Achtzigerjahren die wahrscheinlich letzten Marxisten überhaupt lebten. Im Ostblock gab es gar keine mehr – nur Apparatschiks, aber keine überzeugten Marxisten. Einmal kam es zu einer Diskussion mit dem größten Theoretiker der französischen Trotzkisten und diesem Emigranten aus Bulgarien, und er hat den Trotzkisten gegen die Wand geredet, denn er hatte tatsächlich sämtliche Schriften von Lenin im Kopf (und Trotzkisten sehen gerade in Lenin ihren großen Propheten). Von dieser Geschichte habe ich mich in meinem Buch inspirieren lassen.

Womit wir gleich festhalten können, dass man in Ihrem Roman auch viel Satirisches und Humorvolles findet.

Von Häftlingen habe ich immer wieder gehört, was für eine wichtige Waffe der Humor in den Gulags und Gefängnissen war. Macht fürchtet sich vor Verhöhnung. Eine ganze Reihe von Szenen geht aus Erzählungen von Zeitgenossen hervor, die sich darum drehen, wie allergisch das System auf Humor reagierte. Es handelte sich dabei allerdings oft um sehr schwarzen, absurden Humor …

Ohne Humor ist es überhaupt nicht vorstellbar, gegen die Macht zu trotzen. Da würde eine Macht lediglich durch eine andere Macht ersetzt werden, eine Ideologie durch eine andere. Aber die Hauptfigur des Romans ist ein Anarchist, der die Ideologie an sich kritisiert. Seine Bestrebung richtet sich darauf, die sogenannte Macht als solche anzuzweifeln, nicht diese eine Macht, sondern jede Form von Macht. Und der Humor ist hierfür ein ganz wichtiges Mittel.

Kontrovers: Buch und Theateradaption

Warum haben Sie die Hauptfiguren Konstantin und Metodi genannt?

Kyrill (Konstantin) und Method sind für den ganzen slawischen Raum sehr wichtig, denn sie fertigten die erste slawische Bibelübersetzung an und schufen eine Schrift, aus der sich später das kyrillische Alphabet entwickelte. Und am Namenstag von Kyrill und Method, am 24. Mai, feiert man in Bulgarien den Tag der Bildung und Kultur. Das zum Einen.
Aber Method ist auch ein unglaublich sprechender Name. Das System der Staatspolizei hat Methode. Wenn etwas sehr durchdacht, raffiniert und taktisch ist, sagt man in Deutschland: Das hat Methode. Konstantin kommt aus dem Lateinischen Wort für „standhaft, beständig“.

In meinen Büchern benutze ich oft sprechende Namen. Ich mag sie. Eine weitere wichtige Figur heißt Nezabravka, „Vergissmeinnicht“. Diesen Namen gibt es in Bulgarien wirklich, wenn auch nicht sehr häufig.

Ihr Roman wurde auch für das Theater adaptiert und im Schauspiel Hannover aufgeführt. Haben Sie sich an den Vorbereitungen der Aufführung beteiligt?

Der Regisseur Dušan Pařízek ist in Deutschland einer der erfolgreichsten Regisseure überhaupt. Er gewinnt ständig alle Preise und hat an dieser Aufführung ganz allein und sehr gut gearbeitet. Er kennt den Roman inzwischen besser als ich …

Ich habe die Inszenierung mehrmals gesehen, im Juni 2018 wurde sie im Nationaltheater in Sofia aufgeführt, und es war sehr intensiv. Das war ein großes Ereignis, es gab viele Diskussionen und Kontroversen, wie immer gab es Leute, die die Aufführung fabelhaft fanden, und solche, die mir den Vorwurf machten, ich sei ein Verräter und wolle alle nur anschwärzen, und dass ich nichts verstehe – mit den Exilautoren ist das überall so. Wenn Sie ins Exil gehen, behaupten die, die geblieben sind, dass Sie sich entfremdet und diese Dinge selbst nicht erlebt hätten …

Auf der anderen Seite bekommen Sie Abstand, und der ist manchmal nötig, damit einige Dinge ans Licht kommen.

Genau das sage ich immer – manche Dinge werden durch Abstand viel deutlicher.

In Bulgarien gibt es also Kontroversen über Ihr Buch und die Theateradaption. Aber eigentlich ist das gut, oder nicht?

Ja, eine Diskussion ist das Einzige, was man erreichen kann. Doch in Bulgarien ist das Problem, dass diese Diskussion nicht wirklich offen verläuft, um irgendwohin zu führen. Beide Seiten sind da fest in ihren Positionen verankert.

Gott kann keine Ideologie repräsentieren

Ich weiß nicht, ob die Situation in Bulgarien ähnlich ist wie hier in Tschechien, was die Hysterie wegen Immigranten und dem Islam betrifft, und deshalb wollte ich fragen …

Ja, in Bulgarien ist es vielleicht sogar schlimmer als hier. Letzten Herbst drehte ich einen Dokumentarfilm und kam an die Grenze zwischen Bulgarien und der Türkei, die jetzt stärker gesichert ist als zur Zeit des Kommunismus: etwa zwei Meter hoch, zwei Stacheldrahtzäune, dazwischen weitere Stacheldrahtballen und selbstverständlich überall Kameras. Gebaut wurde er in den letzten zwei Jahren, es handelt sich dabei ein Projekt der EU.

Aber vor der Errichtung dieser Grenzmauer haben hier viele Leute die Grenze überschritten. In Bulgarien gibt es jetzt einige Flüchtlingslager, die Geflüchteten kommen vor allem aus Syrien. Diese Situation ist absurd, denn der Südosten Bulgariens ist menschenleer. Die Dörfer sterben aus und das Land braucht im Prinzip Leute. In der zivilisierten Welt würde man sagen: Es ist gut, dass sie kommen. Aber so wie in Ungarn, Polen oder Tschechien sind viele Menschen auch in Bulgarien der Meinung, dass man keine Flüchtlinge braucht. Und die, die dort sind, wollen selbstverständlich auch nicht bleiben, denn sie sehen das Elend in Bulgarien: Hier haben nicht einmal die Bulgaren eine Chance, was würde ich denn hier machen?

Die Hysterie ist in Bulgarien deshalb auch so groß, weil es im Land eine historische muslimische Minderheit gibt. Das sind etwa 10–15 Prozent, nicht nur bulgarische Türken, aber auch Bulgaren, die zum Islam konvertiert sind; sie nennen sich Pomaken. Im Wesentlichen ist die Situation komplexer. Für diese Menschen ist die Religion im Grunde genommen nur eine Tradition. Ich habe darüber einen Erzählband geschrieben, er heißt Wo Orpheus begraben liegt. Fanatismus konnte ich bei ihnen nicht beobachten.
Die Bulgaren und die muslimische Minderheit lebten immer friedlich zusammen, gestört wurde das nur durch einen Versuch der Kommunisten, die Muslime zur Konvertierung zu bringen. Das war das letzte große Verbrechen der Regierung Schiwkows.

Die ganze Diskussion über dieses Thema ist dennoch wirklich geschmacklos hysterisch. Ein großes Problem marginalisiert sich gerade in dem Fall, wo die Menschheit so enormen Problemen ausgesetzt ist wie der Klimakatastrophe. Hier wird ein Problem, das verglichen mit dem Hunger, den ökologischen Katastrophen oder Ungerechtigkeiten eigentlich klein ist, aufgeblasen und zu einem ideologischen Schlachtfeld gemacht. Deutschlands Innenminister sagte neulich, dass die Migration „die Mutter aller Probleme“ sei. Darüber kann man nicht diskutieren, so jemand gehört in eine Irrenanstalt, nicht auf den Posten des Innenministers.
Das Problem ist, dass dieses Thema von extrem bösartigen Kräften instrumentalisiert wird und die Unterstützung selbstverständlich dort am stärksten ist, wo die Menschen über fremde Kulturen und den Islam am wenigsten wissen, also ist es leicht, sie zu belügen.

Warum sind Sie selbst zum Islam konvertiert?

Ich bin nicht konvertiert. Im Internet werden jede Menge Unwahrheiten geschrieben. Ich hatte deshalb einen Konflikt mit Wikipedia. Die Rechten wollten mich diskreditieren, weil ich mich langfristig für Toleranz, Offenheit und Multikulturalität einsetze. Sie behaupten – wirklich! – ich sei ein „Geheimagent des Islams“. Und weil ich ein Buch über die Pilgerreise nach Mekka und Medina geschrieben habe, behaupten sie, ich sei konvertiert, und schrieben das ständig auf meine Wikipedia-Seite. Meine Unterstützer korrigierten das. Wenn so etwas geschieht, wird die Seite von der Plattform gesperrt. Darüber führte ich mit ihnen eine absurde Korrespondenz, in der ich meinte: Ich muss das doch wissen. Und sie darauf: Gut, aber diese Leute führen glaubwürdige Quellen an …

Wenn sich jemand wirklich durchlesen würde, was ich zu diesem Thema geschrieben habe, wäre sofort klar, dass ich gar nicht konvertieren konnte. Was Religion betrifft, bin ich ein Freidenker. Ich schreibe oft darüber, dass die Vielfältigkeit der Religionen der einzige Beweis für Gott ist. Dogmen oder Ideologien können Gott nie repräsentieren, dem widerspricht das Prinzip der Göttlichkeit, denn Göttlichkeit ist überall, allumfassend, allmächtig. Religionen sind also nur der Schatten von etwas, was wir nicht im Stande sind zu begreifen. Das ist komisch, wenn man sich die gegenwärtige Medienwelt ansieht: Würde sich jemand die Mühe machen, meine Texte zu lesen, hätten sich derartige Äußerungen ganz einfach von selbst revidiert.

Zum Schluss würde mich noch interessieren, woran Sie zurzeit arbeiten.

Soeben sind zwei Bücher erschienen. Das eine behandelt das Phänomen der Hilfe auf der Welt – ich wollte herausfinden, welche Hilfe eigentlich sinnvoll ist und welche „Hilfe“ eigentlich keinen anderen Zweck hat, als den Status quo zu festigen. Das analysiere ich an vielen verschiedenen Projekten in Pakistan, Sierra Leone, Kenia usw. Eine weitere wichtige Tendenz ist in diesem Zusammenhang auch die Entpolitisierung – früher wurde jede Art von Hilfe immer im Rahmen eines politischen Diskurses betrachtet, heute geht es in erster Linie um technokratische Lösungen. Die Frage, wie die Gesellschaft verändert werden kann, fällt unter den Tisch. Des Weiteren kommt es zu einer Refeudalisierung – es tauchen neue Feudalherren auf, wie etwa Bill Gates. Dieser hat zurzeit enorme Macht, er trifft beispielsweise politische Entscheidungen im Gesundheitsbereich, die die ganze Welt betreffen. Die Tatsache, dass diese gigantischen „Philanthro-Kapitalisten“ eine solch unglaubliche Macht haben, ist Teil einer Entdemokratisierung, zu der es in vielen Bereichen kommt.

Das andere Buch ist die Gebrauchsanweisung fürs Reisen. Es erscheint vielleicht auch auf Tschechisch und es eine Art Essay zum Thema Kunst des Reisens. Ich mache mich dabei etwas lustig über alle diese Verrücktheiten und stehe dem Massentourismus kritisch gegenüber – als ich jetzt das Prager Zentrum gesehen habe, dieses Freilichtmuseum voller Sonderangebote, habe ich mir gesagt, dass ich Prag lieber gar nicht erst besichtigen möchte, anstatt so etwas zu sehen.
 

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