Über das Projekt
In den 1920er und 1930er Jahren war Prag eine Stadt, in der tschechische, deutsche und jüdische Kulturen kollidierten und das im besten Sinne. Hier wurden einzigartige Werke in den Bereichen Literatur, Theater, Architektur und Musik kreiert, deren kulturelle Bedeutung weit über die Grenzen der Region hinausreichte. Prag wurde zu einem der Zentren europäischer Musik und gesellschaftlichen Lebens, welches - bedauerlicherweise - mit dem Aufstieg der Nationalsozialisten ein abruptes Ende fand. Einige von den vielen Künstlerinnen und Künstlern, die zu dieser Zeit in Prag aktiv waren, hatten Glück und konnten ihre Arbeit im Exil fortsetzen, während andere ihre künstlerischen Aktivitäten völlig aufgeben mussten. Und doch wurden viele weitere große Künstlerinnen und Künstler auf dem Höhepunkt ihrer kreativen Karrieren von den Nationalsozialisten gefangen genommen und starben in Arbeits- oder Konzentrationslagern. Darunter waren auch viele Komponistinnen und Komponisten, vor allem Tschechisch-Deutsch-Jüdischer Herkunft.
In den kommenden vier Spielzeiten führt Musica non grata die Musik der Prager Zwischenkriegszeit wieder ein - Musik, die nach Maßgabe der Nazis nie wieder erlebt werden sollte. Musica non grata wird finanziell von der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Prag unterstützt.
Musikerinnen und Musiker des Nationaltheaterorchesters und des Staatsopernorchesters führen nach vielen Jahrzenten Kompositionen von tschechischen und deutschen Autoren auf, die von den Nationalsozialisten als „entartete Kunst“ verurteilt wurden. Diese umfassen nicht nur Künstler wie Pavel Haas, Hans Krása, Gideon Klein oder Viktor Ullmann, die bekannten “Theresienstadt Komponisten”, sondern auch eine Vielzahl von anderen Musikerinnen und Musikern, deren Leben Ende der 1930-er Jahre auf tragische Weise beendet wurden. Wir möchten unser Publikum an die außergewöhnlichen Persönlichkeiten und Werke von Menschen wie Franz Schreker, Erwin Schulhoff, Rudolf Karel, Emil František Burian oder Karel Berman erinnern - Menschen, die wegen ihrer Herkunft, ihrer politischen Ansichten oder ihres politischen Widerstands verfolgt wurden. Wir werden auch Kompositionen von Künstlerinnen und Künstlern vorführen, die aus dem besetzten Europa fliehen konnten und weiterhin die Kraft besaßen, in Distanz zum weit entfernten Zuhause weiterzuarbeiten. Hierzu gehören zum Beispiel Ernst Křenek, Erich Wolfgang Korngold, Alexander Zemlinsky, Jaromír Weinberger, Bohuslav Martinů, Jaroslav Ježek, Paul Hindemith, Kurt Weill oder Hanns Eisler.
Musica non grata zeigt zudem großartige Kompositionen von Künstlerinnen und Künstlern, deren Werke von den Nationalsozialisten aus der Musikgeschichte beseitigt wurden. Darunter finden sich die führenden Operettenkomponisten Emmerich Kálmán und Oscar Straus oder die großen Pioniere der modernen Musik Igor Stravinsky, Alban Berg oder Arnold Schönberg. Der über die Jahre immer tiefer eingedrungene Hass der Nationalsozialisten in die Geschichte macht es unabdingbar, Felix Mendelssohn Bartholdy und Gustav Mahler in das Programm einzubinden - zwei unumstrittene Titanen der europäischen Musik, denen die damals erforderlichen “Rassenausweise” fehlten. Darüber hinaus präsentieren wir Werke von Frauen, die in der von Männern dominierten Umgebung der europäischen Zwischenkriegszeit erfolgreich waren. Dazu gehören unter anderem Vítězslava Kaprálová oder Ludmila Peškařová.
Musica non grata soll vier Spielzeiten im Nationaltheater und in der Staatsoper umfassen. Das Programm beinhaltet sowohl bekannte als auch weniger bekannte Opern sowie Sinfonie- und Kammerkompositionen der Prager Avantgarde. Die Konzerte und Aufführungen werden von Ausstellungen, Konferenzen, Workshops, Debatten und Filmvorführungen begleitet. Das Projekt wird eine öffentliche Online-Datenbank mit Komponistinnen und Komponisten, Künstlerinnen und Künstlern enthalten, die zwischen 1919 und 1938 in Prag tätig waren.
In erster Linie ist Musica non grata ein Fest der Musik als kreative menschliche Kraft, eine Hommage an ein Erbe der Menschenwürde und eine Gelegenheit, Musik wiederzuentdecken, die niemals zum Schweigen gebracht werden kann, die immer noch erklingt und über Jahrhunderte erklingen muss.
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