Joseph Beuys
„Beuys wollte, dass Demokratie wirksam wird“
Joseph Beuys’ Kunst war oft politisch, und er selbst war es auch. Doch welche Haltung vertrat er? Beuys gründete die Partei Die Grünen mit, zeigte sich aber zugleich mit alten Nazi-Kämpfern. Vor allem war er Pragmatiker, sagt Bettina Paust, die das Kulturbüro der Stadt Wuppertal leitet und gerade ein Handbuch zu Beuys’ Wirken herausgegeben hat.
Von Wolfgang Mulke
Bettina Paust ist die Leiterin des Kulturbüros der Stadt Wuppertal und hat das „Joseph Beuys-Handbuch“ herausgegeben.
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Frau Paust, pünktlich zum 100. Geburtstag von Joseph Beuys geht die Partei Bündnis 90/Die Grünen zum ersten Mal mit einer aussichtsreichen Kanzlerkandidatin in den Bundestagswahlkampf. Man könnte es als eine Art posthume Bestätigung für den Mitbegründer der Partei sehen: Beuys gründete 1980 die Partei Die Grünen mit, die nach der deutsch-deutschen Wiedervereinigung zu Bündnis 90/Die Grünen fusionierte. War Beuys tatsächlich ein überzeugter Grüner?
In der Gründungsphase war der Inhalt der Grünen noch nicht klar definiert, aber darum ging es Beuys auch überhaupt nicht. Er wollte vielmehr einen Weg finden, über die Kunst gesellschaftliche Veränderungen zu bewirken. Dafür spielten für ihn Themenbereiche eine Rolle, die auch bei den Grünen zentral waren und sind, wie der Umwelt- oder heute Klimaschutz. Beuys wollte, dass Demokratie wirksam wird, da er in einer Zeit aufgewachsen war, in der Demokratie ein Fremdwort war. Er wurde im Nationalsozialismus sozialisiert, war Mitglied der Hitlerjugend und hat sich freiwillig während des Zweiten Weltkriegs zum Kriegsdienst als Soldat gemeldet. In den 1950er-Jahren hat er nach Wegen gesucht, über die Kunst das Verständnis und das Handeln für eine bessere Welt voranzutreiben. Da trafen sich die Linien mit den Grünen. Wie können wir die Welt so gestalten, dass wir ein Bewusstsein für Nachhaltigkeit, für am Gemeinwohl orientiertes Handeln bekommen – das waren Themen, die Beuys in seiner Kunst behandelt hat.
Wie passt zu diesem politischen Engagement, dass er sich mit alten Nazi-Kämpfern zum Kameradschaftsabend traf?
Er hat immer mal wieder an kleineren Treffen mit ehemaligen Kameraden teilgenommen. Vielleicht ist es ein gutes Sinnbild für die Vielschichtigkeit der Person Beuys, die auch gewisse Ambivalenzen in sich trägt. Ich halte es aber für fragwürdig, wenn ihm braunes Gedankengut unterstellt wird. Seine Utopie der Sozialen Plastik geht genau in die andere Richtung: jedem Menschen mit aller Wertschätzung Fähigkeiten zuzutrauen, an der Entwicklung der Gesellschaft im positiven Sinne mitwirken zu können. Das ist das Gegenteil einer faschistischen Ideologie.
Eine weitere Facette ist seine Nähe zum Anthroposophen Rudolf Steiner. Manche Kritiker werfen ihm einen Hang zur Esoterik vor. Ist dem so?
Beuys war kein Künstler, der sich einfach erschließen lässt. Er hat sich einen riesigen Kosmos aus unterschiedlichsten Wissensgebieten geschaffen. Ein zentrales Element ist dabei die Anthroposophie. Steiner hat er teilweise wortwörtlich rezipiert. Auch Geheimwissenschaften wie Alchemie oder Schamanismus und andere nicht rational erklärbare Konzepte spielen in seinem Werk eine große Rolle. Hier greift seine zentrale Kritik an der Entwicklung der westlichen Industriegesellschaften des 20. Jahrhunderts, die – knapp zusammengefasst – stark von der Ratio und vom Materialismus geprägt ist. Beuys war kein Esoteriker, dazu war er viel zu sehr Pragmatiker.
Der Vergleich zu den heutigen Zeiten der Pandemie, in der Verschwörungstheorien die Runde machen und staatliche Einschränkungen als diktatorisch gescholten werden, drängt sich da geradezu auf. Würde Beuys heute mit den Aluhut-Träger*innen mitlaufen?
Er wäre meines Erachtens nicht mitgelaufen. Sich so weit von der Realität zu entfernen wie die Corona-Leugner*innen oder Verschwörungstheoretiker*innen, hätte ihm völlig ferngelegen. Beuys war ein klar und visionär denkender Mensch. Mit dem Satz „Jetzt überwinden wir die Parteiendiktatur“ hat sich Beuys gegen eine Politik gewandt, die andere Meinungen nicht zulässt oder gar unterdrückt. Beuys wollte jedem Menschen freie Meinungsäußerungen zugestehen. Obwohl Beuys sich mit seiner Kunst ab den 1970er-Jahren immer mehr im politischen Feld bewegte, verstand er sich nicht als Politiker im traditionellen Sinne und er war folglich auch nicht kompatibel mit einer Parteienstruktur. Er wollte mit künstlerischen Mitteln verkrustete Parteistrukturen aufbrechen. Daran ist er letztendlich gescheitert, betrachtet man sein nur kurzes Gastspiel in der Partei Die Grünen.
Sie spielen darauf an, dass er sich schon wenige Jahre nach Gründung der Bundespartei 1980, auf die er lange mit hingearbeitet hatte, aus der aktiven Mitarbeit wieder zurückzog. Das war 1982, als er für den Deutschen Bundestag kandidieren wollte, jedoch keinen der vorderen Listenplätze erhielt. Mitglied der Partei blieb er dennoch. Wie würden Sie Beuys’ Erbe beschreiben?
Im künstlerischen Bereich hat Beuys mit seiner Kunst zahlreiche Impulse angestoßen, etwa durch ein neues Verständnis von Plastik und damit verbunden die Verwendung spezifischer Materialien. Sein größtes Vermächtnis als Impulsgeber geht in zwei Richtungen. Durch seine Aktionen mit lebenden und toten Tieren ist er eine wichtige Referenzfigur für zeitgenössische Kunst mit lebenden Tieren. Seine Aktion 1974 in New York mit einem lebenden Kojoten war ein Meilenstein für das künstlerische Agieren mit Tieren, auch wenn die Aktion heute in Teilen auch kritisch gesehen wird.
Während der 8. „documenta“-Ausstellung in Kassel 1987 wurde der letzte von 7.000 Bäumen gepflanzt, die zu Beuys’ Werk „Stadtverwaldung“ zählen. Mit der Aktion hat der Künstler das Kasseler Stadtbild bis heute geprägt und vor allem: begrünt.
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Damals verbrachte er mehrere Tage mit einem Kojoten zusammen in einer neueröffneten New Yorker Galerie. Beide näherten sich in dieser Zeit einander an.
Genau. Das andere ist die Socially Engaged Art – seine Idee der Sozialen Plastik, die letztlich besagt, dass jeder Mensch gemeinwohlorientiert in gesellschaftliche Prozesse einwirken kann und sollte. Heute greifen viele Künstler*innen und -kollektive soziale Themen bis hin zur Stadtentwicklung auf. Hier sind die Gedanken und Ideen von Beuys heute noch hochaktuell – im Kunstkontext und weit darüber hinaus. Bei der Frage nach dem Erbe von Beuys darf es nicht um sklavische Adaptionen des Werkes und der Person Beuys gehen, sondern vielmehr um die Frage, wie wir die Welt gegenwärtig und zukünftig gestalten wollen. Und dazu hat Beuys wertvolle Gedanken beigetragen.