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Interview
Die Kunst der Wissenschaft

Die Nahaufnahme zeigt mehrere Kabel, die an einen Baumstamm festgebunden sind.
Die Nahaufnahme zeigt mehrere Kabel, die an einen Baumstamm festgebunden sind. | © Marcus Maeder

Noch bis zur Zeit der Romantik bezeichnete man mit Kunst alles, was aus einem kreativen Prozess heraus entstand. Das schloss wissenschaftliche Techniken mit ein. Universalgelehrte wie Leonardo da Vinci waren also kein Einzelfall. Erst danach etablierte sich die Vorstellung von zwei verschiedenen Disziplinen: Die aus der subjektiven Erfahrung des Genies erschaffene Kunst auf der einen und die objektive Welt der Wissenschaften auf der anderen Seite. Doch seit vielen Jahren steigt das gegenseitige Interesse am fachlichen Austausch. Wissenschaftler*innen nehmen künstlerisch motivierte Fragestellungen auf, Künstler*innen nutzen für ihre Recherchen wissenschaftliche Methoden. Die gewonnenen Erkenntnisse erweitern den Blick auf beiden Seiten und geben neue Impulse für den gesellschaftlichen Diskurs, z.B. im Bereich Umwelt- und Klimaschutz.
 

Von Marcus Maeder

Der Klangkünstler Marcus Maeder ist zugleich Forscher. Er erschafft aus wissenschaftlich erhobenen Daten Kunstwerke. Seine Ergebnisse teilt er aber auch mit führenden Wissenschaftler*innen. Seit vielen Jahren untersucht er die Auswirkungen des Klimawandels auf den Wald – so auch im Rahmen des Projekt World Wild Wald des Goethe-Instituts. Wir sprachen mit ihm über seine Arbeit.

Der Klang der Natur: Schon über viele Jahre untersuchen Sie Töne und Klänge von Bäumen, seit einiger Zeit beschäftigen Sie sich auch wissenschaftlich mit den Geräuschen im Erdreich. Das Forschungsfeld dazu nennt sich Bioakustik. Was hat es damit auf sich? 

Die Bioakustik ist die älteste Disziplin innerhalb der Ökoakustik, sie beschäftigt sich vor allem mit akustischen Signalen lebender Systeme. Ich sehe mich eher als Ökoakustiker, da ich in meinen Projekten sehr unterschiedlichen und zum Teil auch allgemeineren Fragestellungen nachgehe. Klang ist Information: Was wir an Umweltgeräuschen hören, birgt immer ökologische Informationen. So lässt beispielsweise die Vielfalt von Tiergeräuschen in einer Soundscape – einer Klanglandschaft – Rückschlüsse auf die Biodiversität in einem Habitat zu. Zudem gehört zur Ökoakustik historisch bedingt die ästhetische Analyse von Geräuschen, die wir in unserer Umwelt hören: Wie nehmen wir diese wahr, respektive welchen ästhetischen Wert messen wir ihnen bei?
 
Welche Erkenntnisse haben Sie bei Ihren Untersuchungen bisher gewonnen? 

In der Pflanzen-Bioakustik konnten wir zeigen, wie sich Trockenstress akustisch und über die Zeit manifestiert. Durch die im alpinen Raum immer länger andauernden Trockenperioden kommen gewisse Baumarten an ihre physiologischen Grenzen und sterben gebietsweise ab. Diese Bäume emittieren Stressgeräusche im Ultraschallbereich. Trockenstress-Signale in Pflanzen kennt man seit den 1960er-Jahren; wir haben die Geräusche in den hörbaren Bereich gebracht und so Effekte des Klimawandels unmittelbar erlebbar gemacht. Ein anderes Projekt beschäftigt sich mit der Ökoakustik des Bodens. Hier zeigt sich ein nahezu unerforschtes, akustisches Reich: Geräusche von Bodentieren, Pflanzenwurzeln usw. bilden eine hochkomplexe Soundscape, die je nach Tages- und Jahreszeit anders klingt.
 
Ihre zweite Passion gilt der Klangkunst und dem komponieren von elektronischer Musik – oft auch in Verbindung zur ihren Projekten der Bioakustik. Wie entsteht aus wissenschaftlichen Daten ein Kunstwerk? 

Meine Strategie besteht meist darin, beides – wissenschaftliche wie künstlerische Perspektiven und Methoden – von Beginn an zusammen zu denken. Mich beschäftigt zum Beispiel eine Frage in einer Landschaft, etwa wie der Klimawandel sich auf sie auswirken wird. Ich überlege mir dann, wie sich mögliche Veränderungen messen lassen und wie ich diese Messungen ästhetisch/künstlerisch untersuchen und einsetzen könnte. Meist schwebt mir bald dann auch eine mögliche künstlerische Form vor, in deren Setting ich den Gegenstand gemeinsam mit dem Publikum weiter untersuchen und erschließen kann. Kunst kann wissenschaftliche Erkenntnisse in eine diskursive Form bringen – über die unmittelbare, gemeinsame ästhetische Erfahrung. Das Publikum teilt ein Erlebnis in meinem Kunstwerk und beginnt darüber zu reden. Das wäre für mich der Punkt, wo sich ein gesellschaftlicher Impact der bewussten Vermischung von Kunst und Wissenschaft zu formieren beginnt.
Der Klangkünstler und Forscher Marcus Maeder sitzt mit Kopfhörern auf dem Waldboden und arbeitet an einem Laptop. Rechts von ihm überprüft der Ökophysiologe Roman Zweifel ein Messgerät an einem Baumstamm. Marcus Maeder (links) installiert gemeinsam mit dem Biologen Roman Zweifel von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL eine Messstation im Wald. | © Marco Zanoni Für das Projekt World Wild Wald des Goethe-Instituts entwickelten Sie eine begehbare Rauminstallation, ein Waldobservatorium, in dem wissenschaftliche Messdaten aus dem Wald verarbeitet und künstlerisch präsentiert werden. Was erwartet die Besucher*innen beim Betreten der Installation, was können sie entdecken? 

Wir wollen den Wald oder ein Waldstück auf ganz neue Art und Weise erfahrbar machen. Versteckte Prozesse sollen akustisch hörbar gemacht werden – etwa die elektrischen Signale in Bäumen, die eine Vielzahl von physiologischen Prozessen steuern. Oder die Geräusche im Waldboden, die sich durch den Tag und die Nacht verändern. Dazu nehmen wir die Geräusche eines Waldstücks auf oder sonifizieren Messdaten, d. h. wir nutzen Datenreihen, um auf dem Computer generierte Klänge zu steuern. In der Mitte des Waldabschnittes, den wir untersuchen werden, stellen wir zudem eine 360°-Kamera auf, die in Intervallen Bilder aufnimmt. So soll ein immersives Environment entstehen, in dessen Klänge und Bilder man eintauchen kann und welches mehr Dinge erlebbar macht, als man bei einem Spaziergang im Wald wahrnehmen würde.
 
Das Waldobservatorium vermittelt – genau wie viele Ihrer früheren Kunstwerke – Umweltprozesse auf eine ganz neue, künstlerische Art. Was treibt Sie in ihrer Arbeit an, was motiviert zu diesen Kunstwerken? 

Natürlich beschäftigen mich die bereits heute sichtbaren/messbaren wie auch die künftigen Auswirkungen des Klimawandels sehr. Wenn man von einer dringend nötigen neuen Beziehung zur natürlichen Umwelt spricht, dann muss diese auf einer anderen und intensiveren Wahrnehmung von natürlichen Prozessen und Lebensformen basieren. Dies ermöglichen Wissenschaft und Technik einerseits; sie können Prozesse und Lebewesen für uns wahrnehmbar machen, ihnen eine Stimme geben, wenn man so will. Die Kunst andererseits gestaltet diese „Stimmen“ respektive Erfahrungsformen der Natur – sie fragt danach, wie die Welt erfahren werden kann: Wie nehmen wir unsere Umwelt wahr und wie interpretieren wir sie, welche Narrationen generieren wir? Wie nehmen wir uns selber wahr – als über allen natürlichen Dingen stehend oder als Teil größerer Zusammenhänge und Systeme? Ich versuche diesen Fragen mit meinen Mitteln und Fähigkeiten nachzugehen.

In Estland wird zudem seit einigen Jahren eine intensive Diskussion über die Nutzung des Waldes geführt. Im nahezu unberührten Waldgebiet „Järvselja“, wo wir unsere Aufzeichnungs- und Messstation aufgebaut haben, haben wir drei Fichten mit unseren Instrumenten verkabelt. Diese Baumart steht in Estland gleich in zweierlei Hinsicht unter Druck: Einerseits ist sie wie überall in Europa zunehmender Trockenheit ausgesetzt und wird in den nächsten Jahrzehnten aus den tieferen Lagen vermutlich verschwinden. Andererseits wird in Estland immer wieder darüber gestritten, wie intensiv die Art, aber auch ganze Waldgebiete genutzt oder eben verstärkt geschützt werden sollen. Unsere Installation möchte hier einen anderen, intensiveren und ästhetischen Zugang zu einem intakten, heimischen Waldökosystemen ermöglichen – wo hörbar wird, wie sehr alle Organismen in einer komplexen (akustischen) Gemeinschaft zusammenleben. In diesem Sinn will unsere Installation Silva für den Wald als fragiles und zu schützendes Ökosystem sensibilisieren.

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