Auswandern zum Promovieren
Ein eigenes kleines Büro, ein riesiger Bibliotheksbestand vor Ort, regelmäßige Konsultationen mit Professoren, ein gemütliches Zimmer mitten im Herzen der Regensburger Altstadt und vor allem eins: keine Geldsorgen und endlich Zeit zum Forschen und Schreiben an der eigenen Dissertation. Ein Wunschdenken, das für eine junge Akademikerin aus Tschechien in Erfüllung ging.
Leben im Teufelskreis
Die letzten Jahre waren energieraubend und nervenzehrend. Ein Nebenjob jagte den nächsten und nebenbei nagte das schlechte Gewissen, noch nichts für die Dissertation getan zu haben. Aber die Miete und die Versicherungen mussten bezahlt werden und der Magen meldete sich knurrend in ebenso regelmäßigen Abständen wie das schlechte Gewissen.
Die Slawistin Jana wollte an der Prager Karlsuniversität promovieren, doch das Stipendium der Uni reichte kaum, um die Miete für ihr Zimmer in einer 4er WG zu bezahlen. So wie ihr ergeht es vielen jungen Tschechinnen und Tschechen, die eine wissenschaftliche Laufbahn einschlagen möchten. Die Stipendien und Gehälter an der Uni sind niedrig, die Leistungserwartungen und Lebenshaltungskosten jedoch hoch. Einigen Doktoranten ist es vertraglich nicht einmal erlaubt sich durch einen Nebenjob ihr Leben zu finanzieren, was sie meistens dazu zwingt nach erfolgreichen Hochschulabschluss wieder bei den Eltern einzuziehen – und das mit Mitte oder Ende Zwanzig.
Obwohl Jana zwei oder drei Jobs gleichzeitig hatte und am Abend total erschöpft nach Hause kam, war das für sie keine Option. „Ich war mir manchmal nicht mehr sicher, ob ich meine Doktorarbeit so jemals werde beenden können. Aber mit 27 Jahren bei den Eltern wohnen, entsprach nicht meiner Vorstellung vom Leben. Also musste ich Arbeiten. Wenn man arbeitet, hat man aber kaum Zeit für die Wissenschaft. Es war ein Teufelskreis.“ erzählt Jana. Die Dissertation aufzugeben, kam für sie allerdings zu keinem Zeitpunkt in Frage. Eher würde sie ins Ausland gehen – und das tat sie dann auch. Im Frühjahr 2012 bewarb sie sich um ein Bayhost-Jahresstipendium für Wissenschaftler aus dem östlichen Europa und bekam kurze Zeit später die Zusage, um ab dem Wintersemester an der Universität Regensburg zu lernen und zu forschen. Bis nachts um drei am Schreibtisch
Bereits bevor Jana nach Regensburg zog, konnte sie sich gut auf Deutsch verständigen, ohne die Sprache jemals studiert zu haben. Die deutschsprachige WG sowie die wöchentlichen Sprachkurse verbesserten ihre Sprachkenntnisse weiterhin ungemein. Auch der Kontakt zu den Professoren der Slawistik in Regensburg ist angenehm. „Ich werde oft von meinem Betreuer dazu animiert an Tagungen und fachlichen Kolloquien teilzunehmen. In Prag hatte ich neben der Arbeit kaum Zeit dazu“, erzählt Jana.
Innerhalb eines halben Jahres hat die junge Doktorandin an vier slawistischen Konferenzen in Deutschland und Tschechien teilgenommen. Die Vorbereitung für einen eigenen Tagungsbeitrag erfordert eine Menge an Recherche- und Schreibarbeit, vor allem da sie nun zweisprachig ist. Dass Forschung intensiv ist und manchmal erfordert bis spät in die Nacht am Schreibtisch zu sitzen, ist allerdings keine neue Erfahrung für die junge Akademikerin – ein eigenes Büro zu haben, in dem man ungestört arbeiten kann, schon.
Und diese Arbeit lohnt sich für Jana: „Es ist für mich sehr wichtig, mich mit anderen Wissenschaftlern über literaturwissenschaftliche Themen auszutauschen und nicht nur ein Feedback zu meiner Arbeit zu bekommen, sondern sie auch durch neue Erkenntnisse aus anderen Vorträgen bereichern zu können.“ Die Forschungsergebnisse im Kreise von Fachleuten zu präsentieren und zu diskutieren ist nicht nur für den Erfolg einer Doktorarbeit unerlässlich, sondern für Jana darüber hinaus ein gutes Training in der deutschen Sprache. Auf einer der Tagungen wurde Jana sogar ein eigener Lehrauftrag angeboten, den sie nach Absprache mit ihrem Doktorvater annahm. Im Sommersemester 2013 wird sie am Passauer Institut der Slawistik wöchentlich ein literaturwissenschaftliches Seminar leiten. Ganz ohne Tschechien geht es nicht
Die ersten Erfolge sowie der beständige Fortschritt ihrer Doktorarbeit bestätigen Jana in ihrer Entscheidung nach Deutschland gegangen zu sein. Eins stand für Jana jedoch von Anfang an trotz des deutschen Stipendiums fest: „Meine Doktorarbeit werde ich in nicht auf Deutsch verfassen – Tschechisch ist meine Muttersprache und somit die Sprache, in der ich mich am präzisesten ausdrücken kann. Außerdem schreibe ich über tschechische Literatur.“ Zur Konsultation mit ihrem Doktorvater, aber auch zur Recherche in der Tschechischen Staatsbibliothek (kurz Klementinum) oder ins Literaturarchiv Památník národního písemnictví, fährt Jana alle zwei Monate nach Prag. In der Forschung ist vieles nicht planbar und manchmal stellt die junge Doktorandin fest, dass einige Quellen und Bücher halt doch nur in Tschechien verfügbar sind.
Ihre Familie und Freunde sieht Jana jetzt nur noch sehr unregelmäßig. Auch wenn Regensburg relativ nahe an Tschechien liegt, fehlt häufig die Zeit, um nach Hause zu fahren. Auch die Wochenenden verbringt Jana größtenteils am Schreibtisch oder fährt zu einer Konferenz. Die Forschung und Doktorarbeit stehen im Mittelpunkt ihres Lebens. Ob sie nach Beendigung der Doktorarbeit in Deutschland bleiben wird, weiß sie jetzt noch nicht. „Wenn ich ein gutes Angebot bekomme, dann vielleicht. Ich liebe meine Heimat und Deutschland ist zum Glück nicht so weit weg.“