„Ans Meer, immer wieder ans Meer!“
Johanna Veller aus Worth (Niedersachsen) wohnte nach dem Schulabschluss ein Jahr lang in einem ehemaligen Leuchtturmwärterhaus im Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer in Westerhever. Zwischen Wattführungen und Vögel zählen lernte sie während ihres Bundesfreiwilligendienstes vor allem zwei Dinge: Selbstständig organisieren und gut geplant einkaufen.
Mitten im Naturschutzpark, weit weg von der Zivilisation
Mit dem Fahrrad über den Deich jagen, das Meer im Rücken und eine steife Brise im Gesicht: Für manch einen Aktiv-Urlauber der reinste Traum. Wird das Ganze allerdings zur Notwendigkeit und gehört dazu außerdem ein Anhänger voller Lebensmittel, stellen sich obendrein auch noch Regen, Schnee oder Glatteis ein, dann wird das Ganze weniger vergnüglich. „Der wöchentliche Besuch im Supermarkt wurde zu einer kniffeligen Angelegenheit“, berichtet die 20-jährige Johanna. „18 Kilometer hin und 18 Kilometer zurück, viel blieb da vom Tag nicht übrig. Und wenn man dann plötzlich feststellt, dass man die Milch vergessen hat, dann ist das wirklich ärgerlich.“
Kein Auto zur Verfügung, fast 20 Kilometer vom nächsten Ort entfernt und nur ihre zwei Mitbewohner als Gesellschaft: Hätte Johanna vorher gewusst, welche Strapazen allein die Beschaffung eines simplen Liters Milch mit sich bringen würden, hätte sie ihren Dienst dann trotzdem angetreten? „Auf jeden Fall! Die 13 Monate am Leuchtturm waren eine tolle Zeit und das Beste, was ich machen konnte“, resümiert Johanna ihren Bundesfreiwilligendienst im Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer in Westerhever, während dem sie in einem ehemaligen Leuchtturmwärterhaus wohnte.
Silbermöwe oder Stelzenläufer?
Alle zwei Wochen stand Vogelzählung auf dem Programm. Denn die Entwicklung von Vogelpopulationen soll über Jahre hinweg dokumentiert und verglichen werden. Aber: Ist das anvisierte Tier nun eine Lachmöwe, Silbermöwe, Mantelmöwe oder doch ein Stelzenläufer? „Manche Arten sehen ziemlich ähnlich aus“, erzählt Johanna. „Da sitzt man dann mit seinem Fernrohr, beobachtet Wiesen oder Sandbänke, und wenn der Vogel dann auch noch in einem ungünstigen Winkel sitzt, fällt die Bestimmung manchmal wirklich schwer.“ Anfangs sei sie oft unsicher gewesen, gibt sie zu, doch mit der Zeit hätte sie immer mehr Routine entwickelt. Im Sommer standen außerdem viele Wattführungen und Öffentlichkeitsarbeit auf dem Plan.
Wenn das Wasser steigt…
Mit dem Leuchtturm selbst hatte Johanna dagegen wenig zu tun. Liebhaber von alten Seemannsgeschichten müssen an dieser Stelle enttäuscht werden. Den klassischen Leuchtturmwärter, der mit Windjacke und Laterne ein einsames Dasein auf dem Turm fristet, gibt es heute gar nicht mehr. „Das läuft alles computergesteuert“, erklärt Johanna. Der Leuchtturm diente vor allem als Orientierungspunkt bei der Wattwanderung. Und bei Hochwasser wurde er ziemlich interessant, nämlich als potentieller Rettungsort.
Während Johannas Aufenthalt war die Halbinsel Westerhever tatsächlich ein paar Mal komplett vom Hochwasser eingeschlossen und die Fluten kamen bedenklich nahe an die Häuser heran. „Das ist schon irgendwie unheimlich“, gibt Johanna zu, „weil man dann das Gefühl bekommt, komplett von der Welt abgeschnitten zu sein. Da schleichen sich schon Gedanken ein wie: Was ist, wenn jetzt irgendetwas passiert?“ Ganz unproblematisch wäre das nicht, sollte tatsächlich ein Notfall eintreten. Die Bufdis kommen vom Leuchtturm nicht weg, die Küstenwache aber auch nicht so einfach hin: Für größere Schiffe ist das überschwemmte Gebiet zu flach, für Schlauchboote liegen zu viele Zäune mit Stacheldraht auf dem Weg. Die Notfalllösung wären Motorboot oder Helikopter.
Eigentlich hält Johanna es für sinnlos, sich irgendwelche Schreckensszenarien auszumalen. „Dieses extreme Hochwasser dauert etwa sechs, sieben Stunden. Da ist es doch eher unwahrscheinlich, dass ausgerechnet in diesem Zeitraum jemand die Treppe herunterfällt oder sonst dringend Hilfe von außerhalb braucht. Dennoch schleicht sich immer ein gewisses Gefühl von Beklemmung ein, wenn das Wasser steigt.“ Passiert ist während ihrer Dienstzeit aber glücklicherweise nichts.
Berufswunsch bestätigt
Trotz gelegentlicher Sturmfluten und einer relativen Einsamkeit fiel es Johanna schwer, nach 13 Monaten Dienst wieder in den Alltag zu Hause zurückzukehren. Natürlich war es schön, Familie und Freunde wieder zu sehen. Trotzdem vermisst sie ihre Mitbewohner, doch auch der Leuchtturm, das Meeresrauschen und der Blick in die Weite fehlen ihr. Ihr Heimatort ist zwar auch eher ländlich-idyllisch gelegen. Die Rückkehr war trotzdem ein kleiner Kulturschock. „Egal wohin ich schaue, immer verstellen einem Häuser oder Bäume die freie Sicht“, beschwert sich Johanna. „Das ist mir vorher nie aufgefallen. Außerdem fehlt mir das Meer weitaus mehr, als ich gedacht hätte.“
Vor allem letzteres ist vermutlich der Grund dafür, dass es sie zum Studium nun in die Küstenstadt Kiel verschlagen hat. Johanna studiert „Physik des Erdsystems: Meteorologie-Ozeanographie-Geophysik“. Spätfolgen der Zeit in Westerhever? „Ja und nein“, glaubt Johanna. „Zum Thema Ozeanographie und Küstenschutz hätte es mich so oder so gezogen. Der Freiwilligendienst hat mich aber darin bestätigt.“
Was genau sie später beruflich machen will, weiß Johanna noch nicht. Fakt ist allerdings: Hätte man ihr auf Westerhever eine Verlängerung angeboten, dann hätte sie sofort angenommen, vor allem, wenn ihre Wohngemeinschaft in dieser Form weiterbestanden hätte. Sie kann sich auch vorstellen, eine ähnliche Tätigkeit irgendwann noch einmal auszuüben, durchaus auch weit weg von der Zivilisation. Aber: „Es müsste ein Job an der Küste sein“, so Johanna. „Ich glaube nicht, dass ich in den Bergen leben könnte, zum Beispiel auf einer Wetterstation auf der Zugspitze. Mich zieht es einfach ans Meer, immer und immer wieder ans Meer!“