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„Warum nicht in Utopien denken?“

Foto: © Janika RehakFoto: © Janika Rehak
Lennart Onken kandidierte mit 19 Jahren für den Deutschen Bundestag. Foto: © Janika Rehak

Abitur, Bundesfreiwilligendienst, viel Sport und Bewerbungen an den Unis: Bis hierhin unterscheidet sich die Biographie von Lennart Onken (19) aus Soltau nicht wesentlich von der seiner Altersgenossen. In Lennarts Vita findet sich jedoch auch der Eintrag: Kandidat für den Deutschen Bundestag 2013. jádu-Autorin Janika Rehak sprach mit Lennart Onken über seine Erfahrungen im Wahlkampf, die Idee der Utopie und warum es ihn am Ende gar nicht so enttäuscht hat, dass er nicht in den Bundestag gewählt wurde.

Ist man mit 19 Jahren nicht noch entschieden zu jung für den Bundestag?

Man kann man gar nicht zu jung für Politik sein. Ich finde es wichtig, dass sich gerade junge Leute in der Politik engagieren. Schließlich geht es dabei auch um unsere eigene Zukunft. Wieso sollte man da nicht aktiv mitgestalten? Außerdem glaube ich, dass gerade eine relative Unerfahrenheit nicht unbedingt ein Nachteil sein muss. Es kann auch ein Pluspunkt sein.

Interessante Ansicht. Kannst du das näher erklären?

Es heißt ja immer, mit dem Alter kommt auch die Erfahrung, und ich glaube, das ist tatsächlich so. Allerdings gehören dazu ja auch negative Erfahrungen. Das kann man Realismus nennen, aber man muss aufpassen, dass das nicht in Desillusionierung umschlägt. Mit der Zeit erleiden Menschen viele Niederlagen, scheitern mit ihren Ideen. Dementsprechend kann man die Sache auch andersherum sehen: Je mehr Erfahrungen dieser Art man macht, desto weniger glaubt man erreichen zu können. Man glaubt, zu verstehen, wie die Welt funktioniert und glaubt dann auch zu wissen, was alles nicht möglich zu sein scheint. Ich glaube, je jünger man ist, desto idealistischer ist man noch und setzt seine Erwartungen entsprechend hoch. Wieso sollte man nicht ein wenig in Utopien denken? Natürlich weiß ich, dass viele idealistische Ideen nie so umgesetzt werden können. Politik funktioniert durch Kompromisse und man trifft sich meist irgendwo in der Mitte. Aber man kann die Verhandlungsbasis ja von vorn herein etwas höher ansetzen. Außerdem hat Jugend insbesondere bei der Linkspartei noch einen ganz praktischen Vorteil: Man muss sich nicht mit DDR- und Stasi-Vorurteilen herumschlagen.

Du hast gerade begonnen zu studieren. Fehlt dir nicht der Einblick ins Berufsleben, den man als Politiker braucht?

Hat nicht jeder Mensch nur einen sehr beschränkten Blick ins Berufsleben? Nämlich in seinen eigenen Berufsalltag. Ein Lehrer kennt den Job eines Lehrers, ein Taxifahrer den eines Taxifahrers. Aber wie der Alltag des anderen wirklich aussieht, davon haben beide nur eine sehr vage Ahnung. Klar sind Arbeit und Geldverdienen wichtige Aspekte des Lebens. Für mich spielt aber auch der Aspekt der Selbstverwirklichung eine große Rolle. Da muss doch mehr möglich sein, sage ich mir immer. Schon wieder so eine idealistische Denke.

Im Bundestagswahlkampf bist du, anders als die anderen Kandidaten, nie im Anzug aufgetaucht. Wie haben die Leute allgemein auf dich reagiert?

Bundestagswahlplakat von Lennart Onken, © DIE LINKE Niedersachsen

Die Sache mit dem Anzug war eine ganz bewusste Entscheidung von mir. Ich bin im Alltag einfach kein Anzugträger. Also habe ich auch nicht versucht, über Kleidung Seriosität zu transportieren, sondern eher durch das, was ich sage. Das kam auch gar nicht schlecht an, auch wenn manche mir vielleicht vorgeworfen haben, mich damit den jüngeren Wählern anzubiedern. Das war aber nie mein Ziel, ich wollte einfach authentisch auftreten. Insgesamt war mein Alter nicht wirklich ein Hindernis, denke ich. Aber natürlich gab es auch Leute, die haben mir auf den Kopf zugesagt: „Was du sagst, finde ich gut, aber ich kann dich einfach nicht wählen, du bist zu jung.“ (lacht). Was ich im Nachhinein ziemlich schade finde ist, dass ich gerade viele der jungen Wähler mit meinem Ansatz nicht so erreichen konnte, wie ich mir das gewünscht hätte. Wenn ich mich mit denen unterhalten habe, bin ich oft auf genau diese Desillusionierung getroffen, die ich vorhin schon einmal erwähnt habe. Das war so ein stilles Hinnehmen der gegeben Umstände. So eine „Man-kann-ja-doch-nichts-ändern!“-Einstellung.

Nun hat es ja für einen Sitz im Bundestag doch nicht gereicht. Bist du enttäuscht darüber?

Klar, ein bisschen schon. Ich habe jede Menge Zeit und Arbeit in die Sache gesteckt, und dabei ist nichts herausgekommen. Andererseits ist es vielleicht ganz gut, dass ich jetzt noch nicht gewählt wurde. Das Thema wird dann ja frühestens in vier Jahren wieder aktuell. So habe ich auch noch vier Jahre Zeit, mich persönlich weiter zu entwickeln und vielleicht ein paar Kanten abzuschleifen – ohne meine Ideale aufzugeben natürlich. Möglicherweise suche ich mir zusätzlich auch eine Tätigkeit oder eine Gruppe, mit denen man Ideen und Ziele direkt vorantreiben kann, unabhängig von Politik.

Reden wir zum Schluss noch mal von Utopien: Wenn du etwas an der Gesellschaft in Deutschland ändern könntest, was wäre das?

Oh, da würde mir eine Menge einfallen. Muss ich mich wirklich für nur eine Sache entscheiden? Na gut, dann gehe ich nach meiner persönlichen Prioritätenliste. Ich würde auf jeden Fall die Gesetzgebung für Ausländer ändern, insbesondere das Asylrecht. Das muss man sich doch mal vorstellen: Die Menschen haben ihre Heimat verlassen, weil das Leben dort für sie nicht mehr möglich war, ja manchmal sogar lebensgefährlich, haben vielleicht ihr letztes Geld geopfert, um nach Europa zu kommen, haben auf der Flucht eine Menge durchgemacht und können in manchem Fällen von Glück sagen, dass sie nicht mitsamt einem überladenen Containerschiff versunken sind. Und wenn sie endlich am Ziel sind, dann werden sie erst mal in Notbehelfen zusammengepfercht und sind überhaupt nicht willkommen. Von der einheimischen Bevölkerung schlägt ihnen Misstrauen und oft auch ganz unverhohlener Rassismus entgegen. Das kann doch nicht sein! Ich finde, in Deutschland gibt es auch eine Menge latenten Rassismus und dagegen muss man vorgehen. Das war im Wahlkampf übrigens manchmal ein echtes Problem für mich. Wenn jemand auf mich zukam und mich fragte, was ich denn „gegen die Ausländer“ zu tun gedächte, dann hätte ich mich am liebsten umgedreht und die Person einfach stehen gelassen. Da hört für mich wirklich der Spaß auf.

Lennart Onken, Jahrgang 1994, absolvierte nach dem Abitur zunächst ein Jahr Freiwilligendienst bei der KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen. Sein Interesse für Politik erwachte schon sehr früh, als Landessprecher der Linksjugend konnte er bereits seit 2009 Erfahrungen sammeln. 2013 ließ er sich für den Wahlkreis Rotenburg-Heidekreis (Niedersachsen) als Kandidat für den Bundestag aufstellen und erreichte knapp vier Prozent der Stimmen. Derzeit pendelt er zwischen der politischen Arbeit im Heidekreis und seiner neuen Wahlheimat Leipzig, wo er Kulturwissenschaften studiert.

Das Interview führte Janika Rehak

Copyright: jádu / Goethe-Institut Prag
Januar 2014

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    #2 Mein Vater (und) Klaus - Martin Pánek / Svobodní („Freiheitliche“)

    #3 „Warum nicht in Utopien denken?“ - Lennart Onken / DIE LINKE

    #4 Die Entdeckung der Langsamkeit - Matěj Stropnický / Strana zelených (Grüne)

    #5 Mit kleinen Schritten - Markéta Adamová / TOP 09

    #6 Die Lust am Piraten-Dasein - Ivan Bartoš / Pirátská strana (Piratenpartei)

    #7 Ein Vietnamese im Europawahlkampf - Nguyen Cong Hung / ODS (Demokratische Bürgerpartei)

    #8 Politikerin in Bearbeitung - Anna Pospěch Durnová / Strana zelených (Grüne)

    #9 Nach Straßburg ist Schluss - Kateřina Konečná / KSČM (Kommunisten)

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