Kultur

„Auch Sprache ist nur ein Instrument“

Foto: © www.prag-music.com

Ein Gespräch mit der Band „Prag“ – über Indie-Mauern, deutsche Texte und ihren Namen

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Wir treffen uns in einem alten Plattenbau im Berliner Stadtteil Pankow. Durch die hohen Fenster flutet das Licht. Der riesige Komplex beherbergt jede Menge Büros, Ateliers, Studios. Wie das der Berliner Band „Prag“. Jede Menge Instrumente stehen hier, dazwischen Schreibtische mit allerlei technischem Gerät. Dann ist da noch diese gemütliche Sitzecke, in der unser Gespräch stattfindet. Tom Krimi und Erik Lautenschläger, die mit Schauspielerin und Sängerin Nora Tschirner Musik machen, über ihren musikalischen Kosmos.

Wie kommt man dazu, seine Band „Prag“ zu nennen?

Erik Lautenschläger: Nora kam 2011 auf die Idee, unsere Stücke, die wir im Rechner bereits sinfonisch arrangiert hatten, mit einem richtigen Orchester aufzunehmen. Unter den Angeboten, die wir von Orchestern eingeholt haben, war auch eines aus Prag. Davon waren wir sofort begeistert, was auch daran lag, dass wir alle drei unabhängig voneinander schon vorher sehr gute Beziehungen zu Prag hatten. Für jeden ehemaligen DDR-Bürger war Prag die erste Weltstadt, die sozusagen direkt vor der Haustür lag…

Tom Krimi: … und für jeden Wessi, welcher ich bin, war es eben die erste Stadt hinter dem Eisernen Vorhang, die als – ja, magische Stadt – Menschen aus der ganzen Welt angezogen hat.

Erik: Jedenfalls war uns allen drei sofort klar, dass wir uns für das Prager Orchester entscheiden. Wir sind also hingefahren und gleich eine ganze Woche geblieben. Wir hatten eine unfassbar schöne Zeit in Prag. Es war so ähnliches Wetter wie jetzt…

Alle Blicke gehen nach draußen – über Berlin liegt eine dicke Schneedecke. Trotzdem scheint die Sonne.

Tom: …nur eine ganze Ecke kälter.

Erik: Es waren mindestens minus 10 Grad!

Der Videoclip zur ersten Single „Sophie-Marceau“ wurde in Prag gedreht.

Das ist auf dem „Sophie-Marceau“-Video, auf dem ihr unter anderem auf der Karlsbrücke zu sehen seid, deutlich zu erkennen.

Tom: Für diesen Karlsbrücken-Dreh war das Wetter perfekt. Es war genauso leer, wie es auf dem Video aussah. Es war richtig hart, die Instrumente bei diesen Temperaturen zu spielen. Die Leute, die das machen, um ihre Existenz zu sichern – Wow.

Erik: Als wir zurückkamen, wurde an uns herangetragen, dass wir doch jetzt endlich mal einen Namen für unser Projekt finden sollten. Wir saßen also hier in der Runde – und es hat wahrscheinlich keine Minute gedauert, bis wir einfach wussten, dass wir uns „Prag“ nennen werden.

Tom: Der Name sagt auch wirklich aus wie wichtig für uns diese Woche in Prag war. Nicht nur, dass es eine sehr schöne Zeit war, wir haben ja auch zum ersten Mal mehrere Tage und Nächte zusammen verbracht. Und dann noch dieser Zauber des gefrorenen Prag – wir sind sozusagen zusammengefroren.

Erik: Wirklich! So war es!

Nun seid ihr ja alle drei noch in viele andere Projekte involviert. Wie kam es denn zu dem gemeinsamen Projekt? Wart ihr nicht ausgelastet?

Tom: Das, was wir tun, ist unser Herzblut. Und das Herz ist ziemlich groß, hat mehrere Kammern. Die meisten Kammern sind wohlig ausgefüllt. Aber manchmal entdecke ich dann doch noch Bedürfnisse und stelle fest: Da ist noch eine Kammer in meinem Herzen frei. Ich bezeichne mich als Kind einer kulturbesetzten Zone, als Norddeutscher, der keine eigene positive deutsche Musikkultur hat, außer eben der klassischen, die wir ja auch aufgreifen. Ich stelle aber fest, dass in mir verschiedenste Facetten der Popmusik wohnen und die kann man nicht in ein einziges Projekt integrieren. Also gibt es für mich eben das Soloprojekt Tom Krimi, ich bin andererseits Produzent, Erik hat sein „Erik & Me“-Ensemble – und dann gibt es jetzt eben noch diese Band von uns Dreien, in der wir uns alle auf sehr freie Art verwirklichen können.

Die Initiative kam also von euch beiden.

Erik: Ja, ursprünglich kam ich mit einigen Songs zu Tom und bat ihn um seine Meinung. Das waren Lieder, die in der anderen Band keinen Platz fanden und eben auch für Indie-Bands funktioniert hätten. Was wir schon wussten war, dass wir beide eine große Liebe für die Filmmusik der fünfziger und sechziger Jahre teilen. Das hat Tom dann ausprobiert und zwar genau an „Sophie Marceau“. Dass das diese konkrete Form von jetzt angenommen hat, hat natürlich sehr viel mit Nora zu tun. Nora kenne ich ja schon sehr lange, noch aus dem Schulchor. Daher wusste ich, dass sie gut singt. 2011 kam Nora zu mir, weil sie ein Lied von „Erik & Me“ bei einer Fernsehsendung singen wollte. Bei der Gelegenheit habe ich ihr einige Stücke von Tom und mir vorgespielt. Sie war hellauf begeistert und wir entdeckten unseren gemeinsamen musikalischen Kosmos. Sie wollte am Anfang allerdings überhaupt nicht singen, sondern eher die Bariton-Gitarre spielen – oder einen Fanclub gründen, deren Vorsitzende sie dann werden würde.

Tom: Wir wiederum hatten schon im Kopf, dass wir auf dieser Platte mindestens ein oder zwei Duette haben wollten. Es lief also ein bisschen ab wie in den Anfängen einer Liebesbeziehung. Wir näherten uns auf sehr schüchterne, vorsichtige Weise einander an und versuchten dabei, uns für die jeweils andere Seite interessant zu machen.

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Nora hat vermutlich wesentlich dazu beigetragen, dass ihr schnell öffentliche Aufmerksamkeit erlangt habt. Empfindet ihr das als Vorteil oder schafft das eine Wahrnehmung, die ihr euch eigentlich nicht gewünscht habt?

Tom: Das war ja gerade der Grund für die beidseitige Schüchternheit. Natürlich ist uns bewusst, dass die Aufmerksamkeit, die wir gleich zu Beginn genossen haben, gerade über Noras Namen zustande kam. Und klar ist das von Vorteil – etwas anderes zu behaupten, wäre falsch und naiv. Und wir finden das toll, vor allem weil Nora der letzte Mensch ist, der das ausnutzen würde. Der Generalverdacht, dass es sich bei unserer Band um einen PR-Gag für Nora handelt, ist ja auch völlig absurd. Ich meine, allein die Musik! Wer würde sich denn einen PR-Gag mit solcher Musik ausdenken?

Erik (kurz vor dem Lachanfall): Das müsste ein wahnsinnig durchgeknallter PR-Manager sein! Das Beste war, dass wir uns im letzten Sommer dafür entschieden haben, als erste Single „Sophie Marceau“ rauszubringen, ein Lied in dem Nora ja gar nicht singt, der ganze Kosmos von „Prag“ aber schon deutlich wird. Und weil dieser musikalische Kosmos so ungewöhnlich ist, waren die Kritiker erst einmal damit beschäftigt, ihrer Irritation Herr zu werden anstatt sich mit Noras Rolle in der Band auseinanderzusetzen. Andererseits hat uns diese Aufmerksamkeit, die wir Nora verdanken, geholfen, die – Tom spricht immer von der Indie-Mauer – zu durchbrechen. Die Indie-Mauer ist die Mauer, die du als Indie-Musiker nicht durchbrechen kannst, egal wie poppig deine Musik ist. Du erreichst nahezu nie die große Masse. Hier ist es einmal passiert: Die große Masse weiß plötzlich, dass es da abseits des Mainstreams auch ganz andere, ausgefallene Musik gibt.

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Wie wichtig sind euch eigentlich deutsche Texte?

Erik: Mir ist das total wichtig, weil ich im Englischen nicht so hintergründig und humorvoll sein kann. Im Englischen kann ich weder Leichtigkeit noch besondere Tiefe. Natürlich klingt die englische Sprache besser. Aber für mich ist es auch eine große Herausforderung, die deutsche Sprache klingbar zu machen.

Tom: Ich konnte bisher einfach keine deutsche Musik machen, das ist mein erstes deutschsprachiges Projekt. Ich war auch sehr überrascht davon, dass mir Eriks Texte so nah ans Herz gehen und dass die Blockade, die ich bei deutschen Texten normalerweise habe, hier nicht gegriffen hat. Letztendlich ist das natürlich Lautmalerei, wie Erik Texte schreibt und wie er sie intoniert und singt, denn auch Sprache ist ein Instrument.

Das Interview führte Isabelle Daniel

Copyright: Goethe-Institut Prag
Mai 2013
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