Kultur

Erinnerungen an Filip Topol

Karel Šustr
Filip Topol & Psí vojáci im Palais Lucerna, Prag 1992. Foto: © Karel Šustr

Hey, hey, ich bin jung!


Filip Topol war nicht nur ein großartiger Pianist, Poet und ein genialer Komponist. Er war auch ein rockender Derrwisch und vor allem die Verkörperung des Idols einer zerrissenen Künstlerpersönlichkeit. Er vereinigte in sich die Bohème von Jimi Hendrix, die intellektuelle Vielseitigkeit von Jim Morrison und genoss gleichzeitig den natürlichen Respekt wie Johnny Cash. In Tschechien hatte er den gleichen Stellenwert wie die drei erwähnten Legenden im Ausland.

Abseits der Bühne wirkte Filip Topol jedoch scheu, nachdenklich... als löse er gerade irgendein Problem. Nie war er in Eile, er bewegte sich gemächlich und sein Lächeln war eher schüchtern. Zu seiner Musik fand man nicht über die Medien. Für die war sie zu speziell. Man fand zu seiner Musik in einer konspirativen Atmosphäre, unter guten Bekannten. Man wurde „eingeweiht“. „Du weißt nicht, wer das ist? Na, das ist doch der, der schon mit 13 als Vorband der Plastic People in der Datscha von Václav Havel in Hrádeček aufgetreten ist!“

Ich selbst habe Psí vojáci (Hundesoldaten), die Band, mit der Filip Topol 35 Jahre seines Lebens verbrachte, im Jahr 1985 kennengelernt. Mein Schwager hat damals, obwohl er gerade seinen Hochschulabschluss gemacht hatte, eine Stelle als Schulhausmeister angenommen, wegen der leichten Arbeit (um Zeit zum Gitarreüben zu haben) und wegen der Wohnung, die ihm gestellt wurde. An den Wochenenden hat er Parties für Bekannte gegeben, und in der Turnhalle wurde schließlich ein illegales Konzert veranstaltet. Meine Schwester kam mit diesem begeisterten Gesichtsausdruck: „Am Wochenende haben Psí vojáci bei uns aufgenommen!“ Unter dem verständislosen Blick ihres pubertierenden Bruders begann sie dann zu erklären, was für eine tolle Underground-Band das ist, wie sie die ganze Sache geheimhalten mussten, was für eine Gaudi es war, denn es passten gar nicht alle in die Turnhalle. Der Tontechniker musste sich also auf dem Gang einrichten...

Die Saat für mein Interesse war gelegt. Etwa zwei Jahre später habe ich von einem Freund eine Konzertaufnahme bekommen – das war schon ein legaler Auftritt in einem Klub. Der Band war es nämlich gelungen – nach Jahren in der Illegalität –öffentlich unter der Abkürzung PVO (Psí vojáci osobně, auf deutsch etwa „Psí vojáci persönlich“) auftreten zu dürfen. Als dann kurz nach der Samtenen Revulotion die erste EP erschien, hatten sie fast alle meiner Bekannten. Den Song „Žiletky“ mit der fantastischen Oboenbegleitung habe ich so oft gehört, dass mir später immer die Oboe fehlte, wenn sie den Song live spielten.

Ein Ausschnitt des Liedes „Marilyn Monroe“. 16.April 1990, Prag. © Tschechisches Fernsehen

Im Jahr 1990 kam die Freiheit... mit allem drum und dran. Psí vojáci gaben ihr erstes Album Nalej čistýho vína, pokrytče („Schütte reinen Wein ein, Heuchler“) heraus und der Slogan Hej, hej – jsem mladej! („Hey, hey – ich bin jung!“) wurde im Suff wohl auf jeder Party skandiert. Die Band spielte im ausverkauften Lucerna-Saal, Filip Topol tanzte im wahrsten Sinne des Wortes am Klavier, er wippte auf seinem Hocker, haute mit den Füßen in die Tasten und aus seinen geschundenen Händen rann Blut. Junge Intellektuelle in schwarzen Klamotten und mit Kafka- oder Meyrink-Ausgaben unter dem Arm, klebten an seinen Lippen. Ihre Bereitschaft was auch immer zu tun, um ihrem Idol nahezukommen, war auf den ersten Blick zu erkennen. Das Idol allerdings nahm das Publikum nicht wirklich wahr – sein damaliger Lebensstil war selbstzerstörerisch und Konzerte, während derer er nüchtern war, wurden eine Seltenheit.

Später beruhigte sich das ein wenig. Filip und Psí vojáci brachten eine Platte nach der anderen heraus und allmählich öffneten sie auch die umfangreichen Archive aus der Zeit des Kommunismus. Die Aufnahme aus der Schule erschien übrigens auch auf CD – im Jahr 2000 war das. Zu der Zeit war Filip Topol nicht nur seit einer Weile abstinent, er hatte außerdem die ersten Kämpfe um seine Gesundheit inklusive einer Operation hinter sich.

Ohne Alkohol hielt er es einige Jahre aus. Dann habe ich ihn einmal getroffen – im Backstagebereich des kleinen aber feinen Festivals Litoměřický Kořen (Leitmeritzer Wurzel), wo Psí vojáci wiederholt und immer mit großem Erfolg auftraten. Wir kannten uns damals bereits vom Sehen, grüßten uns und wechselten hin und wieder ein paar Worte. Er sah elendig aus und mir war sofort klar, dass er wieder trank. Das Konzert war dementsprechend schlecht.

Nach dem Konzert habe ich mit ihm und einigen weiteren Musikern im Zelt hinter der Bühne gesessen. Bedrückt erzählte er darüber, dass es einfach nicht gehe Rockmusik zu machen und dabei nicht zu trinken. Und in was für einem Dilemma er sei: entweder sich kaputtsaufen oder Depressionen bekommen, weil er sich selbst verliert. Und wie ihm irgendwo in Mähren ständig jemand einen Schnaps aufzwängen wollte. Als er ablehnte, sei der andere mit beleidigter Miene und den Worten „Naja, eingebildeter Prager, trägt die Nase hoch...“ gegangen. Als er damals darüber sprach, wirkte er unendlich traurig. Es klingt pathetisch, aber ich kann mir nicht helfen: Er wird mir fehlen.


Antonín Kocábek

ist
Musiker und Journalist. Unter anderem moderiert er auf Rádio 1 die Sendungen „Velká Sedma“ und „Inclubátor“.


Filip Topol & Psí vojáci, Libeň-Insel, Prag 2001. Foto: © Karel Šustr

Blut und Seele auf den Tasten


Vor x Jahren wollte ich mit Filip eine absurde Heavy Metal Band gründen. Er sollte die Gitarre spielen, ich den Bass im Stil von Sid Vicious. Keiner von uns beherrschte diese Instrumente. Zu der Band ist es zwar nicht gekommen, aber das wird sich schon ergeben. Den Death Metal machen wir doch noch irgendwann. Das haben wir in der Dietrichsteiner Gruft in Mikulov vereinbart, wo Filip auf der Orgel sein Requiem improvisierte – so früh aber doch viel zu rechtzeitig.

Sein Blut, sein Schweiß und seine Tränen habe ich bei vielen Auftritten erlebt. Und seine Hymne Sbohem a řetěz war seinerzeit der Soundtrack, mit dem ich mich auf den Besuch meiner Lieblingskneipe einstimmte. Das war schon nach der so genannten Samtenen Revolution, während der Filip bei verschiedensten Auftritten seine revolutionäre Ladung an verschiedenen Faklultäten verschoss, ohne dabei im Entferntesten Druck auszuüben.

Jakub Arbes und später Jean-Luc Godard proklamierten in einigen ihrer Werke, dass die dichterische Imagination die wichtigste Triebkraft des Universums sei. Diese Kraft begleitete Filip auf allen Wegen und er brachte es fertig, sie sowohl in sehr einfache Verse als auch in ausgeklügelte Sätze zu verpacken.

In seinen irdischen Spielen kollidierten die Welten der Alltagsrealität und der traumhaften Vorstellungen jenseits der Grenze der gewöhnlichen Wahrnehmung. Filips Poesie war immer eigentümlich, nie jedoch dekadent und trotz widriger Umstände immer positiv. Das Blut, das aus seinen Händen und seinem Kopf auf die Klaviertasten spritzte, hinterließ ein Vermächtnis für gleich mehrere Generationen. Und eigentlich war auch dieser Stein wichtig, den er einst in seinem Kinn vergrub, nur um ihn nach Jahren wieder freizugeben und die Weisheit der Zeit irgendwohin anders zu übergeben.

„Rest in Peace“ ist für Filip nicht der richtige Spruch, denn er wird fortwährend immer weitere und weitere Rezipienten aufwecken und mit seiner nonkonformen, kompromisslosen Einstellung auffordern zu einer lebenslangen Rebellion, der dabei jedoch nie die Liebenswürdigkeit und Zärtlichkeit fehlt.

Foto: Pastorius, CC BY 3.0
Filip Topol bei einem Auftritt in Loděnice im Dezember 2010, Foto: Pastorius, CC BY 3.0

Filip war nämlich nie ein Kämpfer gegen etwas , sondern ein Verfechter von Werten, die alle ökonomischen und moralischen Krisen überdauern. Er war zwar ein relativ unauffälliger aber ein sehr einfallsreicher Fusionierer vieler Ideen, die uns allen unter die Haut oder besser noch bis ins Knochenmark gehen sollten. Der Vergleich Filips, und sei er auch noch so wohl gemeint, mit Nick Cave oder Tom Waits, scheint mir unsinnig. Obwohl aus diesem kleinen Kessel Tschechien oder vielleicht gerade deshalb war beziehungsweise ist (!) er ein einzigartiger Künstler, der seinesgleichen sucht. Aber das riecht schon nach unangemessenem Pathos. Seine „klinischen“ Anekdoten an der Schwelle zum Tod hatten immer eine Portion Leichtigkeit, Humor und Übersicht. Letztere hat er jetzt über uns alle und er kann hämisch lachen über unsere lächerlichen kleinen Probleme.


Petr Slabý

(*1963) ist Musikjournalist und Filmmacher. Sein Dokumentarfilm „Rok konopí - Year of Mari©huana“ kam im Frühjahr 2013 in die tschechischen Kinos.

Übersetzung: Patrick Hamouz

Copyright: Goethe-Institut Prag
Juni 2013

    Filip Topol (12.6.1965 – 19.6.2013)

    Pianist, Sänger, Schriftsteller, Schauspieler. Seit dem Jahr 1979 trat er mit der Band Psí vojáci auf. Seit 1990 gab die Band 20 Alben heraus. Er schrieb mehrere Bücher. Das letzte erschien genau einen Tag nach seinem Tod. 1994 spielte er die Hauptrolle in dem Film „Žiletky“. Der Streifen des Regisseurs Zdeněk Tyc wurde nach einem von Topols größten Hits benannt. Filip Topol stammte aus einer Künstlerfamilie. Sein Großvater war der SchriftstellerKarel Schulz, sein Vater der Dramatiker Josef Topol. Sein Bruder Jáchym Topol ist ein bekannter Romanautor und Dichter.

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