Tschechisch-Unterricht mit Bonus
Warum deutsche Jugendliche in Tschechien ins Theater gehen
Ob Amberg, Regenstauf, Cham oder Wunsiedel: Die meisten Realschulen in der Oberpfalz bieten Tschechisch als Wahlfach an. Insgesamt 568 Schüler lernen derzeit die Sprache des Nachbarlandes.
„Tschechisch macht Spaß“, sagt der dreizehnjährige Jakob. Der Unterricht sei locker. Er geht in die 8. Klasse der Realschule in Nabburg und freut sich, wenn er bei Familienausflügen ins Nachbarland grüßen kann: Dobrý den – Guten Tag.
Auch Jakobs Mitschülerinnen Eva (14) und Marina (13) lernen Tschechisch. Sie können schon die Monate von Januar bis Dezember auf Tschechisch aufsagen und wissen auch, wie Verben konjugiert werden. Wenn sie durchhalten, können sie nach der neunten Klasse ein Tschechisch-Zertifikat erwerben. „Das ist gut für spätere Bewerbungen“, sagen die Mädchen.
Mit elf Bussen ins Theater
Der Eingang des Josef Kajetán Tyl-Theaters im westböhmischen Pilsen kann die einströmende Menge kaum fassen. Langsam schieben sich hunderte Schüler in das Foyer. Es ist Vormittag und die Vorstellung ist ausgebucht. Aufgeführt wird das Ballett Aschenbrödel des russischen Komponisten Sergej Prokofjew. Im schwarzen Anzug und sorgfältig gekämmten Haaren hat auch Jakob auf einem der roten Samtsessel im Theater Platz genommen. Eva und Marina warten ebenso gespannt auf die Vorstellung.
An diesem Tag gehört das Pilsner Theater ausschließlich 450 Realschülern aus der Oberpfalz. Elf Busse brachten die 13 bis 15-Jährigen in die viertgrößte Stadt Tschechiens – aus 14 Orten Nordostbayerns. Der Kulturausflug ist eine Belohnung dafür, dass sie freiwillig Tschechisch lernen.
Tor zur Kultur
Lucie Klárová ist eine der 24 Tschechisch-Lehrkräfte in der Oberpfalz. Ihr ist es wichtig, den Kindern Freude an der Sprache des Nachbarlandes zu vermitteln. In der Naabtal-Realschule in Nabburg bietet sie einmal in der Woche zweistündigen Tschechisch- Unterricht an. Mit ihren Kolleginnen und Kollegen, allesamt Muttersprachler, trifft sie sich regelmäßig, um an der Methodik des Unterrichts zu arbeiten und seine Qualität zu verbessern. Unter der Leitung der Hochschulpädagogin Ladislava Holubová hat die Lehrergruppe Unterrichtsmaterialien erarbeitet. Denn ein richtiges Tschechisch-Lehrbuch für 13- bis 15-Jährige gibt es in Bayern noch nicht.
Lucie Klárová stammt aus dem mährischen Ostrau und ist Gymnasiallehrerin für Tschechisch und Theaterwissenschaft. „Viele unserer Schüler waren noch nie im Theater“, sagt sie. Sie glaubt, das Tschechisch-Projekt öffne den Schülern auch ein Tor zur Kultur: „Sie lernen eine neue Sprache, die ihnen Kontakte zum Nachbarland erschließt, zum Beispiel zu der Partnerschule im westböhmischen Horšovský Týn. Zudem können sie gratis an kulturellen Veranstaltungen teilnehmen.“ Die Theatervorstellung finden die Jugendlichen „schön“, wie sie einhellig sagen.
Azubis, ahoj!
Im April fuhren die Busse bereits zum vierten Mal ins Theater, doch ohne das Engagement der Tschechisch-Lehrerin Jaroslava Seidlmayer, die alljährlich die Kulturfahrt nach Pilsen organisiert, wäre ein Event in dieser Größenordnung nur eine schöne Vorstellung. Dieses Mal hat Seidlmayer die Volksbanken Raiffeisenbanken der Oberpfalz als Sponsoren gewonnen. „Wir sind an Auszubildenden interessiert, die Deutsch und Tschechisch sprechen. Denn in unserer Region arbeiten 8.600 Tschechen, die auch Bankkunden sind“, sagt der stellvertretende Bezirkspräsident Herbert Eder, der sich die Ballett-Vorstellung in Pilsen auch nicht entgehen ließ.
Seit 2008 wird der Tschechisch-Unterricht an den Realschulen der Oberpfalz angeboten. Zumeist als Wahlfach. Ergänzt wird das Projekt durch Schulversuche, wie dem an der Wirtschaftsschule Waldmünchen. Dort können Jugendliche eine zweijährige Ausbildung zum Euro-Management-Assistenten mit Schwerpunkt Tschechisch absolvieren. Und in Vohenstrauß, nur acht Kilometer von der Tschechischen Grenze entfernt, gibt es eine Talentklasse mit Tschechisch als Wahlpflichtfach.
Näher nach Tschechien als zur Schule
Die zuständige Lehrerin Renata Burcsak hat ihre Gruppe von Schülern gerade aus dem Pilsner Theater auf die Straße gelotst. Jetzt steht sie mit ihnen auf dem Gehsteig und erzählt ein paar Sätze über die Synagoge, die direkt gegenüber dem Theatergebäude steht. Dann geht es flotten Schrittes Richtung Fußgängerzone.
Renata Burcsak unterrichtet in der siebten bis zehnten Klasse Tschechisch, jeweils drei bis vier Stunden in der Woche. Und das seit drei Jahren. „Das Angebot kommt sehr gut an“, sagt sie, während sie aufpasst, dass ihre Schützlinge in festlicher Kleidung gut über die Straße kommen. Viele ihrer Schüler haben es näher in die Tschechische Republik als in die Schule. „Die Kinder bleiben zumeist in der Region. Deswegen ist Tschechisch wichtig für sie“, erklärt sie. Um in eine Talentklasse aufgenommen zu werden, müssen sie jedoch gute Schulergebnisse vorweisen.
Die 14-jährige Anna hat es geschafft. Jetzt lernt sie Tschechisch und genießt die Fahrt nach Pilsen. Nach der Theater-Vorstellung spaziert sie mit ihren Freundinnen durch den Ostermarkt, sieht sich bei mildem Sonnenschein den historischen Stadtkern an. Wenn sie die tschechische Grammatik oder die Aussprache während des Jahres nicht entmutigen, wird sie bei der nächsten Kultur-Fahrt wieder dabei sein.
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