Klassenkampf reloaded
Die Gentrifizierungsdebatte spaltet Berlin
Spurlos sind die Demonstrationen in der Nacht vom 30. April auf den 1. Mai, der so genannten Walpurgisnacht, nicht am Berliner Stadtteil Wedding vorbeigegangen. Hier und da liegen noch ein paar Scherben, viel zerknülltes Papier häuft sich unter vollen Mülleimern.
Ein Anwohner befreit gerade seine Tür von einem Plakat, das zur „Antikapitalistischen Walpurgisnacht-Demo“ aufgerufen hatte – zum Protest gegen steigende Mieten und die Verdrängung alteingesessener Bewohner aus dem Kiez. „Gentrifizierung ist doch das Beste, was dem Wedding passieren kann“, meint der Anwohner grimmig. Gentrifizierung ist ein Wort, das die Berliner spaltet wie kein zweites. Für die einen ist es der Inbegriff des um sich greifenden Kapitalismus, der die Berliner Stadtteile um ihren originären Charme und ihre Bewohner um erschwingliche Mietpreise bringt. Für die anderen ist es Ausweg aus Verwahrlosung und Ghettoisierung.
„Ich will ja auch nicht, dass die Mieten steigen“, gibt der Weddinger zu, nachdem er nun auch den Rest des Plakates entfernt hat. „Aber ich finde es nicht so schlecht, wenn das Haus mal saniert wird.“ Damit benennt Klaus, der seinen Nachnamen nicht verraten will, die beiden Seiten der Medaille.
Der Domino-Effekt der Gentrifizierung
Das Phänomen folgt einer Logik der Unaufhaltsamkeit. Investoren, die dem Klischee entsprechend in der Regel aus Süddeutschland kommen, erwerben in den innenstadtnahen Problembezirken renovierungsbedürftige Altbauten. Diese lassen sie sanieren. In der Folge steigen die Mieten. Viele, die sich die teureren Wohnungen nicht mehr leisten können (oder wollen), ziehen rechtzeitig um in den nächstgünstigeren Kiez. Aber dort beginnt das Prinzip von vorne: Die Zugezogenen sind bereit, mehr Miete zu zahlen und schaffen damit einen Anreiz für die „schwäbischen Immobilienhaie“, wie die Investoren aus dem süddeutschen Raum und dem Ausland pauschal genannt werden, sich auch in die gerade angesagten, randstädtischen Gebiete zu begeben.
Der Domino-Effekt hat schon 1990, kurz nach der Wende, im nunmehr als spießig, weil als vollends gentrifiziert verpönten Prenzlauer Berg begonnen. Viele „Prenzlberger“, die ihren Wohnsitz angesichts der steigenden Lebenshaltungskosten immer häufiger in die im Osten angrenzenden Bezirke Pankow oder Wedding verlegen, sind oft Zielscheibe der Hasstiraden, die aufgebrachte Gentrifizierungsgegner als Graffiti an Häuserwände sprayen. Seit Mai 2012 widmet sich sogar ein komödiantisches Theaterstück, das im Weddinger Prime-Time-Theater aufgeführt wird, dem Thema. Free Wedding – Hilfe, die Prenzlwichser kommen heißt der „Comedy-Thriller zur Gentrifizierung“, der die Paroli erklärter Antikapitalisten in vergleichsweise harmloser Form aufgreift.
„Wem gehört die Stadt?“
Mehr als jedes andere Thema beschäftigt das Wohnproblem aber auch die Kommunalpolitik und die lokale Presse. In einer Serie zur Gentrifizierung in Kreuzberg, das als am stärksten betroffener Bezirk im ehemaligen Westberlin gilt, stellt etwa die Berliner Zeitung die Frage: „Wem gehört die Stadt?“. Wer im Jahr 2012 die Kreuzberger Bergmannstraße oder den wegen seiner geographischen Lage zwischen den Stadtteilen im Volksmund als „Kreuzkölln“ bezeichneten Reuterkiez entlanggeht und dort zwischen Reisebussen, fotografierenden Touristen und Latte-Macchiato-trinkenden Hipstern die Berliner „Natives“ allenfalls vermuten kann, wird sich tatsächlich kaum vorstellen können, dass das Viertel vor einem Jahrzehnt zu den tristeren der Stadt gehörte, dass hier einmal mehr Sozialhilfeempfänger und Migrantenfamilien lebten als Doppelverdiener und Jungfamilien.
Bioläden und Kindergärten
Neben den nach wie vor vorhandenen Dönerbuden und Gemüseläden reihen sich auch dort jetzt immer mehr Souvenirshops, Galerien und Bioläden ins Stadtbild. Die Bioladen- und Kindergartendichte gilt gemeinhin als Indikator für den Grad der Verbürgerlichung in den Kiezen – eine Tatsache, die nicht selten für ironische Interessenskonflikte sorgt. Verständnis für jene Kreuzberger, die Mieterhöhungen von bis zu 100 Prozent erlebt haben, formuliert regelmäßig der Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele, der hier seinen Wahlkreis hat. Er will mit seinem Wahlprogramm ebenso die Bioladengänger erreichen wie die Altbaubewohner, die seit Jahrzehnten in Kreuzberg wohnen und sich nun der Verdrängungstaktik von Immobilienhaien ausgesetzt sehen. „Da braut sich schon ein gewisser Unmut zusammen“, sagte Ströbele dem Magazin Focus.
Der Unmut kommt dabei zuweilen in Ausdrucksformen daher, die eine ernsthafte Debatte erschweren. Unter der insgesamt friedlichen Anti-Gentrifizierungs-Bewegung hat eine aggressive Minderheit die Frage, wem die Stadt gehört, bereits für sich beantwortet – auf Graffiti wie „Die, Yuppis, die“ (Sterbt, Yuppis, sterbt) oder „Yuppisierung is apartheid“.