Gegen den Staat
In Tschechien sind Hausgeburten zwar nicht verboten – das Gesetz verhindert dabei aber die Anwesenheit einer Hebamme. Zwei Tschechinnen zogen deshalb vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg.
Als Marie Rumlenová zum dritten Mal schwanger war, sah sie sich mit dem Gesetz konfrontiert. Meda sollte wie ihre große Schwester Anežka von einer Hebamme zur Welt gebracht werden – Zuhause, im Schlafzimmer der Familie. Die zierliche Marie war im ersten Monat, als in Tschechien eine Verordnung in Kraft trat, das Hebammen daran hindert, ihre Arbeit außerhalb von Geburtskliniken auszuüben – und Hausgeburten in eine gesetzliche Grauzone verbannt.
Marie hat im Frühjahr 2012 Ministerien, Kranken- und Rathäusern geschrieben. Das Ergebnis: Keine Hebamme in der Tschechischen Republik erfüllt die gesetzlichen Auflagen, um bei einer Hausgeburt zu assistieren. Die 34-jährige Kulturologin kneift die Augen zusammen. Durch das Schlafzimmerfenster blickt sie auf die grünen Hügel von Dejvice und die Prager Burg. „Wenn ich 200 Kilometer weiter, nach Deutschland fahren würde, dann wäre eine Hausgeburt kein Problem. Aber in diesem Staat geht das nicht.“ Die eineinhalbjährige Meda guckt mit großen, glasigen Augen zu ihrer Mama hoch. Marie hebt sie auf ihren Schoß und gibt ihr die Brust.
Privatsache Geburt
Marie Rumlenová war fest entschlossen, mit allen Mitteln für ihr Recht auf eine Hausgeburt zu kämpfen. Dann erfuhr sie, dass bereits zwei Tschechinnen am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg gegen den tschechischen Staat klagen – und verfolgt nun gebannt den Prozessablauf. Sie ist empört, dass derart in die Rechte der Frauen eingegriffen wird. „Ausländische Studien belegen, dass, wenn die Schwangere gesund ist, Hausgeburten ähnlich sicher sind, wie in Geburtskliniken. Dort rufen Routineeingriffe der Ärzte oft Komplikationen hervor“, sagt Marie.
.„Meine Mandantin beruft sich auf Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention“, erklärt Adela Hořejší, die Anwältin einer der Klägerinnen. Der Artikel gewährleistet das „Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens“. Laut den Klägerinnen bezieht das auch das Recht auf eine freiheitliche Wahl des Geburtsortes ein – mit medizinischer Versorgung. Im Fall „Ternovszky gegen Ungarn“ bestätigte das Straßburger Gericht bereits 2010, dass es diese Auslegung teilt und dass jene Staaten, die sich der Grundrechtecharta des Europarats verpflichtet haben, Hausgeburten mit medizinischer Versorgung ermöglichen müssen.
In Tschechien sind Hausgeburten zwar nicht verboten, allerdings macht das Gesetz die Anwesenheit einer Hebamme nahezu unmöglich. Um eine gewerbliche Lizenz zu erhalten, müssen außerklinische Geburtshelferinnen die Ausrüstung einer Klinik vorweisen: Ein Neonatologe, eine neonatologische Schwester, Kinderarzt, Kinderarztschwester, zwei Geburtshelferinnen, Brutkästen.
Das Gynäkologenmonopol
Weil der Staat ihrer Mandantin das Recht auf die freie Wahl des Geburtsortes verwehrte, fordert Anwältin Hořejší in Straßburg Schadensersatz. Doch es geht um mehr: „Sobald das Gericht feststellt, dass die Tschechische Republik die Europäische Menschenrechtskonvention verletzt, dann muss sich hier die Gesetzgebung ändern“, sagt Hořejší. Dann, so die Juristin, müsse der Staat den Hebammen ihre Arbeit wieder ermöglichen. Dagegen kämpfe der Gynäkologenverband an, der im Moment ein Monopol auf Schwangerschaftspflege, Geburtshilfe und damit auch Krankenkassenzuschüsse habe. Hořejší sagt: „Es geht um Macht und viel Geld“.
Laut dem Verteidiger der Tschechischen Republik vor dem Gerichtshof Vít Alexander Schorm geht es um die Gesundheit der Neugeborenen. Im September vergangenen Jahres brachte er diese Position bei der Anhörung in Straßburg vor – Petr Velebil, Leiter der Geburtsklinik in Prag-Podolí und wissenschaftlicher Sekretär des Gynäkologenverbandes. untermauerte das mit Zahlen und medizinischen Studien zu möglichen Komplikationen bei der Geburt. Die Klägerinnen wiederum ließen dies durch Biostatistikerin entkräften.
„Warum geht das Gesetz nicht so weit, Hausgeburten gänzlich zu verbieten?“, fragte der Belgier Paul Lemmens, einer der Richter in der zehnköpfigen Gerichtskammer. Öffentliche Anhörungen gibt es am europäischen Gerichtshof nur sehr selten. Laut Adela Hořejší spricht das dafür, dass die Richter mit dem Prozess ein Exempel statuieren möchten. Die Klage, die die Anwältin im Mai 2012 eingereicht hat, ist auch sonst eher untypisch. Eigentlich muss der Kläger alle gerichtlichen Instanzen in seinem Heimatland ausschöpfen, bevor er sich an Straßburg wendet. Da laut Hořejší aber die strengen Regeln für Hebammen zur Verletzung der Grundrechte der Mütter führen, sei der Gang nach vor den Gerichtshof für Menschenrechte die einzige Wahl gewesen. Ein Urteil wird im Laufe der nächsten Monate erwartet.
Gegen die Natur?
Marie Rumlenová hofft, das Straßburg Hausgeburten in Tschechien wieder möglich macht. Im September vergangenen Jahres saß sie mit einem Kaffee vor ihrem Laptop in Dejvice und verfolgte die Anhörung online. Die Argumentation der Hausgeburten-Gegner, die behaupten, Mütter wie sie würden egoistisch handeln und ihre Kinder willentlich Gefahren aussetzen, nennt sie „pervers“: „Das ist doch gegen die Natur. Warum sollte eine Mutter ihr Kind gefährden, das Kind, das sie in sich trägt?“
Meda kam schließlich im Schlafzimmer zur Welt – wie ihre beiden Schwestern in einer Wassergeburt. Ihre Eltern haben sich dafür ein blaues Plastikbecken ausgeliehen. In der Nacht, als die Wehen nicht mehr abklangen, ließen sie Wasser ein und riefen die Hebamme. „Ich hatte größere Angst, als bei der ersten Hausgeburt“, erinnert sich Marie und blickt auf den Parkettboden neben dem Ehebett, dort, wo das Becken stand. Das Bewusstsein die Hebamme zu einem Gesetzesbruch gebracht zu haben, habe sie nervös gemacht. Meda kam um 10 Uhr Morgens zur Welt, als ihr Vater gerade Wasser für das Becken aufwärmte. Marie war die erste, die das Neugeborene berührte.
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