In der Vorhalle des Parlaments
Eine lobbykritische Stadtführung durchs Berliner Regierungsviertel
Wenige hundert Meter vor dem Berliner Reichstagsgebäude tummeln sich unzählige Touristen, bahnen sich ihren Weg durch den mit Baustellen übersäten Boulevard Unter den Linden, machen Fotos vom Brandenburger Tor. Wer hierher kommt, sieht auf den ersten Blick nichts außer den repräsentativen Wahrzeichen der deutschen Hauptstadt. Eine ganz andere Perspektive auf das Berliner Regierungsviertel eröffnen die lobbykritischen Stadtführungen, die von der Nichtregierungsorganisation LobbyControl angeboten werden. Sie zeigen die Straßen, die zum Sitz des Deutschen Bundestags führen, als eine Verlängerung der Vorhalle des Parlaments.
Stadtführer Christoph beginnt mit einer Begriffserklärung. Lobbyismus kommt vom englischen Wort Lobby, Vorhalle des Parlaments.
„5000 Lobbyisten – so viele gibt es schätzungsweise in Berlin – passen aber nicht in die Lobby des Parlaments.“ Daher siedelten sich Lobbyisten im unmittelbaren Einzugsbereich des Parlaments an. Denn, so Christoph: „Die Nähe und ein vertrauensvolles Verhältnis zu den politischen Entscheidungsträgern ist für Lobbyisten sehr wichtig.“
Mehr Transparenz ins Verhältnis von Politik und LobbyismusWeil diese Nähe zwischen Lobbyisten und Politikern problematisch sein kann, setzt bereits hier die Kritik von LobbyControl an. Die NGO gründete sich 2005 mit dem Ziel, mehr Transparenz in das Verhältnis von Politik und Lobbyismus zu bringen und die Einflussnahme von Interessengruppen auf Politik und Öffentlichkeit durch Gesetze einzuschränken. „Grundsätzlich ist es nicht verwerflich, wenn Interessengruppen die Politik zu beeinflussen versuchen“, sagt Christoph. Immerhin gibt es auch Lobbygruppen, die für Allgemeininteressen eintreten. Nicht allein die Wirtschaft betreibt Lobbying; auch NGOs wie Greenpeace oder Transparency International versuchen, die Gesetzgebung in ihrem Sinne zu beeinflussen. Letztlich agiert selbst LobbyControl eben auch als Lobbygruppe.
Schulmaterial von der Lobbygruppe
„Problematisch ist Lobbyismus vor allem deshalb, weil ein Machtungleichgewicht zwischen den Lobbyisten herrscht. Wer mehr materielle Mittel zur Verfügung hat, hat in der Realität den besseren Zugang zur Politik“, sagt Christoph. Die Gruppe macht jetzt an einem Gebäude Halt, in dem die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM) ihren Sitz hat. Anders als der Name suggeriert, handelt es sich bei diesem Interessenverband um eine von verschiedenen Arbeitgeberverbänden getragene Lobbygruppe, deren Ziel es ist, die Bereitschaft für wirtschaftsliberale Reformen in der Bevölkerung zu erhöhen.
Dazu bedient sich die INSM einer relativ neuen Lobbyismus-Strategie, die sich laut Christoph zunehmender Beliebtheit erfreut: „Anstatt die Gesetzgebung direkt zu beeinflussen, versucht die INSM indirekt auf die politischen Entscheidungsprozesse Einfluss zu nehmen, indem sie die öffentliche Meinung beeinflusst.“ Auf besonders viel Kritik seitens LobbyControl stößt diese Strategie, weil die ISNM kostenlos Lehrmaterialien für Schulen zur Verfügung stellt, die zum Teil auch benutzt werden. Die Werte, die in diesen Materialien zum Ausdruck kommen, entbehren jeglicher Neutralität. Christoph zeigt der Gruppe eine recht plumpe sozialpolitikkritische Karikatur, die es sogar in eine Politik-Abiturprüfung geschafft hat.
Die von INSM gewählte Lobby-Strategie ist subtiler als andere, kann aber höchst wirksam sein: Wer erfolgreich in der Bevölkerung für bestimmte Ansichten wirbt, hat zwangsläufig bald auch politische Entscheidungsträger hinter sich, die von der Bevölkerung gewählt werden wollen.
Politiker umgarnen
Häufiger sind jedoch die klassischen Lobbymethoden – nämlich der direkte Einfluss auf die Gesetzgebung durch einen möglichst engen, wenn nicht freundschaftlichen Kontakt zu den politischen Entscheidungsträgern. Die Gruppe um Christoph macht Station vor dem Sitz der „Deutschen Brauer“, dem Verband der Brauerindustrie in Deutschland. Dem ist es vor einigen Jahren zusammen mit der Deutschen Industrie- und Handelskammer, dem Deutschen Fußballbund und anderen gelungen, ein vor allem an Jugendliche gerichtetes Alkoholpräventionsprogramm der Drogenbeauftragten der Bundesregierung zu verhindern – unter anderem mit dem Argument, „die Sportnation Deutschland“ sei durch das Präventionsprogramm gefährdet. Auffällig sei jedoch, sagt Christoph, dass ausgerechnet Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner, in deren Zuständigkeitsbereich das gekippte Programm fiel, nach dem Erfolg der Brauerlobby mit dem von ihr jährlich vergebenen Preis „Botschafter des Bieres“ geehrt wurde – für ihre Verdienste um den Gerstensaft.
Christoph, der Politikwissenschaft studiert hat und als freier Mitarbeiter bei LobbyControl arbeitet, weiß von vielen weiteren fragwürdigen Lobbystrategien zu berichten, die Interessenverbände in unmittelbarer Nähe zum Parlament anwenden. Ein großer Dorn im Auge ist dem Aktivisten der sogenannte Drehtüreffekt: Der fliegende Wechsel von Abgeordneten von der Politik in die Wirtschaft. Weil gerade dieses Phänomen so verbreitet ist, macht sich LobbyControl für eine dreijährige Karenzzeit nach Ausscheiden aus der Politik stark – ebenso wie für ein verpflichtendes und transparentes Lobbyregister, wie es zum Beispiel in den USA existiert.