Ein Café für tausend Menschen


Das amtliche und gesellschaftliche Leben des Landhauses III. in Brno. Ein Gespräch mit der Historikerin Lenka Kudělková darüber, was das Gebäude Landhaus III. alles beherbergte.
Leere Fenster, heruntergekommene graubraune Fassaden, zwei Gruppen gebeugter Statuen, die das Portal stützen, vor dem sich Stufen L-förmig ausbreiten. Was ist das für ein monumentales, verlassenes Gebäude an der Kreuzung der Kounicova-Straße mit dem Žerotín-Platz in Brno (Brünn)? Eine kurze Internetrechercheergibt: das Landhaus III. Das Landhaus I. beherbergt das Verfassungsgericht. Das Landhaus II. dient als Sitz des Kreisamtes. In unmittelbarer Nachbarschaft liegt das Landhaus III., das im Gegensatz zu den beiden anderen zum Großteil leer steht. Seine einstige Aufgabe als Gemeindezentrum hat es wahrscheinlich für immer verloren.
Auf eine Reise durch die Geschichte und in die Zeit der oft nostalgisch verklärten Ersten Republik begeben wir uns mit der Historikerin des Museums der Stadt Brno, PhDr. Lenka Kudělová. Sie ist Expertin für Architektur der 1920er und 30er Jahre. Ihr Name wurde im Zusammenhang mit der Ausstellung „Die verschwundene Welt der Brünner Kaffeehäuser“ bekannt.
Gab es viele dieser Gebäude, die Wohnungen, Büros und öffentlich zugängliche Räume kombinierten?
Ja. Der Grund dafür war vor allem ein neues Gesetz zur Bautätigkeit aus dem Jahr 1923. Es legte hohe staatliche Subventionen fest für öffentliche Bauten, deren Fläche zu einem Drittel Büros und andere öffentliche Räume und zu zwei Dritteln Wohnungen beherbergte. In Brno war das zum Beispiel das frühere Gebäude der Allgemeinen Versicherung an der Ecke Nerudova / Kounicova. Ein weiteres, typisches Beispiel für ein solches Mehrzweckgebäude der 20er Jahre ist der ältere Teil des Morava-Palastes am Malinovský-Platz, in dem sich ein Café und ein Kino befanden. Einer der Gründe für den Bedarf neuer Wohnungen war der Zuzug von Menschen aus den ländlichen Gebieten, die ein bescheidenes, günstiges Zuhause suchten.
Ein Bestandteil des Gebäudes war das Café? In welcher Hinsicht war es besonders?
Keines der Kaffeehäuser, die in der Zwischenkriegszeit entstanden, hatte so großzügige Räumlichkeiten wie das im Landhaus. Es erstreckte sich über zwei Stockwerke und war für 600 Personen ausgelegt. Von den benachbarten Räumen war das Café durch Glaswände mit Türen getrennt. Wenn man die Türen öffnete, waren alle Räume miteinander verbunden, und es entstand ein riesengroßer Saal, der über 1000 Menschen Platz bieten konnte. Dort hielten Ständegesellschaften der Gaststätten-, Restaurant- und Kaffeehausbetreiber ihre Jahrestagungen ab. Auch das zeugt vom Renommee dieses Etablissements, seinem hochwertigen Service und Angebot. Man nannte es meistens Landhaus, aber auch „Französisches Café“ oder Wintergarten, denn es gab dort viele Pflanzen. Das war damals in Kaffeehäusern nicht üblich.
Gab es damals in den Cafés eine Art Standard-Angebot?
In den 20er und auch noch Anfang der 30er Jahre gab es zwischen Cafés und Restaurants große Unterschiede, je nachdem, welche Lizenzen der jeweilige Betreiber innehatte. Das betraf sowohl die Öffnungszeiten als auch das Angebot. Die Kaffeehaus-Lizenz erlaubte nur den Verkauf von Desserts, Süßgebäck, Schnittchen, als warme Speise waren nur Würste erlaubt. Diese Einschränkungen bestimmten dann auch die Einrichtung. Rund um einen kleinen Tisch mit Marmorplatte ohne Tischdecke, saßen fünf oder sechs Personen. Niemand hätte dort genug Platz für eine Mahlzeit gehabt.
Das Kaffeehaus war aber nicht der einzige Ort im Landhaus, an dem sich gesellschaftliches Leben abspielte…
Der Betreiber Jan Brichta bot seinen Gästen immer neue Attraktionen. Er hat einen orientalischen Salon eingerichtet und ein Varieté, in dem Künstler aus der ganzen Welt auftraten. Er eröffnete auch die Weinstube „Bei den zwei Rittern“, die mit ihren Bildern und scherzhaften Wandaufschriften, mit kostümierten Kellnern und vergitterten Fensterchen den Eindruck einer mittelalterlichen Schänke vermitteln sollte. Eine seiner Innovationen war die Volkskantine, die 1936 eröffnet wurde. Brichta hatte wohl den Plan, ein gesellschaftliches Zentrum zu errichten, das alles enthalten sollte: von Unterhaltung über Essen und Imbissen bis zur Entspannung bei Konzertmusik oder beim Zeitunglesen. Hier wurden Bälle und Tanzabende ausgerichtet, Tanzstunden gehalten. Abgesehen vom Theater, wurde eigentlich alles geboten, was damals zum gesellschaftlichen Leben dazugehörte.
Das Musikprogramm war in Brno konkurrenzlos, wenn man das Gemeindehaus als traditionelles Zentrum des tschechischen Lebens, und das Deutsche Haus als Sitz der deutschen Minderheit, außer Acht lässt. Letzteres stand im Park auf dem Mährischen Platz, ganz in der Nähe des Landhauses III. Dennoch prosperierten beide Einrichtungen. Das lag an den Besuchern, die aus zwei unterschiedlichen Gruppen bestanden. In das Landhaus gingen vor allem junge Leute. Das mache ich vor allem daran fest, dass dort Jazz gespielt wurde. Es war einfach kein Ort für ältere Hofberater Österreich-Ungarns.
Zu den damaligen Kaffeehäusern gehörte auch ein Lebensstil, den die Menschen pflegten, ob sie nun zu den unteren Schichten gehörten oder sich in den höchsten Kreisen bewegten. Jede soziale Gruppe hatte ihre Kneipen und Cafés und Einrichtungen. Es vermischte sich nicht allzu sehr; eine Bedienstete wäre nie auf die Idee gekommen in das gleiche Café zu gehen wie ihre Hausherrin. Das Landhaus war für die gehobene Mittelklasse.
Wie ist es Ihnen gelungen, all diese Details herauszufinden?
Man muss sich nur durch die damalige Berichterstattung beißen, dann findet man einen Haufen an Informationen. Jan Brichta war scheinbar ziemlich geschickt in PR, wie man heute sagen würde. Es ist gut möglich, dass sich auch andere Kaffeehausbetreiber sehr bemühten, aber weil die Zeitungen nichts davon berichteten und Zeitzeugen nicht mehr leben, bleibt das einfach im Dunklen. Worüber man schreibt, davon erfährt man. Und wir können nicht ausschließen, dass es in Zukunft genauso sein wird.

Wieso hat das Café im Landhaus schließlich geschlossen?
Das Gebäude wurde 1940 geschlossen – Jan Brichta, seine Frau und sein Sohn gaben an, bekannten sich zur deutschen Nationalität. Nach dem Krieg wurden sie der Kategorie der Kollaborateure zugeordnet, den Deutschen und Ungarn. Auf Brichta, der sich vom Mieter zum Eigentümer hochgearbeitet hatte, wurde das Beneš-Dekret angewandt und das Landhaus unter staatliche Verwaltung gestellt. Was aus Brichta und seiner Familie wurde, ist nicht bekannt. Unter den letzten Archivalien, die ich studiert habe, war ein Begleitschein zu einem Brief, der an Brichta adressiert war. Die Handschrift des Postboten notierte: „Der Adressat ist Deutscher und nach unbekannt verzogen“. Mit diesem Satz endet Jan Brichtas Lebenslauf in Brno.
Was geschah nach Kriegsende mit dem Gebäude?
Einige Büros des Landhauses II., damals das Kreisamt, zogen ins Gebäude. Schon 1936 zog auch die Universitätsbibliothek hier ein und blieb bis 2001. Jetzt verwahrlost es. Für ein Haus ist es am schlimmsten, wenn es leer steht. Würde es auf irgendeine – natürlich angemessene, behutsame – Art genutzt werden, würde man dort heizen und lüften, verfiele es nicht so schnell.
Haben solche Räumlichkeiten Ihrer Meinung nach noch eine Chance darauf, wiederbenutzt zu werden?
Die Welt hat sich verändert und diese Kaffeehäuser sind verschwunden. Eine andere Zeit brach an, sie brachte Veränderungen mit sich und damit meine ich gar nicht die politischen und wirtschaftlichen Veränderungen, sondern was in den Köpfen der Menschen vorging. Damit verbunden ist ein anderer Lebensstil – wie man sich benimmt, kleidet, die Stimmung der Gesellschaft. Erneuern lässt sich nach den Originalplänen aber nur das Baudenkmal. Es gelang beispielsweise das Café Era im Stadtteil Černá pole zu rekonstruieren oder das Café Kolbaba. Wenn man einen gewissenhaften Investor finden würde, wäre die Erneuerung des Landhauses kein großes Problem. Aber die Seele dieses Ortes wird nicht wiederkehren, der entsteht nämlich vor allem durch die Besucher und die vorherrschende Zeit.