Schnelleinstieg:

Direkt zum Inhalt springen (Alt 1) Direkt zur Hauptnavigation springen (Alt 2)

Jovana Reisinger
Spitzenreiterinnen

Jovanna Reisinger
© Tanja Kernweiß

Irgendwann haben alle ihr Ziel erreicht. Selbst die, die keins hatten. Laura schickt ein Vulkan-Emoji. 
Ein Kritiker der Süddeutschen fasste es eigentlich sehr schön zusammen: Dieses Buch ist die denkbar lustigste Version des sonst zwingend humorlosen Satzes: Sexismus ist ein strukturelles Problem. 

Von Ditte Hermansen


Jovana Reisinger (geb. 1989) arbeitet als (ausgezeichnete) Filmemacherin und Künstlerin in München - folgt ihr auf Instagram, und ihr tretet ein in eine glitzernde Welt voller Gesellschaftssatire auf unterschiedlichsten Plattformen. Sie ist aktuell mit einem polyphonen Roman, herausgegeben von dem unabhängigen Berliner Verlag mit den unverwechselbaren Titelseiten: Verbrecher Verlag. Übrigens ein durch und durch exemplarischer Verlag mit erfreulich vielen Debütant*innen und neuen Autor*innen im Programm.

Ein Potpourri weiblicher Ich-Erzählerinnen hier, dort und überall führt die Leser*innen näher an den Kern des Problems - oder weit weg davon, wie man es nimmt. Was bedeutet es heutzutage, in einem weiblichen Körper zu sein und wer bestimmt das? Jede Behandlung bringt die Frauen schließlich näher an ihr Ideal. Und rückt das Ideal gleichzeitig weiter fort. Eine Win-Win-Strategie für alle. Freut euch auf fünf Tage in der Gesellschaft von neun Schicksalen, leere Herzen, Hoffnungsschimmer, schwelende Wut und Ich-werfe-das-Handtuch-in-den-Ring-Stimmung, alles gepaart mit einer provokanten Blindheit für die eigenen Privilegien.
   

Abtreibung, Austern usw.


Jovanna Reisinger: Spitzenreiterinnen © Ditte Hermansen Reisingers Erzählstimmen fungieren als Archetypen, indem sie unterschiedliche “Probleme” repräsentieren (mit einem scharfen Unterton schlecht versteckter Kritik am Patriarchat), schaut euch bloß den Klappentext an: Emma freut sich. Tina hat Angst. Verena erbt ein Luxusvilla. Oberflächlich haben wir es hier mit den Königinnen der gehobenen Mittelklasse zu tun, doch was ist dann das Problem? 

Immer schön vorwärts. Jawohl! Hauptsache in Bewegung bleiben. Vom Stillstand hat noch niemand profitiert. Von der Natur schon. Der Vorwärtsdrang lebt auch in der Sprache. Es dominieren süßlicher Sarkasmus und hohes Tempo, auch wenn die Geschichten um sich selbst zu kreisen scheinen - wie die Hauptfiguren, die sich um ihre Mittelklasseprobleme und die weitestgehend passiven Männer, mit nichts weiter als ihrem Anfangsbuchstaben benannt, drehen.   

Ich will zum Schluss ein paar meiner Lieblingsfiguren vorstellen: Die verlobte Laura, die sich lieber mit einer falschen Realität vermählt, als den Traum alleine platzen zu sehen. Die verwitwete Barbara, die nicht weiß, ob sie sich mehr über den Spuk ihres verstorbenen Ehemanns aufregen soll, oder darüber, dass er nicht spukt. Die durchgeknallte Lisa, die mitten in aller Spießigkeit eine ordentliche Szene hinlegt und mein Lieblingszitat im Buch liefert: Und wie kann eine besser eine Fehlgeburt vergessen als in einem Spezialitätenrestaurant für Austern?  

Eine gewisse Ähnlichkeit von Spitzenreiterinnen und Esther Beckers Wie die Gorillas ist nicht von der Hand zu weisen, und beide sind sehr leicht zu lesen. Einige von Reisingers Handlungssträngen und Dialogen sind so einfach in ihrer Symbolik, dass ich auf jeden Fall empfehlen würde, den Roman auf Unterrichtsmaterial abzuklopfen. Ganz besonders Lauras und Verenas Kapitel können zu Themen wie Liebe, Freundschaft und Frauenrollen verwendet werden und sind mit ihrer einfachen Darstellung klassischer Frauenbilder, wie sie aus der Popkultur bekannt sind, sehr leicht zugänglich. Gleichzeitig werden Klichées mit herrlichem Humor und der gnadenlos ironischen Darstellung des Traums vom guten Leben aufs Korn genommen.  

 

Top