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Bücherwelt
Books for Future. Kinder- und Jugendbücher für eine bessere Zukunft

Die Klimaschweine, Klima- und Umweltschutz, Mein weit gereister Erdbeer-Joghurt
© Kunstanstifter, © Carlsen, © arsEdition

Während die Corona-Krise und das Pandemiegeschehen die Fridays-for-Future-Bewegung über Monate hinweg ausbremst(e), avanciert der Klima- und Umweltschutz zu einem zentralen Thema auf dem deutschsprachigen Kinder- und Jugendbuchmarkt.

Von Dr. Marlene Zöhrer

Mit beeindruckender Geschwindigkeit reagieren Autor*innen und Verlage damit auf das, was im vergangenen Jahr auf privater, gesellschaftlicher und politischer Ebene bewegte und mitunter auch polarisierte. So kommen nun Buchprojekte auf den Markt, die bislang in Schubladen schlummerten. Wie etwa das Bilderbuch „Die Klimaschweine“ von Till Penzek und Julia Neuhaus. Verpackt in eine farbenfroh illustrierte und humorvoll überzeichnete Geschichte um Pinguine auf der einen und Schweine auf der anderen Seite des Erdballs, werden hier Auswirkungen und Ursachen des Klimawandels aufgezeigt und Lösungsansätze anvisiert. »Alte Gewohnheiten zu verändern, ist sehr unangenehm. Aber jeder Einzelne von euch kann etwas tun! Ihr dürft euch nicht abwimmeln lassen!«, heißt es am Ende des Buches, dessen letzte Doppelseite Pinguine und Schweine, Alt und Jung, gemeinsam auf einer Fridays-for-Future-Demo zeigt.
 
Kinder- und Jugendbücher zum Thema Klima- und Umweltschutz wollen aufklären, zum Umdenken und Handeln bewegen. Während einige Publikationen in ihrer erzieherischen Absicht und ihrem belehrenden Tonfall unschön über das Ziel hinausschießen, gelingt anderen eine differenzierte, sachliche Auseinandersetzung auf Augenhöhe mit der Zielgruppe. So überzeugen etwa die Sachbücher „Klima- und Umweltschutz“ von Anja Reumschüssel und „Mein weit gereister Erdbeer-Joghurt“ von Autorin Annette Maas und Illustratorin Miro Poferl mit ihrer offenen und unaufgeregten Art. Letzteres zeigt anschaulich die Zusammenhänge zwischen Ernährung und Umweltschutz auf und verweist somit auf zwei weitere Themen, die in diesem Jahr auf dem Kinder- und Jugendbuchmarkt zunehmend an Relevanz gewinnen: Tierschutz und Nachhaltigkeit.

Das wahre Leben der Bauernhoftiere, Wo kommt unser Essen her, Sturm, Sein Reich © Klett, © Beltz & Gelberg © Magellan, © KJB So greifen beispielsweise gleich zwei Sachbilderbücher das Thema Nutztierhaltung auf: Lena Zeise stellt in „Das wahre Leben der Bauernhoftiere“ mit fotorealistisch anmutenden Bildern und knappen Erklärtexten konventionelle und ökologische Landwirtschaft weitgehend wertfrei gegenüber, währen Julia Dürr auf ihren wimmeligen Doppelseiten der Frage „Wo kommt unser Essen her?“ nachgeht. Selbstredend kommen auch hier – wenn es neben Brot, Äpfeln und Tomaten um Milch, Fleisch und Eier geht – Haltungs- und Schlachtbedingungen auf den Tisch. Denn Dürr vergleicht die Produktionsprozesse in kleinen Betrieben mit denen industrieller Herstellung. Beide Sachbilderbücher regen durch die Gegenüberstellung zum Nachdenken über das eigene Konsum- und Essverhalten an. Auf diese Weise wird deutlich: Jede*r Einzelne kann etwas fürs Klima, die Umwelt und die Tiere tun.

Wir sind die Wahrheit, Lang lebe König Frosch, Wer tanzt schon gern allein © Dressler, © Peter Hammer Egal, ob humorvoll-heiter oder bedrückend-ernst, ob Bilderbuch, (erzählendes) Sachbuch, Kinderroman oder jugendliterarische Dystopie – realistische und fantastische Geschichten dienen auch 2020 als Projektions- und Reflexionsfläche. Die literarischen, fiktiven oder nach realen Vorbildern gestalteten Held*innen besitzen Vorbildcharakter, wenn es um Fragen der Solidarität und Toleranz, um moralische und politische Werte oder eben den Umgang mit der Natur geht. Gerade das Aufeinanderprallen radikaler, scheinbar unvereinbarer Positionen dient den Autor*innen dabei häufig als erzählerisches Mittel. In Christoph Scheurings Jugendroman „Sturm“ beispielsweise trifft eine militante Tierschützerin auf einen Fischer, der mit dem Fischfang sein Leben bestreitet und ein gänzlich anderes Verhältnis zur Natur, zu Leben und Tod hat.

Papierklavier, Der Katze ist es ganz egal, Wie siehst du denn aus © Beltz & Gelberg, © Klett, © Beltz & Gelberg Auch anhand von Themen wie Diktatur, Fake News, Radikalisierung, Rassismus, Rechtsruck, Populismus und Verschwörungstheorien wird über die Kontrastierung von Weltanschauungen erzählt: Martin Schäublelässt seinen jugendlichen Protagonisten in „Sein Reich“ einen Sommer lang in die Welt der Reichsbürger eintauchen, während in Andreas Götz‘ „Wir sind die Wahrheit“ Leah der Radikalisierung ihres eigenen Bruders nachspürt. In beiden Jugendromanen zeigt sich die verführerische Kraft (rechts)radikalen Gedankenguts, die eine Gefahr für Demokratie und Freiheit darstellt. Martin Baltscheits Kinderroman „Lang lebe König Frosch“ beleuchtet ebenfalls die Macht und die Wirkungsweise von gezielter Desinformation und Manipulation und zeigt mit einem Augenzwinkern, wie wichtig es ist, Narrative zu hinterfragen und nicht alles zu glauben, auch wenn es noch so verlockend oder beängstigend klingt. Zum Nachdenken über den Wert von Freiheit und Demokratie regt auch das von Karin Gruß herausgegebene Familienbuch „Wer tanzt schon gern allein?“ an, dessen Bilder, Gedichte und Geschichten um die Bedeutung von gegenseitigem Respekt, Toleranz und Solidarität kreisen.

Manno, Toni will ans Meer, Selma tauscht Sachen. Hudeleben © Klett © Beltz & Gelberg, © Kibitz Um Toleranz, einen aufgeklärten, vorurteilsfreien Umgang und um (Selbst)Achtung geht es in Texten, die wie Elisabeth Steinkellners Jugendroman „Papierklavier“ (illustriert von Anna Gusella) oder Franz Orghandls Kinderroman „Der Katze ist es ganz egal“ (illustriert von Theresa Strozyk) die sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität offen in den Blick nehmen, ohne zu problematisieren oder in Klischees zu verfallen. Die Botschaft lautet: Du bist perfekt, so wie du bist. Egal, was die anderen denken oder sagen. Auch hier reagiert der Buchmarkt auf aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen und Diskussionen. Ebenso wie mit Sachbüchern, die wie „Wie siehst du denn aus? Warum es normal nicht gibt“ gegen die von Werbung, Sozialen Medien und Gesellschaft vermittelten Schönheitsideale anschreiben, um zu einem positiven Selbst- und Körperbild beizutragen.

Neben all dem bietet der Kinder- und Jugendbuchmarkt selbstverständlich auch in diesem Jahr Raum für Geschichten über Freundschaft, Familie, Liebe, für Spannung und Abenteuer, historische und biografische Erzählungen, Märchen und fantastische Welten. Hervor stechen dabei insbesondere die Kindercomics und Graphic Novels, die in immer größerer Zahl erscheinen, glückliche, traurige, überraschende und spannende Lesestunden garantieren und sich zum Teil explizit an Wenig- oder Erstleser*innen richten und damit neuen Schwung in dieses Marktsegment bringen. Lesenswerte Beispiele aus diesem Jahr sind etwa Anke Kuhls Kindheitserinnerungen, die unter dem Titel „Manno!“ Kinder wie Erwachsene gleichermaßen unterhalten, Philip Waechters Ferienabenteuer „Toni will ans Meer“ oder „Selma tauscht Sachen: Ein Hundeleben“ von Martin Baltscheit und Anne Becker, das zeigt, wie hilfreich Offenheit und ein Perspektivwechsel sind, wenn es darum geht, Gefahren (selbst wenn es sich dabei nur um einen süßen Pudel handelt) zu meistern.

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