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Berlinale Blogger 2018
Über Freiheit, Kontrolle, Touch Me Not und die ägyptische „Film- und Fernsehaufsicht“

freedom & censorship
© Irmena Chichikova

Als ich zur diesjährigen Berlinale aufbrach, war in der Kairoer Kunst- und Kulturszene gerade die so genannte „Film- und Fernsehaufsicht“ das Gesprächsthema schlechthin. Dieses Gremium unter Vorsitz eines angegrauten Regisseurs ist dem Obersten Medienrat (Supreme Council for Media Regulation) unterstellt und hat die Aufgabe, Themen auszuwählen, denen man einen pädagogischen Nährwert für das ägyptische Publikum und deshalb oberste Priorität in den entsprechenden Fernsehserien zugestehen kann. Auf diese Weise sollen phantastische Ziele umgesetzt werden, wie etwa „die Vermittlung von ehrbaren Werten“ und dergleichen mehr.

Von Ahmed Shawky

Als ich dann auf der Berlinale das breit gefächerte Programm und insbesondere die Offenheit des Festivals für gewagte Stoffe erlebte, die echte individuelle Freiheit implizieren und in den meisten Staaten des Nahen Ostens nicht im gesellschaftlichen Diskurs auftauchen, geschweige denn im Repertoire der Künstler, musste ich, wie jeder andere ägyptische Besucher der Berlinale, unweigerlich an dieses Gremium denken.

Freiheit des Körpers und Recht auf Körperlichkeit

Ich spreche hier nicht von politischen oder religiösen Freiheiten, die dynamischen gesellschaftlichen Prozessen und Machtverhältnissen unterworfen sind, was diesen Rahmen um ein vielfaches sprengen würde. Ich spreche von der Freiheit des Körpers und dem Recht auf Körperlichkeit, von der Freiheit des Individuums, mit seinem Körper machen zu können, was es will, und natürlich von der Freiheit des Künstlers, dies auf Kinoleinwand und Fernsehbildschirm zu zeigen.

Auf der Berlinale wurden schon immer Fragen zum menschlichen Körper gestellt, und zwar nicht nur zur Freiheit des Körpers, sondern ganz allgemein zum Körper im kulturellen Kontext: Was ist der Körper? Was bedeutet Verlangen? Wer beherrscht wen – wir unseren Körper oder umgekehrt? Sowohl in der Sektion „Forum“ als auch in der Sektion „Forum Expanded“ geht es immer wieder um dieses Thema und um diese Fragen.

Adina Pintilie © Adina Pintilie Dieses Jahr war nun auch das Rennen um den Goldenen Bären, das die rumänische Regisseurin Adina Pintilie mit ihrem Film Touch me Not für sich entscheiden konnte, vom Thema Körperlichkeit geprägt. Dieser Beitrag ist ein Musterbeispiel für filmische Freiheit, angefangen von der Weigerung, sich formal entweder als Spielfilm oder als Dokumentarfilm einordnen zu lassen, bis hin zur mutigen Herangehensweise der Regisseurin an das Thema Körperlichkeit, die wiederum die Darsteller ermutigt hat, sich intensiv mit dem eigenen Körper und mit dem Verhältnis zum eigenen Körper auseinanderzusetzen.

Zwei Welten

Ich kann wohl ohne Übertreibung behaupten, dass ein Film wie Touch me Not in Ägypten undenkbar wäre. Es geht gar nicht mal um die Produktion, sondern schon allein um die Aufführung eines solchen Films – selbst auf Festivals, die in Bezug auf die staatliche Kontrolle größere Freiheiten genießen. Festivalveranstalter – zu denen ich auch mich selbst zähle – werden schlichtweg keine Lust haben, einen solchen Film den Behörden vorzulegen und sich damit auf einen von vorneherein aussichtslosen Kampf einzulassen.

Das ist der große Unterschied zwischen einer Kultur und der anderen, zwischen einer Welt, in der man es zulässt, dass ein an Muskelatrophie erkrankter Mann Frieden mit seinem deformierten Körper schließt und dabei nicht nur körperliche Nähe für sich entdeckt, sondern sie sogar vor laufender Kamera auslebt, und einer Welt, in der Kussszenen in Filmen gekürzt und Gremien gebildet werden, die vorgeben, welche Themen als film- und fernsehtauglich zu gelten haben. Daran wird sich erst etwas ändern, wenn der Durchschnittsbürger begreift, dass er so lange nicht vollkommen frei ist, wie Künstler daran gehindert werden, frei ihrer Tätigkeit nachzugehen.
 

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