KONZEPT
Un/controlled Gestures ist ein regionales Projekt des Goethe-Instituts, das 8 Nachwuchs-Choreograph*innen aus Nordafrika und dem Nahen Osten dabei begleitet, ihr Verständnis von Autonomie, Selbstbestimmung und Unterwerfung zu hinterfragen. Durch kreativen Tanz erforschen sie die komplexen Prozesse von Macht über Körper, inspiriert von Kafala, einem traditionellen islamischen System der Bürgschaft in welchem eine Person die Verfügungsmacht über einen anderen Menschen erhält. Die Tänzer*innen ergründen internalisierte Bewegungs- und Denkmuster und beleuchten so das tief Verinnerlichte kritisch, um neue Positionen außerhalb gesellschaftlicher, politischer und persönlicher Verfügungsgewalt zu erfinden. Sie untersuchen die Verbindung zwischen Kafala und ihrem Selbst und fragen: Wie sehr fühlen wir uns im täglichen Leben kontrolliert?
Wenn Grenzen Körper gefangen halten und Botschaften Ambitionen willkürlich ablehnen öffnet Tanz versteckte Türen in Richtung Freiheit. Kreatives Bewegen formt Fantasie über Sprachbarrieren hinweg und vermittelt Gefühle jenseits der Zensur unausgesprochener Worte. Tänzer überwinden physische und gesellschaftliche Hindernisse, zumindest in ihrer Imagination. Sie laden die Zuschauer*innen dazu ein sich den Träumen nach Freiheit hinzugeben. Mit un/kontrollierten Gestiken als verkörpertes hinterfragen von Kafala tanzen sie auf Emanzipation zu. Als sie näher kommen stellt sich die Frage: unter welchem Schutz bewegt man sich in der Freiheit? Oder ist Verlust von Sicherheit der Preis für unkontrolliertes Tanzen?
Die Einzigartigkeit des Projektes liegt darüber hinaus in seinem Schwerpunkt auf der Mobilität der Kulturschaffenden innerhalb der NANO-Region. “Un/controlled gestures?” profitiert vom kreativen Austausch in einer Region, in der das Entstehen gemeinsamer künstlerischer Projekte von der Visapolitik und einem Mangel an Austauschprojekten, vor allem für Nachwuchstalente, stark erschwert ist.
Nach einem Seminar mit Theolog*innen, Soziolog*innen und Künstler*innen in Rabat, Marokko, in welchem Themen über Körperkontrolle genauer beleuchtet wurden, waren die Künstler*innen zu einer Residenz in Kairo eingeladen. Mithilfe der Kuratorinnen Nedjma Benchelabi und Anna-Katrin Mülter kreierten sie erste Einblicke in ihre Performances und führten sie als work-in-progress im Goethe-Institut Kairo auf. Im Januar 2020 reisen sie zu einer letzten Residenz nach Tunis, wo sie ihre Arbeit fortsetzen und ein weiteres Mal aufführen werden.