Maschinelle Übersetzung
Mehrsprachigkeit im Licht der Maschinenübersetzung

Grafik zum Thema Sprachen lernen mit mehreren Personen, einem Smartphone und Büchern
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Die maschinelle Übersetzung ist dank neuer Impulse aus der Forschung zur Künstlichen Intelligenz in den letzten Jahren immer leistungsstärker geworden. Wie funktioniert diese Technologie, welchen Nutzen hat sie und was sind ihre möglichen Folgen für das Bildungsideal der Mehrsprachigkeit?

Wer in letzter Zeit einmal ein maschinelles Übersetzungssystem wie beispielsweise den Google Übersetzer bemüht hat, dürfte von der Qualität der Übersetzung angenehm überrascht worden sein. Sorgten in der Vergangenheit oft genug unverständliche Texte oder peinliche Übersetzungsfehler für Belustigung, so schlägt die Software inzwischen Übersetzungen vor, die nicht nur den Inhalt des Ausgangstextes sinngemäß wiedergeben, sondern auch sprachlich zu überzeugen wissen. Was ist da passiert?

Der Siegeszug der neuronalen Netze

Die Antwort finden wir in der Forschung zur künstlichen Intelligenz, die in den letzten Jahren dank des Einsatzes sogenannter künstlicher neuronaler Netze große Fortschritte gemacht hat. Bereits in den 1940er Jahren war man auf die Idee gekommen, den Aufbau des menschlichen Gehirns mit seinen Milliarden vernetzter Nervenzellen (Neuronen) in Form von artifiziellen Netzen in einem Computer nachzubilden. Allerdings sind erst in jüngster Zeit die beiden wichtigsten Voraussetzungen für die Realisierung dieser Idee erfüllt worden: eine ausreichend hohe Rechenleistung sowie die Verfügbarkeit großer Datenmengen (Stichwort Big Data), mit denen neuronale Netze trainiert werden können. Dieser Ansatz, der auch als Deep Learning bezeichnet wird, steht in Opposition zu früheren Ansätzen im Bereich der künstlichen Intelligenz, die die ihnen gestellten Aufgaben auf Grundlage von explizit programmierten Regelsätzen zu bewältigen versuchten. Künstliche neuronale Netze dagegen analysieren große Datensätze auf bestimmte Muster oder Regularitäten und leiten daraus eigene – für den menschlichen Beobachter meist nicht nachvollziehbare – Regeln zur Bewältigung einer bestimmten Aufgabe ab.

Den hier skizzierten Gegensatz findet man auch in der maschinellen Übersetzung. Die sogenannte regelbasierte maschinelle Übersetzung analysiert einen ausgangssprachlichen Satz streng nach vorgegebenen Grammatik- und Lexikonregeln und erzeugt unter Anwendung entsprechender zielsprachlicher Regeln einen Übersetzungsvorschlag. Allerdings sind natürliche Sprachen ungemein komplexe Gebilde, die im Gegensatz etwa zu Programmiersprachen nur eine bedingte Regelhaftigkeit aufweisen und durch zahlreiche Ausnahmen und teilweise auch Widersprüchlichkeiten gekennzeichnet sind. Der Erfolg dieses regelbasierten Ansatzes ist dementsprechend eher bescheiden. Bei der neuronalen maschinellen Übersetzung hingegen wird ein neuronales Netz mit großen Mengen von Ausgangstexten und deren Übersetzungen trainiert und extrahiert aus diesen Daten bestimmte Übersetzungsmuster. Man baut dabei im Prinzip ein künstliches Übersetzergehirn auf, das auf Grundlage der eingespeisten Daten lernt, eigenständig neue Texte zu übersetzen.

Aktueller Leistungsstand der Maschinenübersetzung

Die Erfolge dieses neuen Ansatzes sind bemerkenswert. Die neuronale maschinelle Übersetzung wurde vor gerade einmal vier Jahren aus der Taufe gehoben und hat die vorherigen Ansätze in puncto Qualität in kürzester Zeit weit hinter sich gelassen. Im März 2018 verkündete ein Forschungsteam von Microsoft sogar, dass das neuronale Übersetzungssystem des Unternehmens bei der Übersetzung von Zeitungsartikeln aus dem Chinesischen ins Englische inzwischen „human parity“ erreicht habe, sprich, eine Übersetzungsqualität erzielt, die der Qualität eines menschlichen Übersetzers in nichts nachsteht.

Solche Aussagen sind jedoch mit Vorsicht zu genießen und sollten keinesfalls auf alle Sprachrichtungen und Fachgebiete verallgemeinert werden. Generell gilt: Auch die neuronale maschinelle Übersetzung ist noch mit grundlegenden Herausforderungen konfrontiert. Ein zentrales Problem ist die inhärente Mehrdeutigkeit von natürlichen Sprachen. Menschen interpretieren sprachliche Äußerungen immer im jeweils spezifischen Kontext. So ist aus der Äußerung „I arrived at the bank“ nicht ersichtlich, ob die Sprecherin nun am Ufer eines Flusses oder einem Finanzinstitut angekommen ist. Der Hörer muss den Ausdruck interpretieren. Die maschinelle Übersetzung hingegen ist blind gegenüber dem Kontext und damit prinzipiell anfällig für Fehlübersetzungen. Der Traum vom Universalübersetzer, mit dem die babylonische Sprachverwirrung überwunden werden könnte, ist also nach wie vor nicht Wirklichkeit geworden.

Gesellschaftlicher Nutzen der Maschinenübersetzung

Mag die maschinelle Übersetzung auch weiterhin mit verschiedenen Problemen zu kämpfen haben, so ist sie doch ein nützliches Werkzeug zur Informativübersetzung. Über internetfähige Smartphones und andere Mobilgeräte haben die Nutzerinnen und Nutzer inzwischen jederzeit Zugriff auf cloudbasierte Übersetzungsdienste wie den Google Übersetzer und können diese zum rudimentären Verständnis fremdsprachiger Texte einsetzen. Eine interessante Neuentwicklung sind sogenannte In-Ear-Übersetzer wie die Pixel Buds von Google. Diese kabellosen Kopfhörer wandeln per Spracherkennung eine fremdsprachige Äußerung in maschinenlesbaren Text um und lassen diesen dann vom Google Übersetzer in die gewünschte Sprache übertragen und anschließend per Sprachausgabe wiedergeben. Damit wird die maschinelle Übersetzung für die mündliche Kommunikation nutzbar gemacht. Allerdings nimmt hier die Fehleranfälligkeit durch den dreifachen Flaschenhals aus Spracherkennung, Übersetzung und Sprachausgabe sowie durch die starke Situationsgebundenheit von Alltagskommunikation und die tendenziell geringere Strukturiertheit von gesprochener Sprache erheblich zu.

Darüber hinaus gibt es institutionelle Bestrebungen, die maschinelle Übersetzung zum Wohle der Gesellschaft nutzbar zu machen. So plant beispielsweise das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz die Beantragung eines EU-geförderten Human Language Project, das unter anderem zum Ziel hat, durch die Weiterentwicklung von Sprachtechnologien die Teilhabe von Menschen mit geringem Bildungsniveau, älteren Menschen und Menschen mit Migrationshintergrund an einem mehrsprachigen Europa zu verbessern. Außerdem untersuchen Forscherinnen und Forscher im EU-Projekt INTERACT (International Network on Crisis Translation) derzeit die Nützlichkeit der maschinellen Übersetzung in Katastrophenszenarien, in denen eine möglichst schnelle Kommunikation über Sprachbarrieren hinweg von entscheidender Bedeutung ist.
Menschen im Gespräch Nuancierte Kommunikation über Sprachgrenzen hinweg kann eine Maschine nicht leisten. | Foto: stm © photocase.de

Vom Nutzen der Mehrsprachigkeit

Die bisherigen Schilderungen könnten den Schluss nahelegen, der Fremdsprachenerwerb werde in Zukunft zu einem Luxusvergnügen, das sich nur noch besonders Sprachbegeisterte leisten. Doch dieser Eindruck täuscht. Die Qualitätsprobleme, mit denen die maschinelle Übersetzung weiterhin konfrontiert ist, wurden bereits angesprochen. Eine nuancierte Kommunikation zwischen Sprechern verschiedener Sprachen – die ja nicht nur eine sprachliche, sondern auch eine kulturelle Austauschhandlung ist – wird voraussichtlich nie von einer Maschine übernommen werden können.

Die Vorteile der Mehrsprachigkeit liegen gerade angesichts der verführerischen maschinellen Alternative auf der Hand. Wer auf den Erwerb einer Fremdsprache, und sei es nur auf grundlegendem Niveau, verzichtet und sich fremden Kulturen nur vermittelt durch eine Maschine nähert, versagt sich nicht nur eine direkte und ungefilterte Kommunikation mit anderen Menschen, sondern sperrt sich auch in das Gefängnis seiner eigenen Sprache ein. Denn schließlich lernt man mit einer neuen Sprache auch eine neue Sicht auf die Welt kennen, eine andere Art, die Realität in Worte zu fassen. Eine solche interkulturelle Empathie ist gerade in der globalisierten Welt von heute mit ihren zahlreichen Möglichkeiten des Missverstehens und den daraus resultierenden Konflikten unverzichtbar.
 

literatur

Krüger, Ralph (2017): Von Netzen und Vektoren – Neuronale Maschinelle Übersetzung. In: MDÜ – Fachzeitschrift für Dolmetscher und Übersetzer, 63. Jg., H. 1.