Die Weisse Villa
„Die Arbeit an der Ausstellung war tatsächlich schwierig, da für eine Kunstausstellung wie diese am Ende nicht nur künstlerische Aspekte beachtet werden mussten, sondern das Thema auch historische Sensibilität verlangte. Ich habe mir das Konzept angeschaut und versucht, mich auf eine Reihe von Kriterien festzulegen um geeignete Fotos auszuwählen“, erklärte Houda Youssef, Kuratorin der Ausstellung „Wir blicken auf eine Vergangenheit, die unsere Gegenwart begleitet. Was bringt die Zukunft?“ Diese beleuchtet die Geschichte der „Weißen Villa“, in der sich 25 Jahre lang die Sprachabteilung des Goethe-Instituts befand. Hier wurde nicht nur gelernt und gearbeitet, sondern auch gelacht, geweint und vor allem gelebt.
Ein Gebäude und seine bewegte Vergangenheit Die Geschichte der Weißen Villa in der Hussein-Wassef-Straße 13 reicht in die Zeit vor Einzug der Sprachabteilung des Goethe-Instituts zurück. Es war der Staatsanwalt Mahmoud al-Margoushy Pasha, seinerzeit ein angesehener Mann, der die Villa in den Jahren 1930/31 errichten ließ. In der Folgezeit war die Villa nicht nur Wohnsitz seiner Familie, sie beherbergte auch die Arbeitsräume des Staatsanwalts, der sich hier mit seinen Beratern traf. Nach dem Tod al-Margoushy Pashas im Jahr 1940 wohnte nur noch seine Tochter Samia in der Villa, doch blieben Haus und Garten, wie sich die Enkelin Pashas, Zaynab Hamza, erinnert, auch weiterhin wichtiger Treffpunkt für die Familie.
Im Jahr 1956 vermietete Samia al-Margoushy die Villa an den damals gerade erst unabhängig gewordenen Staat Tunesien als Botschaftsgebäude. Im Jahr 1968, und aus Angst vor der Verstaatlichung, wurde die Villa an die Deutsche Demokratische Republik verkauft, die dort wiederum ihre Botschaft eröffnete. Infolge der Wiedervereinigung Deutschlands im Jahr 1990 ging die Villa und ihr Garten in der Hussein-Wassef-Straße 17 in den Besitz Gesamtdeutschlands über, das sie dem Goethe-Institut zur Verfügung stellte. Ab dieser Zeit, und für 25 Jahre, saß dort die Sprachabteilung des Instituts. Seit 2013 wird auf dem Gartengrundstück der Villa jedoch ein neues Gebäude errichtet, wobei ein Drittel der Originalfläche des Gartens beibehalten und die Struktur des Originalgebäudes berücksichtigt wird. Hier sollen Kultur- und Sprachabteilung des Goethe-Instituts, sowie die Bibliothek, einziehen. Ein neuer Veranstaltungssaal, voll ausgerüstet mit Kontrollraum, Dolmetscherkabinen sowie Licht- und Tontechnikräumen, wird hier ebenfalls zur Verfügung stehen.
Ausstellung: „Die weiße Villa“
| Foto: Goethe-Institut Kairo/Sandra Wolf
Erinnerung und Nostalgie
Die Bewahrung der Erinnerungen an die Villa stellte für Houda Youssef eine wichtige Motivation bei ihrer Arbeit an der Ausstellung dar. Damit hatte sie sich ein Ziel gesetzt, das nicht so leicht zu erfüllen war angesichts des ständigen Kommen und Gehens der Mitarbeiter, wie sie berichtet: „In der Sprachabteilung des Goethe-Instituts gibt es zwei Gruppen von Mitarbeitern: die Deutschen, die nur für einige Zeit da sind und wieder gehen, und die Ägypter, die hier dauerhaft arbeiten. Diese Realität ständiger Veränderung weckte in mir die Sorge, dass das Institut womöglich gar keine Erinnerungen bewahrt hat. Also wollte ich eine Veranstaltung schaffen, die den Leuten hilft, sich an den Ort zu erinnern.“Bei Suzan Radwan, Referentin für Bildungskooperation Deutsch am Goethe-Institut Kairo, hinterließen die Erinnerungen, die Houda Youssef in der Ausstellung heraufbeschwor, den stärksten Eindruck. Sie hatte erwartet, in der Ausstellung neuere Bilder von sich vorzufinden. Sie war überrascht plötzlich vor Bildern zu stehen, die mehr als ein Jahrzehnt zurückgingen und sie an ihren Weg mit dem Institut erinnerten, der im Jahr 1990, einen Monat nach ihrem Universitätsabschluss, begonnen hatte: „Als ich die Ausstellung sah, war ich gleichzeitig überrschaft, beeindruckt und wehmütig beim Gedanken an diese Zeit. Ich blicke auf Fotos, die vor 15 oder 20 Jahren aufgenommen wurden, und es überkommt mich ein Gefühl, das ich nicht beschreiben kann, das aber schön ist. Unglaublich, wie du noch einmal Erinnerungen hören kannst, die vor deinem inneren Auge ablaufen, Situationen, die du erlebt hast, Personen, mit denen du dein Leben verbracht hast. Ich hatte erwartet, neuere Fotos von mir zu sehen, und auch die gibt es, aber ich hatte nicht erwartet von mir alte Bilder zu sehen. Ich schaue mir ein altes Foto von damals aus dem Unterricht an, sehe darauf die Personen, die dort waren, und fühle mich, als würden der Moment und meine damaligen Gefühle noch einmal zu mir zurückkehren. Es hat mich erstaunt, dass diese Gefühle sich bis heute nicht verändert haben und nicht verschwunden sind. Es war ein wunderbares Gefühl, das alles noch einmal vor mir auf einem Foto zu sehen.“
Suzan Radwan vor ihrem Foto in der Ausstellung | Foto: Goethe-Institut Kairo/Sandra Wolf Für Mona Fathi, Bankangestellte und seit 1998 Schülerin des Goethe-Instituts, waren die Freude und Melancholie, die die Fotos und Erinnerungen in ihr hervorriefen, überwältigend. Fathi erzählte: „Dieser Ort ist wie unser zweites Zuhause. Ich freue mich über die Ausstellung, weil sie uns die Möglichkeit gibt, den Ort zu besuchen und Dinge über ihn zu erfahren, die wir vorher nicht wussten. Dieser Ort war nicht nur zum Lernen da. Ich persönlich habe hier neben dem Unterricht auch Film- und Theaterveranstaltungen und Feiern besucht. Wir waren jeden Tag hier. Ich bin traurig, denn mit jedem Winkel an diesem Ort, der nun umziehen wird, verbindet mich etwas. Ich will noch einmal kommen, die Ausstellung anschauen und von jedem dieser Winkel ein Foto machen, sogar von der Treppe, auf der wir immer saßen.“
Der Blick nach vorn
Die Funktion der Ausstellung über den Ort und seine Geschichte zu informieren, die Fathi ansprach, war Houda Youssef wichtig, weshalb sie fünf Monate lang entsprechend Recherche betrieb: „Der historische Hintergrund beeindruckt mich als Person und beeinflusst auch meine Arbeit im Allgemeinen. Ich entschied, dass das Gebäude genauso seine Präsenz in der Ausstellung haben musste, um über seine eigene Geschichte zu sprechen. Also begann ich zu recherchieren, bis ich die Tochter al-Margoushy Pashas, des Erbauers der Villa, traf. Ich musste feststellen, dass die Familie das gleiche Problem hatte: ‚Die Leute haben ihre Photos verloren‘. Das stellte für mich eine Schwierigkeit dar, besonders wenn man noch dazu die Art sieht, wie Ägypten mit seiner Geschichte umgeht, die es einem nicht leicht macht an ein Archiv, Daten oder alte Landkarten heranzukommen.“ Youssefs Recherche machte nicht bei den Mauern des Gebäudes halt, sondern beschäftigte sich auch mit den Personen, die hier ein und ausgingen: „Im letzten Monat habe ich Tag und Nacht an der Ausstellung gearbeitet. Ich war damit beschäftigt, die finale Auswahl der Fotos für die jeweiligen Rahmen zu treffen und dabei auch ja keins zu vergessen. Außerdem habe ich versucht, mehr Details über die alten Fotos herauszufinden. Es gibt zum Beispiel alte Bilder ohne Informationen zu den Personen, die darauf zu sehen sind. Ich begann meine Kollegen vor Ort zu fragen und schrieb auch nach Deutschland um zu erfahren, wer damals Botschafter war.“Trotz aller Wehmut und Melancholie, die die Ausstellung in der Weißen Villa in vielen weckte, war der Blick auch in die Zukunft gerichtet. „Meine Liebe für den Ort ist verbunden mit meiner Liebe für die Menschen, die hier arbeiten“, sagte Suzan Radwan, „und diese Personen werden mit mir in das neue Gebäude umziehen. Gleichzeitig wird dieser Ort in unseren Köpfen bestehen bleiben, denn niemand kann uns unsere Erinnerungen nehmen.“ Auch Houda Youssef empfand dies ähnlich: „Obwohl ich traurig darüber bin dieses Gebäude, das mir sehr am Herzen liegt, zu verlassen, bin ich genauso enthusiastisch bei dem Gedanken, in das neue Gebäude zu ziehen. Dort sind die Gegebenheiten für die Arbeit sehr gut und ich freue mich darauf, dass Kultur- und Sprachabteilung und Bibliothek an einem Ort sein werden. Die Ausstellung hat mir dabei geholfen, mich von diesem Ort zu verabschieden.“