Museumskooperation
Das koloniale Erbe umdenken
Die Rückgabe von Artefakten und Kulturgütern aus der Kolonialzeit an die Herkunftsländer in Afrika wird seit Langem in verschiedenen Foren diskutiert. Dennoch entsteht immer mehr der Eindruck, dass die Debatten zu keinen konkreten Ergebnissen führen. Sind überhaupt erkennbare Fortschritte erzielt worden? Was muss noch getan werden, um dieses Thema für alle Beteiligten zufriedenstellend abzuschließen?
Von Thomas Laely
Mittlerweile ist es ziemlich genau zwei Jahre her, dass die Frage breiter diskutiert wird, was mit den ethnographischen Artefakten, aber auch naturwissenschaftlichen Objekten geschehen soll, die in Museen in Europa eingelagert und im selteneren Fall auch gezeigt werden. Als erster Antreiber wenn nicht Auslöser führte der so genannte „Ougadougou-Diskurs“ des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron von Ende November 2017 an der Universität der Hauptstadt Burkina Fasos zu breiter Publizität zum Thema, wobei diese vor allem innerhalb der einschlägigen Kreise von Museumsleuten, Museolog*innen sowie Personen aus Kunsthandel und Kulturpolitik für Aufsehen sorgte. Ein knappes Jahr später erschien der von Macron in Auftrag gegebene Bericht zum Thema, verfasst vom senegalesischen Ökonomen und Schriftsteller Felwine Sarr und der französisch-deutschen Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy unter dem Titel Rapport sur la restitution du patrimoine culturel africain. Vers une nouvelle éthique relationelle (Bericht über die Rückgabe des afrikanischen Kulturerbes. Auf dem Weg zu einer neuen Beziehungsethik, gleichzeitig in Englisch erschienen als The Restitution of African Cultural Heritage. Toward a New Relational Ethics).
Auswirkungen des Savoy-Sarr-Berichts
Wohin hat dies in den vergangenen zwei Jahren geführt? Die mit zunehmender Virulenz geführte Debatte hat das Feld um die ethnologischen Museen recht umgepflügt – wobei nicht wenige dieser Museen sich bereits seit den 1990er-Jahren um eine Erneuerung und im Zeichen der „Neuen Museologie“ stärkere Öffnung bemühen und nach Partnerschaften mit Gemeinschaften und Experten*innen aus Ländern suchen, aus denen die Sammlungen herkommen.Das Thema der postkolonialen Gesellschaft und die Forderung nach Dekolonisation unterschiedlichster Lebensbereiche wurde seither in neuer Breite angegangen und die Frage der Funktion, ja der Existenzberechtigung von Museen mit ethnologischen Sammlungen, ihrer Tätigkeiten und Ausrichtung ganz allgemein aufgeworfen. Um ein Beispiel der Umwälzungen und des neuen Selbstverständnisses zu geben: Während die deutschsprachigen ethnologischen Museen noch vor fünf Jahren sehr kontrovers darüber diskutierten, wieweit sie ihre Sammlungen öffnen und auch online zugänglich machen sollten, ist ein solcher verallgemeinerter Zugang heute breit geteilter Konsens. Allerdings gibt es in der Frage, wie schnell und unter welchen Vorbedingungen dies geschehen soll, unterschiedliche Auffassungen. Sind zuerst Fehler und Lücken in den Datenbanken zu beheben, zum Beispiel durch Provenienzforschung, oder lässt sich dies nicht vielmehr gerade durch ihre Öffnung erreichen?
Mehr als nur Restitution
Vieles bleibt noch zu tun. Gewiss ist, dass die Regelung des Umgangs mit den Sammlungen und die beste Form der ‚Dekolonisation‘ die ethnologischen Museen noch jahrzehntelang beschäftigen wird. Und dies trotz und unabhängig von der Tatsache, dass Rückgabeforderungen seitens der Herkunftsländer der Objekte bisher nur sehr vereinzelt gestellt wurden und werden, wie die Museen berichten. Es wurde schon vielfach darauf hingewiesen, dass es auch nicht einfach um die Frage von Rückgabe und den Ort der Verwahrung der betreffenden Objekte geht. Nicht zuletzt geht es vielmehr um die Anerkennung davon, dass die Herkunftsländer, -staaten und -gemeinschaften mit starker, ja entscheidender Stimme mitzureden haben, was mit den Objekten geschehen soll und wo sie in welcher Form weiter aufzubewahren sind. Bei diesen Fragen der Anerkennung, der Eigentums-, Besitz- und Verfügungsrechte kann es auch nicht genügen, von mehrfacher Miteigentümerschaft zu sprechen, von erleichterter Zirkulation der Objekte oder von ‚geteiltem Kulturerbe‘. Teilhaben und gemeinsam Verantwortung übernehmen statt aufteilen, tönt als Devise gut und ist der richtige Ansatz.Allein solange die Lage der beiden Seiten aufgrund von Ausstattung, Ressourcen und Zugriffsmöglichkeiten auf die Sammlungen derart ungleich sind wie heute, kann dies nicht genügen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten und Vorschläge, dies zu ändern – nur eine davon ist, dass nach einer Rückübertragung der Eigentumsrechte an die Herkunftsländer die von europäischen Museen zu entrichtenden Leihgebühren zur Stärkung der Strukturen und Kapazitäten in den Urheberländern beitragen sollen. Zu verhindern ist dabei ein rein bilaterales Vorgehen, nicht alle müssen repetitiv Lösungen für dieselben Fragen finden. Wünschenswert ist vielmehr ein sowohl unter afrikanischen als auch europäischen Akteuren breit abgestimmtes Vorgehen. Dies würde zum einen den Einbezug einschlägiger multilateraler Organisationen auf afrikanischer Seite bedeuten – insbesondere der 2019 neu belebte International Council of African Museums, AFRICOM, aber auch die Ecole du Patrimoine Africain (EPA) in Porto Novo, Benin, und das Centre for Heritage Development (CHDA) in Mombasa, Kenya –, zum anderen die Definition allgemeiner Leitlinien und Grundsätze entsprechend der Washingtoner Prinzipien zum Umgang mit NS-Raubkunst von 1998.
Gewiss ist, dass die Regelung des Umgangs mit den Sammlungen und die beste Form der ‚Dekolonisation‘ die ethnologischen Museen noch jahrzehntelang beschäftigen wird.
Abschied zu nehmen ist von der vereinfachten Vorstellung von Restitution als reiner Verschiebung eines Objektes aus einer säuberlich bezeichneten Museumsschublade an den Ort, von dem es ‚ursprünglich‘ herkam. Dass es oftmals keine eindeutigen Zuweisungen von Objekten und Orten gibt, bedeutet nicht nur, dass Rückgaben in der Regel einen mehrsträngigen Prozess umfassen. Es eröffnet auch ein weites Feld von möglichen Lösungen, die durch Aushandlung und Dialog gefunden werden können.
„Dekolonisation“ mit Zweck
Um kein leeres Schlagwort zu bleiben, muss das Gebot der „Dekolonisation“ mit Inhalt gefüllt werden. Herzstück des Dekolonisierungsprozesses ist die Öffnung gegenüber externen Partnern und die Zusammenarbeit mit ihnen. Neben jeglicher Diskussion über materielle Rückführungen braucht es die Bereitschaft, gegenseitige Verpflichtungen auf partnerschaftlicher Grundlage einzugehen. In der Pflicht sind hier zuerst die europäischen Museen, die – auch mittels deutlicher symbolischer Akte – ihre Bereitschaft signalisieren sollten, etwas ändern zu wollen und zur Dekolonisation beizutragen. Sie werden dabei seitens Afrikas auf Museen treffen, die ihr Arbeitskonzept und ihre Ausrichtung in den letzten Jahren grundlegend verändert haben: In zahlreichen Fällen sind diese weit entfernt vom noch verbreiteten Bild kolonial begründeter und inzwischen überkommener Einrichtungen.Die – in diesem Fall afrikanischen – Staaten sind in diesen Aufgaben keineswegs aus der Verantwortung entlassen. Sie müssen einen entscheidenden Beitrag zur Kulturinfrastruktur leisten. Diese Forderung wird gerade von afrikanischen Anspruchsgruppen immer wieder erhoben. Überhaupt wird afrikanischen Stimmen und Sichtweisen ein erheblich größerer Raum zu geben sein, um zu verhindern, dass die Restitutionsfrage zu einer einseitig europäischen Debatte wird. Dabei wird man feststellen, dass Rückgabeforderungen keineswegs das Wort der Stunde sind. Verantwortliche afrikanischer Staaten und Museen stehen solchen Bestrebungen in vielen Fällen sehr zurückhaltend gegenüber, da damit oftmals auch heikle gesellschaftsinterne Konflikte aufgeworfen werden. In Ghana oder Uganda zum Beispiel drohen Rückforderungen untergeordneter politischer Einheiten und Königtümer ans jeweilige Nationalmuseum.