DAS KUNSTWERK
Wenn man den riesigen Buchstaben aus Eisen am Zugang zur Barceloneta zum ersten Mal sieht, wird ihre Bedeutung nicht sofort klar. Erst wenn man weitere Buchstaben sucht und sie zusammensetzt, merkt man, dass es sich hier nicht um einzelne Buchstaben handelt, sondern um Wörter, die großflächig über das Gelände verteilt sind.
Es sind die Namen der acht katalanischen Winde, die Lothar Baumgarten hier zu einer außergewöhnlichen Windrose arrangiert hat. Sie sind auf einem Areal von 400m2 verteilt, und zwar so, wie sie wehen. Besonders deutlich sieht man das auf dem Platz Pau Vila, insofern der Motorradparkplatz, der auf dem Kunstwerk angelegt wurde, nicht voll besetzt ist:
Genauso wie der Kopf des Wetterhahns folgt die Anordnung der Buchstaben der Himmelsrichtung, aus der der Wind kommt. Deshalb sind die Namen der zwei Winde auf dem Platz in entgegengesetzter Richtung installiert: TRAMUNTANA aus dem Norden kommend und MIGJORN aus dem Süden kommend, angeordnet quasi über Kopf, wie eine Spielkarte. Die Illusion der Windrichtung wird durch einen optischen Trick noch verstärkt: Die ca. 1,50m großen Buchstaben sind auf der einen Seite etwas kleiner als auf der anderen.
Wer weiter sucht, findet auch die anderen Winde, die uns in Katalonien eine frische oder eine warme Brise bringen: Gregal, Levant, Xaloc, Garbí, Ponent und Mistral.
Die riesigen Buchstaben aus Eisen hat Lothar Baumgarten 1992 im Rahmen der Kulturolympiade in den katalanischen Boden eingefügt. Damit hat Barcelona wahrscheinlich die größte Windrose der Welt, die man sogar auf einem Satellitenbild erkennen kann.
DEr KÜnstler
Lothar Baumgarten wurde 1944 in Rheinsberg in Brandenburg geboren. Er studierte an der Staatlichen Akademie für bildende Künste in Karlsruhe und an der Kunstakademie Düsseldorf, wo Joseph Beuys eine Zeit lang sein Lehrer war. Er selbst lehrte von 1994 bis 2006 an der Universität der Künste in Berlin. Er lebte und arbeitete bis zu seinem Tod 2018 in Berlin und in New York.
Seine erste Einzelausstellung hatte er 1972 in Düsseldorf in der Galerie Konrad Fischer.
Er war seit 1972 mehrfach auf der Documenta vertreten und seine Werke waren oder sind im Guggenheim Museum New York, in der Tate Modern in London und der Fondation Cartier in Paris zu sehen.
1984 wurde er mit dem Goldenen Löwen von Venedig ausgezeichnet. 2003 bekam er den Kunst-am-Bau-Preis für sein künstlerisches Gesamtkonzept im Innenhof des Bundespräsidialamtes.
DER ANTHROPOLoge
Lothar Baumgarten gilt als Pionier für die Einführung der Anthropologie in die Kunst und mit seinem Blick auf die Kunst anderer Kontinente war er seiner Zeit voraus: Schon 1968 thematisierte er mit seiner Installation „Unsetteld Objetcts“ die mögliche Rückwanderung kolonialer Raubkunst. 2006 widmete sich seine Ausstellung „Imago Mundi“ der Geschichte der europäischen Kolonialmächte.
Ende der 70er Jahre lebte er eineinhalb Jahre bei zwei Stämmen der Yanomami im Amazonasgebiet. Die dort entstandenen Zeichnungen, Fotos, Bilder und Videos stellte er 2011/2012 in der Ausstellung Lothar Baumgarten Abend der Zeit – Señores Naturales Yanomami im Museum Folkwang in Essen aus.
Übrigens
Im Glasplast des Retiro in Madrid gestaltete er 2016 die Klanginstallation “The ship is going under, the ice is breaking through – El barco se hunde, el hielo se resquebraja.”
Dafür verwendete er die Aufnahmen der krachenden Eisschmelze am Hudson-River im Bundesstaat New York. Mit der Klanginstallation im zerbrechlichen Glaspalast stellte er eine Analogie zwischen dem beängstigenden Krachen des Eises, dem Crash der Finanzmärkte, dem ewigen Streben nach Wachstum und den dramatischen Auswirkungen des Klimawandels her.
Quellen und mehr Information:
Blog von Claudi Mans –
über die Windrose
Kurschel Kinderzeitung -
über den: Wetterhahn
Klangausstellung im Retiro
© Text: Annette Gutmann