Märchenhafte Wesen in Barcelona
Wer kennt sie nicht, die Figuren aus den Grimm’schen Märchen? Hänsel und Gretel und die böse Hexe, das arme Aschenputtel und ihre gemeinen Stiefschwestern, Frau Holle oder die Prinzessin und der verzauberte Frosch….
Zwei Figuren haben den Weg aus der Märchenwelt nach Barcelona geschafft und sind inzwischen so sehr Teil des Stadtbildes geworden, dass weder Schneewittchen mit dem Rehkitz noch das Rotkäppchen weiter auffallen.
Rotkäppchen und der böse Wolf
Das Rotkäppchen finden wir im freundlichen Einvernehmen mit dem Wolf in einer Statue auf dem Passeig Sant Juan. Der katalanische Bildhauer Josep Tenas hat die Figur in Zusammenarbeit mit dem Bronzegießer Gabriel Bechini 1921 geschaffen. Dem Grimm’schen Märchen wird die hier dargestellte freundliche Koexistenz zwischen Mensch und Tier allerdings nicht gerecht. Wie wir alle wissen, landet Rotkäppchen zusammen mit seiner Großmutter in dem Bauch des Wolfes. Aber der Jäger kann sie gerade noch retten und der Wolf wird für seine Gefräßigkeit grausam bestraft.
Über Jahrhunderte vielleicht sogar Jahrtausende hinweg wurden diese Geschichten mündlich weitergegeben, bis die Gebrüder Grimm auf die Idee kamen, sie zu sammeln und schriftlich festzuhalten.
Die Gebrüder Grimm
Jacob Grimm wurde 1785, sein Bruder Wilhelm ein Jahr später im hessischen Hanau geboren und stammen aus einer protestantischen Beamten-und Pfarrersfamilie.
Es waren bewegte Zeiten: Napoleon hielt seinen Siegeszug durch ganz Europa und bewirkte das Ende des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nationen. Eine neue politische Weltordnung trat in Kraft, aber viele ehemalige Bewunderer Napoleons wandten sich angesichts seiner kriegerischen Außenpolitik und anmaßenden Selbstkrönung zum Kaiser enttäuscht von ihm ab. So auch die deutschen Romantiker, zu deren Kreis neben den Grimm-Brüdern auch Bettina von Arnim und Clemens von Brentano gehörten. Man suchte nach einer deutschen Identität, die man den französischen Machthabern entgegenstellen konnte und fand sie in der deutschen Sprache und Mythologie.
Es war einmal…
Die deutsche Grammatik, ihr Wortschatz und ihre Märchen wurden von den Grimm-Brüdern genau erforscht. Sie sammelten alle Märchen und Geschichten, die sie finden konnten, schrieben sie auf und veröffentlichten sie erstmals 20.12.1812 unter dem Namen „Kinder und Hausmärchen“. Eine fruchtbare Quelle fanden sie in der Schneidersfrau Dorothea Viehmann, die den Brüdern unzählige Märchen erzählte. Ihre Vorfahren waren französische Hugenotten, deshalb gab es in der Sammlung auch viele französische Märchenvarianten. Heute aber wissen wir, dass einige Märchen wie z.B. Rumpelstilzchen oder Die Schöne und das Biest über 6000 Jahre alt sind und ursprünglich in einer Sprache erzählt wurden, aus der Deutsch, Englisch, Französisch etc. erst hervorgegangen sind.
Zunächst aber waren die veröffentlichten Märchen ein reines Forschungsprojekt und zum Vorlesen für Kinder kaum geeignet. Die Brüder machten sie dem größeren Publikum erst zugänglich, nachdem sie moralisch zweideutige Passagen weggelassen und viele Illustrationen hinzufügt hatten. Außerdem begannen die Märchen jetzt mit dem typischen: Es war einmal … und endeten mit dem Schlusssatz: Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute beendeten.
Ab 1830 wuchs die Leserschaft stetig an. Heute ist das zweibändige Grimm‘sche Märchenbuch in mehr als 160 Sprachen übersetzt und neben der Bibel und dem Koran das meistgelesene Buch auf der Welt.
Bruderliebe
Ihr ganzes Leben lang verbrachten die Brüder zusammen und trennten sich nur ungern voneinander. Als Jacob Grimm zu einem Quellenstudium nach Paris gerufen wurde, hielt er es dort nur kurze Zeit ohne seinen Bruder aus. Seither beschlossen sie, sich niemals wieder zu trennen.
Ihre Schwester Lotte führte den beiden den Haushalt, bis sie heiratete. Daraufhin nahm Wilhelm kurz entschlossen seine Nachbarin Dorothea Wild zur Frau und alle drei lebten glücklich zusammen bis an ihr Lebensende!
Die Göttinger Sieben
Jacob und Wilhelm Grimm gehörten zu den „Göttinger Sieben“. Das war eine Gruppe von sieben Professoren, die gegen die Aufhebung der vier Jahre zuvor eingeführten liberalen Verfassung im Königreich Hannover protestierten. Die Brüder wurden deshalb vom König Ernst August I 1837 des Landes verwiesen und durften ihren Beruf als Professoren nicht mehr ausüben. Die Solidarität in der Bevölkerung war sehr groß, man sammelte Geld für Jacob und Wilhelm, um ihnen ihr Gehalt zu bezahlen. Drei Jahre später wurden sie vom preußischen König Friedrich Wilhelm IV empfangen und rehabilitiert. Der Ruf der Göttinger Universität hatte durch die Entlassung der sieben hervorragenden Professoren auf lange Zeit großen Schaden angenommen.
Übrigens
Auf diesem Graffiti in Gràcia frisst der böse Wolf mal ausnahmsweise nicht die Oma, sondern den Opa…
Quelle:
Planet Wissen
© Text: Ulrike Fiedler