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Band des Monats
Helena Hauff

La Djane Helena Hauff est en train de mixer
© Nuits Sonores

Nach über zwei Jahren findet dieses Jahr 2022 endlich wieder das Techno- und Elektrofestival „Nuits sonores“ in Lyon in gewöhnter Größe und Länge statt: Es werden für die vier Tage teilweise über 140.000 Teilnehmer*innen erwartet. Eine der Headliner*innen: Die Berliner DJane Helena Hauff, deren Musik in dem Ankündigungstext mit „auf der Suche nach einem perfekten Gleichgewicht zwischen Reinheit und Brutalität, aber auch Disziplin und Unordnung“ beschrieben wird. Gerade diese Ambivalenz zwischen musikalischer Ordnung und Unordnung hat Helena Hauff so bekannt gemacht, dass sie seit fünf Jahren inzwischen auf der ganzen Welt Sets spielt. Sie selbst sagt: „Meine Sets sind rough, schmutzig, ein bisschen kalt“.

Von Johanna Heeg

Beginn im Goldenen Pudel

In Hamburg wird sie geboren und in Hamburg entdeckt sie auch später die Liebe für elektronische Tanzmusik. Statt aber schon früh in Nachtclubs abzuhängen, verbringt sie als Jugendliche ihre Zeit vor allem in Bibliotheken und schaut viel Musikfernsehen auf MTV und Viva. Erstaunlicherweise ist sie als Teenager Fan der Grunge-Band schlechthin, Nirvana; aber auch die Musik der Stooges und der Band Loop hört sie gerne und ist somit also zunächst in eine völlig andere Musikrichtung orientiert. In Bibliotheken leiht sie sich CDs aus und nimmt diese auf Tapes auf. Die Welt der Nacht und der elektronischen Tanzmusik eröffnet sich ihr erst in Gänze mit 17, als sie zum ersten Mal in einem Club ist. Ab diesem Zeitpunkt ist sie regelmäßig im „Goldenen Pudel“ in Hamburg unterwegs und taucht nicht nur in die Welt der elektronischen Tanzmusik ein, sondern kommt auch mit der linken, antikapitalistischen Szene in Berührung. Der Club versteht sich nämlich neben seinem subkulturellen Angebot auch in seiner politischen Haltung als Ergänzung zur Norm. In dieser Instanz des Hamburger Nachtlebens wird sie später auch selbst auflegen und sogar auf einer regelmäßigen Veranstaltungsreihe „Birds and other Instruments“ auftreten. Bis heute bleibt der Club und das Kulturzentrum einer ihrer liebsten Orte zum Auflegen – weil er klein, familiär und vertraut ist.

Zunächst geht sie allerdings nach ihrem Abitur nach Braunschweig, um dort Physik, Kunst und systematische Musikwissenschaft zu studieren. In der systematischen Musikwissenschaft wird der Klang untersucht, wie auch die Art analysiert, wie wir hören. Außerdem setzen sich die Lernenden mit den verschiedenen Musikkulturen auseinander und beleuchten die mathematischen, physikalischen und soziologischen Aspekte von Musik. Hauff bricht das Studium allerdings nach einem Jahr ab. Zum einen, da sie Hamburg präferiert und zum anderen, weil sie bemerkt, dass ihr das universitäre Bildungssystem zu theoretisch ist und sie trotz ihrem Interesse an der Physik mehr das Gefühl haben möchte, etwas zu verändern oder einen Effekt auf Menschen zu haben. Zudem sei es für sie ein schöneres Leben: das späte Aufstehen, Trinken, Auflegen und von Menschen umgeben zu sein – höchstwahrscheinlich schöner als tagein, tagaus in einem Labor zu arbeiten. Außerdem sagt sie in einem Interview mit dem Guardian im Jahr 2018, dass wenn sie sich zwischen dem Auflegen und Produzieren entscheiden müsste, definitiv das Auflegen wählen würde – sie würde den sozialen, den interaktiven Aspekt daran mögen.
 
 

Weg zum Erfolg

Anders als andere DJs und andere DJanes verwendet sie keinen Laptop, um ihre Musik zu machen, sondern arbeitet mit der analogen Drum-Machine „Roland TR-808“. Um sich die gewünschten Drum-Maschinen und die restliche musikalische Ausstattung leisten zu können, lebt sie jahrelang von der Hand in den Mund. Statt biologischer Lebensmitttel geht sie zum Discounter und auch sonst spart sie jeden Cent. Mit Erfolg. Der Drum-Computer, den sie sich kauft, besitzt in der elektronischen, aber auch in der Hip-Hop Musikszene Kultstatus unter den analogen Drum-Computern. Eine Drum-Machine oder Drum-Computer ist ein Musikinstrument zur Erzeugung rhythmischer Töne sowie der Programmierung musikalischer Rhythmen. Außerdem verwendet sie Vinylplatten um aufzulegen.


Return to Disorder

Eine ihrer Aufnahmen heißt „Return to Disorder“ als Antwort auf die konservative Kunstrichtung „Return to Order“. Diese hatte sich nach dem Ersten Weltkrieg formiert und vor allem den Anspruch, von einer avantgardistischen und experimentellen Richtung wieder in eine klassische und traditionelle Kunstrichtung zu gehen. Genau hundert Jahre nach Beginn des Ersten Weltkrieges bringt Helena Hauff also ihre Aufnahme für das Label „Bunker“ als Gegenentwurf dazu heraus. Auch sieht sie sich selbst und ihre Musik in dem Titel: ungeordnet, ohne nachvollziehbare Struktur. Trotzdem weist sie in einem Interview zu ihrem 2018 erschienenen Album „Qualm“ darauf hin, dass ihre Musik nicht als extrem rebellisch zu bezeichnen sei – was den Techno vom Pop oder Rock unterscheide, sei nun einmal dessen experimenteller Charakter, das liege in der Natur der Techno. „Qualm“ bedeutet übrigens aus dem Englischen übersetzt so etwas wie Zweifel, Unwohlsein, und Sorge – im deutschen ist es hingehen der Zigarettenrauch. Welch schönes Wortspiel, auch hinsichtlich des pointierten Zigarettenkonsums von Hauff. Generell ist ihre Musik allerdings ein Techno, der von vielen Richtungen beeinflusst ist, von Acid House (minimalistisch und instrumental), Industrial (bedrohliche, aggressive Klangcollagen) und EBM (Electronic Body Music – tanzbetonte Rhythmuswiederholungen). Für diejenigen unter uns, die nur wenig mit diesen Begrifflichkeiten anfangen können – hört euch gerne die verlinkten Videos an! :)
 
 

Techno als Gegenentwurf

Inzwischen ist die DJane auf der ganzen Welt unterwegs und hat unter anderem auf dem Dekmantel Festival in Amsterdam, auf dem Sonár Festival und auf dem Primavera Sound, beide in Barcelona, aufgelegt. Für sie ist klar, dass die Technoszene für viele Menschen ein Zuhause und ein Austauschort sein kann: „…junge Menschen auf der Suche nach politischem und sozialem Diskurs könnten dort sehr viel lernen. Gerade in Deutschland ist die Techno-Szene sehr politisch, die Leute weniger konservativ. Das fördert die Toleranz.“ Vielleicht ist es genau das, was bei den Nuits sonores in diesem Jahr passieren wird: Die Menschen werden trotz oder gerade wegen der Konflikte in der Pandemie der letzten Jahre miteinander tanzen. Und Spaß haben. Und wieder ein wenig zu ihrer Toleranz zurückfinden.




 

Diskografie:

Studioalben
Discreet Desires (2015)
Qualm (2018)

EPs
Actio Reactio (2013)
Return to Disorder (2014)
Helena Hauff Meets Andreas Gehm (2014, mit Andreas Gehm)
Shatter Cone (2014)
Lex Tertia (2014)
Have You Been There, Have You Seen It (2017)
Living with Ants (2019)

Singles
Sworn to Secrecy Part II (2015)
L’homme Mort (2015)
Andere Veröffentlichungen
A Tape
Flächenbrand Mix

Band des Monats auf Spotify

Hände und Gitarre © Colourbox.com, ldutko Jeden Monat stellen wir euch eine Band oder eine*n Sänger*in aus einem deutschsprachigen Land vor – den Musikstilen sind keine Grenzen gesetzt. Mit dieser Playlist könnt ihr in die Musik der vorgestellten Künstler*innen hineinschnuppern.

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