Band des Monats
Babyjoy
Ein treibender Hip-Hop Beat, über den sich ein rhythmischer Sprechgesang legt, der fast schon an Spoken Word erinnert – so taucht man beim Hören von Babyjoys Musik in den Fluss ihrer sprudelnden Gedanken ein. Diese Art, sich zu artikulieren, erschafft einen unverkennbaren Musikstil und gibt ihr in der deutschen Hip-Hop- und Rap-Szene ein einzigartiges Wiedererkennungsmerkmal. Der Fokus der Künstlerin liegt auf ihren persönlichen Texten, die melancholische Einblicke in ihr Innerstes geben, diese sind sowohl der Ausdruck ihrer Gefühle zu Beziehungen und Weltschmerz als auch politische Statements einer Schwarzen Frau in Deutschland.
Von Ayla François
Die Berliner Künstlerin Babyjoy wechselt sowohl fluide zwischen musikalischen Genres, als auch zwischen den Sprachen Deutsch, Französisch und Englisch, in denen sie rappt und singt. Die Mehrsprachigkeit ihrer Songs ist ein Abbild ihres Aufwachsens mit den verschiedenen Sprachen. Frankreich und vor allem Paris sind für sie wie ein zweites Zuhause, weil dort die Familie ihrer Mutter lebt. Ihr Vater kam aus den USA. Joy Grant ist außerdem, unabhängig von ihrer musikalischen Karriere, auf einer Schauspielschule in Berlin. Ihr schauspielerisches Talent zeigt sich in den aufwändigen Musikvideos, die oft als Alltagsszenen inszeniert sind.
Musikalisches Aufwachsen
In ihrem familiären Umfeld gab es immer schon viele musikalische Einflüsse: sowohl Joys Vater war Musiker als auch ihr älterer Bruder Pablo, besser bekannt als Dead Dawg von der Berliner Rap-Crew BHZ. So war es nur eine Frage der Zeit, bis sie selbst im Studio und vor dem Mikrofon landete. Sie merkte dabei, dass die Zeilen nur so aus ihr herausflossen und entdeckte ihr Talent für das Texte schreiben.Die erste Single Traum brachte sie dann im Herbst 2019 heraus. Ein Jahr später folgte ein Release gemeinsam mit ihrem Bruder Dead Dawg von BHZ. Durch das Feature erreichte der Song Vergessen bald viele Klicks und Babyjoy immer mehr Aufmerksamkeit in der deutschen Rap-Szene.
Dass sie aber weitaus mehr als eine deutsche Rapperin ist, wurde mit der Veröffentlichung ihrer ersten EP Troubadour im Februar 2021 deutlich. Die sieben Tracks sind ein vielfältiger Mix aus den Genres Hip-Hop, R&B und Neo-Soul. Mal singt Babyjoy auf Französisch, mal rappt sie auf Deutsch, meistens ein Mix aus beidem und das in einer gefühlvollen Art und Weise, die manchmal wie Chansons, manchmal wie das Rezitieren eines Gedichts anmutet. Produziert wurde das Ganze von KazOnDaBeat, den Joy schon seit Kindheitstagen kennt und den sie als Musiker sehr schätzt.
Politisch zugetextet?
„Viele Leute gucken wegen meiner schwarzen Haut. Lass ihn klauen. Lass ihn fallen. Heute geht’s uns besser als– [...] Mir wird ganz schön kalt, wenn ich denk an die Gewalt, Vorbehalt, Wortgewalt. Wie lang ist dein Aufenthalt – hier auf dieser Welt?“In dem Song Viele Leute gucken thematisiert Babyjoy ihre Lebensrealität als Schwarze Frau in Deutschland. Gnadenlos kettet sie die Reime aneinander und das harte Staccato der Sprache passt perfekt zum Inhalt. Sie sagt, in ihren Texten ginge es immer um Themen, die sie beschäftigen, die aus ihr heraus müssen und dazu gehören selbstverständlich auch die Rassismus-Erfahrungen im Alltag, das sei Teil ihrer Identität. Allerdings will sie nicht auf die Stimme der „angry black woman“ reduziert werden und sie sagt auch, dass sie aus Selbstschutz irgendwo eine Grenze ziehen muss. Nicht immer kann und will sie Aufklärungsarbeit zu Rassismus leisten, das sei zu viel Verantwortung.
Zwischen Deutsch und Französisch
Das Schreiben ihrer Texte passiert meist intuitiv, wenn sie einen Beat hört, meint Joy in einem Interview mit Diffus. Sie spürt dann direkt, ob sie auf Französisch oder auf Deutsch erzählen will. Allgemein, sagt sie, seien die französischen Texte meist intimer und gefühlvoller. Einfach weil gewisse Dinge auf Deutsch ausgesprochen viel zu kitschig klingen. Deutsch bietet sich hingegen dafür an, die Kälte und Härte der Gesellschaft in ihren sozialkritischen Texten zu Rassismus-Erfahrungen rüber zu bringen.„Leg mich sterbend in das Wasser wie Ophelia“
Babyjoys neuste EP Ophelia wurde im September 2022 veröffentlicht und enthält 5 Tracks. Ihre Texte darin handeln von Trauer und Zwischenmenschlichem – den Beziehungen in ihrem Umfeld und inneren Kämpfen mit depressiven Stimmungen. Diese Themen werden vorgetragen in Babyjoys unfassbar gutem Flow, sodass man sich einfach treiben lassen kann von dem Strom an Wörtern, der über ihre Lippen fließt und einen mitreißt in emotionale Wogen.„Leg mich sterbend in das Wasser wie Ophelia [...] Alle Menschen um mich herum sind ohne Ausnahme ziemlich weiß. Du sagst: Das ist diskriminierend. Ich weiß nicht, was du meinst. Und ich seh‘s in deinem Blick, du findest mich gemein.“
Am Titel der EP merkt man den Einfluss ihrer Schauspielausbildung: das Schicksal der Figur Ophelia in Shakespeares Hamlet hatte sie berührt und sie konnte sich einfühlen in die Melancholie dieses Bildes. Der Erzählcharakter ihrer Texte erklärt auch, wieso ihre Verse fast wie ein Stream of Consciousness wirken. In dem Diffus-Interview erzählt sie, dass das Texte schreiben für sie so ein “bissl‘ wie Therapie“ ist und das merkt man beim Zuhören. Das Verarbeiten ihrer Gefühle bewirkt, dass die Texte die breite Masse an Zuhörenden auf einer emotionalen Ebene ansprechen. Das Identifikationspotenzial bei Themen rund um mentale Gesundheit ist heutzutage einfach riesig und so können auch viele Leute mit dem Song Sorgen in mein’ Kopf etwas anfangen.
Der letzte Song der EP Keine Zeit ist dann aber wieder hoffnungsvoller und gibt gute Vibes, vermutlich auch weil er ein Sample des Hits M&U aus den 2000ern von Cassie ist und deswegen zum Mitsingen einlädt. Babyjoy beweist beim Singen des Refrains, dass sie vor ein paar Jahren nicht umsonst eine Jazz-Gesangs-Ausbildung angefangen hatte. Ihre Stimme geht unter die Haut.
Die Musik ist so facettenreich, ihre Texte ehrlich und direkt – Babyjoy zeigt: Deutscher Rap geht auch einfühlsam, ohne teure Marken und Drogenexzesse, und R&B auf Deutsch-Französisch ist möglich!
Für die Zukunft wünscht sich Joy, auch in Frankreich musikalisch Fuß zu fassen und mit Pariser Rappern wie zum Beispiel Jok’air zusammenzuarbeiten. Die Voraussetzungen dafür könnten nicht besser sein!
Diskografie:
EPs
Troubadour (2020)
Ophelia (2021)
Singles
Traum (2019)
Fancy You (2020)
Frei Sein (2020)
Pour de vrai (2020)
Vergessen ft. Dead Dawg (2020)
Ensemble (2021)
Graue Wolken ft. Dead Dawg (2021)
Wenn du weinst (2022)
Als Gastmusikerin (Auswahl)
Badchieff ft. Babyjoy et Tym: Ella (2021)
KazOnDaBeat ft. Babyjoy: Viele Gedanken (2021)
Ahzumjot ft. Babyjoy: Heartbreaks vs Heartbreaks (2022)
Band des Monats auf Spotify
Jeden Monat stellen wir euch eine Band oder eine*n Sänger*in aus einem deutschsprachigen Land vor – den Musikstilen sind keine Grenzen gesetzt. Mit dieser Playlist könnt ihr in die Musik der vorgestellten Künstler*innen hineinschnuppern.